Auf die Plätze...

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"Gib es zu, sie geht mir aus dem Weg", ich blicke betrübt in das Bierglas vor mir. Shua neben mir seufzt und deutet dem Schankwirt, ihm ein weiters Bier zu bringen. Ich merke, dass er die Frage nicht beantworten will, es ist ihm unangenehm. Weil ich Recht habe. Aber ich werde es Lin nicht vorwerfen. Wir sind mit so viel Energie in dieses Projekt gestartet, als ich noch gesund genug war. Als es noch so aussah, als könnten wir eine Lösung finden. Als wäre die Blutmagie eine langfristige Lösung.
Und auch wenn jeder erstaunt ist, dass ich noch nicht vor einem halben Jahr gestorben bin, mehr Zeit werde ich mir damit nicht erkaufen können.

"Ich kann es verstehen", erkläre ich. "Aber ich muss wissen, ob sie morgen bereit ist."

"Wer?", fragt jemand hinter uns. Lin. Also hat sie sich nach zehn Minuten auf und abtigern vor der Kneipe doch dazu entschieden hereinzukommen.
"Du", ich drehe mich um und werde einmal wieder von ihrer Schönheit erschlagen. Im Feuerschein, der über ihre Haut tanzt, sieht sie noch unrealistischer aus als sonst.

"Ich habe alles. Aber du kannst so nicht zu einer Wissenschaftsmesse", sie nickt zum Rollstuhl hin.
"Nochmal", wir hatten das Thema schon ungefähr eintausend Mal. "Ich werde keinen streunernden Hund aussaugen als wäre ich ein verfluchter Vampir, der sich nicht kontrollieren kann."

"Ich weiß", ihre Kiefermuskeln treten hervor, ein kurzes Zeichen von Missmut. "Deshalb habe ich mich um etwas anderes gekümmert."
Ohne zu fragen, schiebt sie mich von der Theke weg und ignoriert die Zurufe anderer Gäste, die ihre Aufmerksamkeit verlangen, einen Auftrag für sie haben. Selbst, als einer ihr das Geld förmlich in die Hand drückt, reicht eine schnelle Bewegung ihrerseits und der Mann schreit auf vor Schmerz, als sie sein Handgelenk verbiegt. Ohne ein Wort zu sagen, verlässt sie mit mir die Kneipe.
Als wäre ich ein scheiß Rucksack.

Oh, Lin ist wütend.
Schön, dann sind wir schon zu zweit.
"Halt an." Ich werde mich nicht einfach so von ihr herumschubsen lassen. Aber sie schiebt mich weiter.
"Halt an!", versuche ich es nochmal.
Immer noch keine Reaktion.
Und ich kann nicht aufstehen. Ich kann nichts tun.

Ok, dann die andere Art und Weise. Ich greife zu meinem Energiefeld und konzentriere es zwischen mir und Lin, verstärke es Atom um Atom, bis es wie eine Mauer zwischen uns steht. Auf einen kleinen Energieimpuls von mir zucken Lins Finger von den Griffen des Rollstuhls, als hätte sie einen Stromschlag bekommen.

Empört schreit sie leise auf, bevor sich ihre Augen wütend in meine bohren. Aber ich zucke nicht zurück.
"Übergeh mich nie wieder so", meine Stimme ähnelt dem Grollen eines Tieres. "Wenn wir das hier durchziehen, machen wir es gemeinsam oder gar nicht."
Ihr stechender Blick bricht kurz auf und ich erhasche einen Anflug von Verletzlichkeit hinter ihrer eisernen Mimik.

"Bitte", ich kann es gar nicht verhindern, dass meine Stimme einen sanfteren Klang annimmt und ich reiße die Mauer wieder ein, greife nach ihrer Hand. "Sag mir, dass wir zusammen hier drin sind."
Lin wendet sich ab, sagt nichts, aber sie nickt und sie lässt meine Hand nicht los.

"Was hast du geplant?", frage ich vorsichtig. Nicht drängen.
"Ich war jagen", meint sie. Noch immer ist ihr Gesicht von mir abgewandt und es zerreißt mich innerlich. "Alles, was ich irgendwie in die Finger bekommen konnte. Unser Lagerraum ähnelt eher einem Stall als alles anderem."

Endlich, endlich dreht sie ihr Gesicht wieder zu mir. Ihre Augen sind rot umrandet.
"Darf ich?", fragt sie durch zusammengepresste Zähne und nickt zu den Griffen des Rollstuhls.
Ich nicke nur, stummgeschlagen.
Und zum ersten Mal frage ich mich, was ich hier überhaupt mache. Und ob ich den Menschen, mit denen ich mich umgebe, nicht eine größere Last aufbürde als die, die ich selbst trage.

