𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟑

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Ich blicke herab, auf die Soldaten.
Meine Augen beginnen zu brennen, als ich das dunkelrote Blut entdecke, dass überall an ihrer Kleidung klebt, im Gesicht, in den Haaren.

Schreie ertönen.
Panische Geräusche, schnelles Herumtrampeln, eine Frau weint jämmerlich, versucht wegzugucken aber schafft es nicht. Ihr Blick bleibt auf der Leiche des verletzten Söldners liegen. 

Es war ein Suchender.
Suchende verlassen den Bunker, um in der zerstörten, unterdrückten Welt nach Lesern zu suchen. Wir müssen jede einzelne Kraft um uns scharen, benötigen jedes kleine Kind. Der Job ist gefährlich und oftmals tödlich. Gerät ein Suchender in die Hände des Systems kommt er nicht mehr lebendig zurück.

Mein Magen wölbt sich unangenehm nach oben, als der blutige Geruch in meine Nase steigt. Rot flimmert in meinem Blickfeld. Ich schmecke einen unangenehmen Geschmack in meinem Mund.
Metall.
Blut.
Ein dumpfer Schmerz zieht sich durch meinen Körper, reißt mich beinahe von den Füßen und die Erinnerungen drohen, mich zu übermächtigen. Ich hole tief Luft, aber meine Lungen schrumpfen, bis ich nur noch flach atmen kann.

Ein lauter Schrei ertönt. Ich blicke mich hastig um, die eine Hand am Abzug. Eine verhärmt aussehende Frau drängt sich durch die Menge. Als sie den toten Soldat sieht entgleitet ihr das Gesicht. In einem einzigen Moment bricht an ihr alles zusammen, in ihren Augen liegt so viel greiflicher Schmerz, dass es kaum zu ertragen ist.

"Nein!", stößt sie hervor, kniet sich neben die Leiche hin. Sie muss die Frau des Gefallenen sein. Nun ist sie Witwe. Ihre Schultern beben, ihr ganzer Körper krampft sich zusammen. Tränen strömen über das Gesicht, tropfen in die Blutlache.

Bestürzen zeichnet sich auf den Mienen der Zuschauer ab. Ein dunkler Vorbote des Todes streift durch die Gassen und kennzeichnet seine Wege. Obwohl hier oft so etwas passiert, bringen die Dinge, die uns nur im Vorbeigehen streifen, andere zum Fall. 

"Mama?"
Die Stimme eines Kindes hallt durch die Räume. In der Hand hält es einen abgenutzten Teddybären, fest umklammert als wollen wir ihm das Spielzeug entreißen. 
Als der Junge den Mann sieht, weiten sich seine Augen. 

Entsetzten trieft aus all seinen zierlichen Zügen. Der Bär fällt zu Boden, das Kind eilt zu seiner Mutter. 

"Mama!", wiederholt der Junge. Die Frau blickt nicht auf, hat den Kopf in den Händen vergraben, die Haare zerzaust, die Hände zitternd. Sie ignoriert ihren Sohn. Erklärt ihm nicht, um was es geht, warum der Vater der Familie gestorben ist.

Das Kind gibt ein leises Geräusch von sich. Tippt die Mutter mit der Fingerspitze an. 
Er hat Tränen in den Augen, große, unwissende Augen, die so fragend auf diese Welt blicken und nichts von all dem verstehen.

"Was ist mit Papa?"
Keine Antwort.
Der Junge steht im Blut seines Vaters und bekommt keine Reaktion. 
Er blickt auf die Leiche, dreht sich hilflos zu uns um.

Schmerz verbietet ihm die Worte. 
Ein Mann tritt aus der bisher schweigenden Gruppe und kniet sich vor das Kind. Ich erkenne ihn. Leander, einer der wenigen Menschen, die mir hier unten das Leben jeden Tag ein wenig besser machen. Er schenkt mir ein kleines Lächeln, wendet sich dann an den Jungen.

"Hey", sagt er leise, in dieser Stimme, wie Erwachsene immer mit Kleinkindern reden. Ganz sanft.
"Meine Mama, sie- was ist mit-", der Angesprochene bricht ab, verschluckt sich an seinem eigenen Satz und legt eine kleine, zitternde Hand auf Leanders Schulter. 

Dieser hebt ihn vorsichtig hoch. Nimmt ihn mit und trägt ihn zum Haupthaus, dort, wo all die Kinder aufgenommen werden, um die sich keiner mehr kümmert.

Er möchte zurück gucken, aber Leander hält ihm behutsam die Augen zu. Der Junge ist klein und hat keine Ahnung, dass in diesem Moment seine winzige Welt verbrennt. 

***

Die Menge löst sich auf. 
Die Menschen reden weiter, als sei nichts geschehen, als würden wir ganz normal weiterleben können. Für zwei Menschen brach eben eine komplette Welt zusammen, für uns ist es nur ein tägliches Ereignis.

Ich merke erst jetzt, wie schwitzig meine Handflächen sind. Erst nach ein paar Sekunden, in denen ich fassungslos auf das hinterlassene Blut starre, raffe ich mich auf und schlage einen der kleineren Nebengänge ein.

Wind huscht durch diese Gasse, fröstelnd schlinge ich meine Arme um den Körper, als die kalte Luft durch das dünne Oberteil kriecht. 

Ich kann es nicht einfach so hinnehmen, den Tod eines Menschen. Die dauernden Fragen, die in meinem Kopf herumkreisen verlangen fordernd nach Antworten. Wie ist er gestorben? Ging es schnell?

Etwas macht sich in mir breit. Eine kleine, flackernde Flamme tief in meinem Inneren leuchtet auf. Ich presse die Lippen zusammen. Glühend heiße Hitze fährt über meine Haut, spaltet meine Knochen und zerbricht mein Herz, bis es in vielen kleinen Stücken am Boden liegt.

Ich muss bluten, denn meine Brust tut so weh. 
Muss brennen, denn ich stehe in Flammen, die an mir hochlodern, bis alles mit dem dunkelroten Feuer bedeckt ist, ich keuche laut auf.

Wut.
Pulsiert durch mein Blut. Setzt mich in Brand.
Beinahe kann ich mir vorstellen, wie sie um meine Handgelenke lodert, tiefrot, so gefährlich, und ich habe gar nicht gemerkt, wie ich angefangen habe zu rennen.

Wind peitscht mir entgegen, eisig und fast schmerzhaft, aber ich genieße diesen Schmerz, er lenkt mich ab von dem ewig wartenden Tod. Ich renne, bis ich meine Beine nicht mehr spüren kann und nur noch das Feuer in mir tobt.

Ich glaube, ich könnte sie alle vernichten, wenn ich will. 



𝐇𝐞𝐚𝐫𝐭𝐥𝐞𝐬𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt