𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟏𝟑

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Die Sterne sind vom Himmel gefallen und bis jetzt hatte niemand die Kraft, sie wieder aufzuhängen.

Ich sitze am winzigen Fenster und verliere mich im tiefblauem Nachthimmel.
Die Zeit hier oben vergeht langsamer als unten, wir fliegen und werden von Wolken und Mondlicht gebremst.
Die Dunkelheit hat all die Sterne eingesogen, umhüllt und verschlungen, die kleinen Wegweiser in der Nacht sind abgestürzt und zu Granatensplitter geworden.

Der Raum ist schmal und riecht nach Tod. Kabine 3, ein Ort für Verwundete, wird vom Sensenmann überwacht, der ungeduldig an die Tür klopft. Mit seiner Sichel hat er die Hoffnungen schon durchtrennt, das Leuchten aus den Augen der Passagiere gestohlen und langsam bin ich mir sicher, dass er durch die Flure tanzt und jeden um eine fröhliche Erinnerung betrügt.

Ich bin noch nicht so weit, mich ihm zu stellen, aber ich bleibe und sperre ihn aus.
Das Versorgen der Verletzten ist wahrscheinlich unnötig, aber es schenkt uns allen ein Gedanke an "danach". Jeder Verband, jede Spritze vom ausgehenden Schmerzmittel, jedes nette Wort an Menschen, die es sowieso nicht hören können- all das lässt den Tod warten.

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Ich liebe die Art, wie Adrian über Menschen spricht.

Er redet auf erfrischende, warme Weise von ihnen und ihren kleinen, dreckigen Seelen, als sähe er keine Monster in Augen und hätte selbst keinen Hass im Herzen. Vielleicht bringt ihn das Fieber dazu, die Welt als etwas Schönes, Wundervolles zu betrachten, doch wenn ich aus dem Fenster schaue und meinen Blick über Niemandsländer und Bombenkrater schweifen lasse, fällt es mir schwer in ihr etwas anderes zu sehen, als eine hoffnungslose Kriegslandschaft.

"Denkst du, wir haben eine Chance auf eine Welt voller Frieden?", fragt er mich, nachdem ich den sterbenden kleinen Junge neben ihm versorgt habe.
Ich sage dem Kind, das alles gut wird. Und dann drehe ich mich um und schnappe nach Luft, weil ich an meinen eigenen Lügen ersticke.

Ich verharre und schaue auf seine geröteten Wangen.
"Ich glaube, dafür braucht es Hoffnung. Und die sehe ich hier nirgendswo", murmele ich entmutigt.

Adrian lacht leise, ein sanftes, beinahe zärtliches Geräusch, weil er die Hoffnung überall erkennt, in Wind und Wasser und in Menschen.
Er lacht und er verblutet, Stunde für Stunde strengt er sich mehr an, mir das nicht zu zeigen. Vielleicht will er nicht schwach aussehen oder das Fieber trübt seine Einschätzung, doch ich habe verdammte Angst, im nächsten Moment der grausigen Stille des Todes ausgesetzt zu sein.

Gerade, als er eingeschlafen ist und ich mir die blutigen Hände an meinem Kittel abwische, klopft es an der Tür.
Verwundert blicke ich auf. Kabine 3 ist äußerst unbeliebt, da die Menschen sich hier nun mal etwas vorspielen und keiner Invalide leiden sehen will. Wahrscheinlich ist es die weitaus gesündere Variante, die Realität auszublenden und in einem Märchen zu leben, in dem man als Held allen Schurken trotzt.

"Herein!", rufe ich.
Ein Mann, etwa in meinem Alter betritt den Raum. Lautlos, fast katzenartig läuft er zu mir, die onyxfarbenen Augen auf mich gerichtet
Lancelo.
Der Leser, der damals mit Adrian im Bunker eintraf.
Die tintenschwarzen Haare hängen ihm leicht in die blasse Stirn, die scharfen Wangenknochen beschatten die Ringe unter seinen Augen

"Bist du auch verletzt?", fragt Lancelo mit einer samtigen, tiefen Stimme, welche zum Rest seines Erscheinungsbildes passt.
"Ich? Nein, das ist nur das Blut der anderen hier."