Lin hat nicht übertrieben. Der gesamte Lagerraum ist ausgeräumt und man kommt im Wurm kaum noch an die Regale, da sich unzählige Gegenstände bereits in den Gängen stapeln.
Dafür hört und riecht man den Lagerraum schon von Weitem.
Drinnen ist der Raum mit Stroh ausgelegt und in verschiedene Bereiche unterteilt. Ich sehe mehrere Riesenschecken in einem Bereich rumhoppeln, ein ganzes Schwein liegt zwischen ihnen und schläft und in einer anderen Ecke...

"Sind das Ratten?", frage ich ungläubig und betrachte fasziniert und leicht angeekelt das Getümmel vor mir.
"Leider", meint Lin nur vom Wurm aus und kommt Sekunden später mit zwei Hühnern und einer Pute in den Händen wieder. "Alle vom Schlachter. Um dein Gewissen ein wenig zu beruhigen."

Ich starre sie fassungslos an. "Das muss doch ein Vermögen gekostet haben."
Lin lacht nur trocken. "Wenn du nach all der Zeit immer noch glaubst, ich würde mit Geld handeln, dann habe ich deine Intelligenz überschätzt."
Stimmt. Ich habe nicht nachgedacht.

"Was hast du ihm versprochen?", frage ich leise.
"Ich habe seinen Konkurrenten zwei Straßen weiter vergiftet", antwortet sie mit gespielter Leichtsinningkeit. "Er wird für einige Zeit aus dem Geschäft raus sein."

Niemand. Niemand aus meiner Familie wäre jemals für mich so weit gegangen.
Auch Harry nicht.
Wie weit würde Lin für mich gehen? Und tat sie das für mich oder weil ich ihr morgen helfen würde, Ian aus der Welt zu schaffen?

"Und wenn er von dir gefordert hätte, ihn umzubringen?", meine Stimme geht beinahe in den Tierstimmen unter. Währenddessen nimmt Lin ein riesiges Glas mit Salz und streut einen riesigen Kreis direkt um die Tiergehege.
"Dann hätte ich es gemacht. Es wäre nicht das erste Mal und sicherlich nicht das letzte Mal, dass ich dafür bezahlt werde, Menschen zu töten, die anderen im Weg rumstehen."

Skrupellos.
Manchmal frage ich mich, ob Lin überhaupt ein Gewissen besitzt.
Doch wenn ich an den Tag zurückdenke, an dem sie mich aus dem Universitätskeller gerettet hat, bin ich mir sicher, dass zumindest ein Funken von Empathie in ihr steckt.

"Also dann...", Lin ist wieder bei mir angekommen und reicht mir ein Messer.
Ich will es nicht. Ich will all diese Tiere nicht töten.
"Wenn das alles hier vorbei ist, werde ich Vegetarier", murmel ich.
Aber ich muss, wenn das morgen reibungslos über die Bühne gehen soll.

Also schneide ich mir in die Hand, lasse das Blut auf den Kreis tropfen und taste die Energiespuren der Tiere langsam ab, lockere sie hier und da bis ich alle sicher und fest in der Hand habe.
Dann ziehe ich so fest ich kann.

Es geht schnell. Kein einziger Schrei ertönt. Ich sehe noch wie ihre Augen glasig werden, bevor meine Welt verschwimmt und der Schmerz einsetzt, als sich all die Energie in mich presst.
Es ist kaum zu ertragen.
Ich will nicht schreien.
Aber wie so oft sind das, was ich will und das, was ich tue, unterschiedliche Dinge.

Als endlich keine Punkte mehr vor meinen Augen schwirren, fühle ich mich besser als an irgendeinem anderen Punkt in den letzten sechs Monaten.
Dann erst sehe ich das Massaker vor mir und übergebe mich prompt auf den Boden neben mir. Alles, was von den Tieren übrig geblieben ist, ist ausgemergelte Haut, die sich um Knochen spannt.
Es sieht unnatürlich aus und unwillkürlich muss ich wieder würgen.

Ja, ich mache das nicht zum ersten Mal. Aber diese Größenordnung ist nochmal eine andere Kategorie.
Lin läuft schon durch die Gehege und sammelt die Leichname ein. Noch etwas wackelig auf den Beinen stehe ich langsam auf und helfe ihr.

"Du bist bereit für morgen?", fragt mich Lin.
"Wenn du es bist", gebe ich zurück. Sie nickt grimmig.
"Es ist alles vorbereitet. Das Himmelfahrtskommando kann losgehen."

Fight or DieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt