Abraham war nicht der gleiche wie zuvor. Er machte sich schwere Vorwürfe, war der Überzeugung, er hätte Jared durch zu viele Medikamente umgebracht. Jared hatte zwei Tage im Krankenhaus verbracht, wo die Ärzte versucht hatten, ihn am Leben zu halten, jedoch vergeblich. Sie hatten ihre Verwunderung darüber geäußert, wie ein so junger Mann an einem Schlaganfall sterben konnte. Sie versicherten Abraham, dass die Schlafmittel nicht daran schuld waren, sondern die mangelnde Behandlung nach seinem ersten Schlaganfall. Abraham war der Überzeugung, dass er seinen Bruder umgebracht hatte, es war egal wie oft Antonia ihm erklärte, dass er getan hatte was er konnte, sie konnte ihn nicht beruhigen. Zum Zeitpunkt von Jareds Tod war Abraham bei ihm gewesen, für den Rest des Tages hatte er kein Wort gesprochen. Am nächsten Tag hatte er sich einen Liter Vodka gekauft, die Flasche hatte er allein innerhalb von wenigen Stunden geleert. Antonia hatte ihn nicht davon abhalten können, sich zu betrinken, sie hatte ihn nur davor stoppen können, sich im weggetretenen Zustand Jareds übriggebliebene Schlaftabletten einzuwerfen. Sie blieb mit ihm in Debbies Gästezimmer und wich nicht von seiner Seite. Jareds plötzlicher Tod hatte ihn in einen permanenten Schockzustand versetzt, in dem Antonia es nicht wagte, ihn allein zu lassen. Sie hatte versprochen, für ihn da zu sein, es war Zeit, sich an dieses Versprechen zu halten. Sie lehnte Debbies Vorschlag ab, ihn in eine Psychiatrie zu stecken, sie selbst hatte zu viele schlechte Erfahrungen mit Psychiatern gemacht und wollte nicht, dass Abraham weggesperrt wurde. Er musste trauern und sich von seinem Schock erholen, Antonia konnte nichts tun, außer ihm beizustehen. Sie fühlte sich schlecht, da Debbie und Connor Jareds Beerdigung allein organisieren mussten, Antonia hatte nicht einmal die Mittel, um sie finanziell zu unterstützen. Wieso waren Beerdigungen eigentlich so teuer? Wieso wurde man nach dem Tod eines Angehörigen noch zusätzlich finanziell belastet? Abraham konnte von Glück behaupten, dass er eine reiche Schwester hatte. Sie beteuerte zwar, der Aufwand würde ihr nichts ausmachen, aber Antonia konnte die Spannung um Haus spüren. Ihr Ehemann, der anfangs zumindest so getan hatte, als wären die Gäste hier willkommen, verbarg seine Missbilligung inzwischen nicht mehr vor Antonia, in Abrahams Abwesenheit machte er gerne subtile Anmerkungen darüber, wie unverantwortlich es von ihm war, seinen familiären Pflichten nicht nachzukommen und weder im Haushalt noch zur Beerdigung etwas beizutragen. Antonia musste sich jedes Mal zusammenreißen, um ihm nicht die Zähne auszuschlagen, denn Connor kannte Abraham kein bisschen. Er hatte sich jahrelang allein um Jared gekümmert und sich für ihn verausgabt, Debbies Mann hatte kein Recht, über ihn zu urteilen. Jareds Tod hatte Abraham mental zerstört, er war eine Woche lang nicht mehr zu den gewöhnlichsten Handlungen fähig, geschweige denn zu wichtigen Entscheidungen, die eine Beerdigung betrafen. Nach einer Woche hatte Abraham sich wieder soweit im Griff, dass er nach draußen gehen und allein gelassen werden konnte. Er musste Antonia mehrmals versprechen, dass es ihm besser ging und er sich nichts antun würde, bevor sie ihn allein aus dem Haus gehen ließ. Er ging in der Nachbarschaft einkaufen. Er kaufte Essen, da er die Woche über kaum gegessen hatte und seine Untätigkeit bei Debbie wieder gutmachen wollte. Als er zurück kam, hatte er Antonia etwas zu verkünden:
»Wir verschwinden.«
»Jetzt?«, fragte Antonia verwirrt. Abraham schüttelte den Kopf.
»Das Problem mit Jared hat sich jetzt erledigt.« Er verzog schmerzverzerrt das Gesicht. »Wir können hinfahren, wo wir wollen.«
Er ließ sich seufzend neben Antonia aufs Bett fallen.
»Jared muss ja gerade in dem Moment einen Schlaganfall haben als wir uns darüber Gedanken machen, was wir mit ihm tun.« Abraham schüttelte den Kopf. »Wenn das Gottes Humor ist, überlege ich mir das mit dem Glauben noch einmal.«
»Was wollen wir jetzt tun?«, fragte Antonia. »Bald ist Weihnachten, wollen wir das mit deiner Schwester verbringen?«
Ohne zu zögern schüttelte Abraham den Kopf.
DU LIEST GERADE
Tiny Toni (2022)
RandomAntonia Brunelli ist eine Außenseiterin, seit sie sich erinnern kann. Sie genießt das Hobo Leben im wirtschaftlich ruinierten Amerika und fährt auf Güterzügen durch das Land. Das einzige was ihr zu schaffen macht, ist die ständige Einsamkeit auf den...