Ich erkenne den Schmerz in seinem Blick, der Schmerz von unzähligen Soldaten die ihn um Gnade gebeten haben und sie niemals erhalten haben. Eigentlich sollten mich die Messer an seinem Gürtel beunruhigen, aber ich bin erleichterter zu wissen, dass er sich selbst verteidigen kann.

"Was ist los?", möchte ich wissen.
"Der Offizier will uns sprechen. Alle, die dazu in der Lage sind sollen zum Cockpit kommen."

Mein Herz rennt und rutscht auf einem Weg dunkler Vorahnungen aus.
Ich weiß, dass wir irgendwann landen werden und wieder um unser Leben bangen müssen, aber die Minuten hier oben sind wie ein Urlaub von jahrelangem Arbeiten. Ein kleines Durchschnaufen, bevor die Welt uns wieder überrollt.

"Ich komme", antworte ich nur.

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"Ahh, mein Spion und meine Krankenschwester...wie vielen Leuten hast du heute schon ins Ohr geflüstert, alles wird gut? Ach Mädchen, haben deine Eltern dich nie gelehrt dass man nicht lügen darf?", begrüßt uns Clayborn, der Offizier, die gewohnten spöttischen Worte auf den Lippen.

"Meine Eltern sind tot und mein Leben schon immer eine Lüge, Sir", antworte ich verärgert.

Dieser bedenkt meine Entgegnung nur mit einem Augenrollen und wendet sich dann an die anderen. Auch ich mustere den kleinen Kreis aus Überlebenden.

Da wären einmal der Offizier mit den Tattoos und sein Sohn, der sich als Finch Clayborn vorstellt. Er hat gewaltige Ähnlichkeiten mit seinem Vater, doch trägt nicht den Spott sondern eine unverhohlene Arroganz als Maske. Neben ihm steht eine Frau mit grellblauen Haaren, um deren Hals sich eine Kette in Form einer Schlange windet. Sie sieht auf eine außergewöhnliche Weise hübsch aus, auch wenn ihr ein Ohr und zwei Finger fehlen.

Durch ein kleines Fenster zur Steuerzentrale erkenne ich einen schlaksigen, dürren Mann mit einer Brille auf der langen Nase, deren Glas an einer Seite zersprungen ist. Anscheinend ist er so etwas wie ein Pilot, obwohl mich die Tatsache, dass er ziemlich ratlos auf dem Armaturenbrett herumblickt, etwas verunsichert.

"Ihr wundert euch sicherlich alle, warum ich diese kleine Gruppe Glückspilze zusammengerufen habe..."
Gemurmelte Zustimmung von allen Seiten.

"Wir werden in den nächsten drei Stunden landen, und ich möchte euch darauf vorbereiten, was dort unten geschehen wird."
Jetzt ist sogar Finch Clayborn aufmerksam geworden, der bei den Worten seines Vaters unbeeindruckt aus dem Fenster gestarrt hatte.

"Unser Bunker ist zerstört. Der Rest der Bewohner ist höchstwahrscheinlich tot, macht euch also keine großen Hoffnungen, dass ihr eure Freunde und Verwandte je wiederseht. Ich würde ja unglaublich gerne trauern, aber im Moment habe ich genug damit zu tun, euch hier alle heil rauszubringen", meint der Offizier trocken.

"Wo werden wir landen?"

"Das wollte ich gerade sagen."

Gott, ich habe Angst. Jede Faser meines Herzens verlangt danach, nicht mehr in die blutige Hölle dort unten zurückzukehren.

"Wir landen an dem Ort, der eure Zuflucht sein wird. Nicht so etwas wie der Bunker, nein, viel größer. Und dann, dann werden wir es beenden."


𝐇𝐞𝐚𝐫𝐭𝐥𝐞𝐬𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt