Einladung

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Ich erstarre auf der Stelle, mein Herzschlag beschleunigt sich. Ist Ian auch hier? Würde er mich erkennen? Ich scanne den Raum, aber ich finde nur ihre Energiespur, die beinahe die gesamte Halle einnimmt.

Langsam beruhigt sich mein Herz wieder. Sie kennt mich nicht. Malva Mandory hat mich noch nie in ihrem Leben gesehen.
Durchatmen. Reiß dich zusammen.
Jetzt keine Fehler. Ich kann das.
Ich hebe den Saum meines blattgrünen Kleides an und schlender zu meinem Großvater und ihr rüber.

Die Augen meines Großvaters blitzen warnend auf, als ich mich nähere. Oh, er möchte wirklich nicht, dass ich jetzt komme. Ich aber setze mein bestes Lächeln auf und geselle mich stumm zu den beiden.

"Eine Tragödie, was dort passiert ist", meint Tyson gerade. "Sie haben meine vollste Unterstützung. Und der Täter ist noch immer nicht geschnappt?"
"Das wird er bald", versichert Malva. Ihre Stimme erinnert mich an einen eisigen Gebirgsbach. "Wir lassen niemanden in der Stadt Amok laufen."
"Es ist ein großer Verlust für die gesamte Gesellschaft. Steht inzwischen fest, ob ihr Sohn oder der Zirkel das Ziel war?"
Sie schüttelt den Kopf. „Es ein Verlust für die gesamte Gesellschaft." Und ich begreife im selben Moment, worüber sie reden.

Shit.
Hat der Anschlag von Lin so große Kreise gezogen?

"Wenn ich Sie bei der Suche finanziell unterstützen kann, brauchen Sie das nur zu sagen."
Malva Mandory spitzt die roten Lippen. "Und da dachte ich, wir wären hier, weil Sie Investoren suchen."

Oh, da haben sich aber zwei gefunden.

"Für meine Firma. Und meine Forschungen."

Ist das etwa der Anflug eines Lächelns, der a den Mundwinkeln meines Großvaters zupft?

Und weil es gerade ein guter Moment scheint, mische ich mich ein.
"Es freut mich, Sie kennenzulernen, Madame", ich knickse leicht vor der Dämonin. "Ich bin Flora."
"Meine Enkelin", erklärt mein Großvater.
"Ebenfalls", sie mustert mich von oben bis unten und ich zwinge mich, nicht unter ihrem berechnenden Blick einzuknicken. "Du bist die Enkelin mit der Stillen Seuche."

Eine Feststellung, keine Frage.
Wahrscheinlich hat sie es schon Meter vorher an meiner Energiespur erkannt.
"Ja, genau."
"Eine Tragödie", sie stürzt die Lippen.
"Ich versuche, das beste aus der verbliebenen Zeit zu machen." Ich kann das. Ich schaffe das. Obwohl ich mich am liebsten in die hinterste Ecke verkriechen würde. Ihre Präsenz ist beängstigend.

"Und was machst du? Dein Großvater meinte, du bekommst Privatunterricht."
Oh, auch wenn ich in nicht so vielen Dingen gut bin, ich erkenne eine Herausforderung, wenn sie geäußert wird. Was würde einen Dämon beeindrucken?

"Eigentlich liegen ihre Stärken...", beginnt mein Großvater und legt mir die Hand auf die Schulter, als  Zeichen, mich zurückzuhalten.

Ich denke gar nicht daran. Stattdessen falle ich ihm ins Wort.
"Im Moment interessiere ich mich für die Unterschiede in autotropher und heterotropher Energiegewinnung. Vielleicht kann ich meine letzten Jahre benutzen, um die Unterschiede zwischen Photosynthese und dem tierischen Stoffwechsel zu aufzuklären. Das könnte Elementarmagiern oder sogar Dämon helfen, den Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren zu klären, ihre Vorstellung bezüglich deren Energie schärfen und Energieverluste bei Zaubern und Ritualen senken."

Bingo, zum ersten Mal leuchtet etwas wie entfernter Respekt in Malvas Augen auf.
"Also intellektuell und gebildet. Du interessierst dich für die Wissenschaft?"
"Genau."

Eines muss man meinem Großvater lassen. Er lässt sich seine Überraschung mit keinem Wimpernzucken anmerken. Aber ich kann spüren, dass sich seine Hand wie ein Schraubstock in meine Schulter bohrt.

"Da könnte mein unnützer rebellischer Sohn sich mal ein Vorbild an dir nehmen", sie verdreht die Augen und ich halte für einen Moment die Luft an.
"Vielleicht hast du Lust, in fünf Monaten nach Lienam auf die Wissenschaftsmesse des Ekklesiums zu kommen. Wenn dein Großvater dich entbehren kann."
Ich kann es nicht glauben.
Und sie zwinkert Tyson zu.
"Ich lasse deinen Namen auf die Liste setzen. Junge Talente müssen schließlich gefördert werden."

Damit drückt sie Tyson ihr Champagnerglas in die Hand, winkt uns über die Schulter zu und schreitet wippenden Schrittes davon.

Tyson und ich können ihr beide nur schweigend hinterher starren.



"Du bist wo eingeladen?", Lin schießt aus ihrem Sessel hoch.
"Auf der Wissenschaftsmesse des Ekklesiums ", grinse ich breit. "Exklusive Einladung. Dagegen konnte selbst mein Großvater nichts sagen."
Shua pfeift beeindruckt.

"Ich habe mal ein bisschen rumgefragt", ich sippe zufrieden an meinem Zitronentee und sehe mit Befriedigung, wie sie beide förmlich vor Neugier platzen. "Und ratet mal wer ziemlich sicher noch da sein wird?"
"Nein", Lins Stimme ist kaum zu hören.
"Doch", nicke ich.
"Das ist unsere Chance!" Sie tigert im Zimmer auf und ab.

"Was hat dein Opa gesagt?", Shua, der auf dem Teppich liegt, blickt zu mir hoch.
"Oh, ich kann es nichtmal wirklich sagen." Kurz erinnere ich mich an den Abend zurück.

"Wie konntest du nur?", hatte Tyson mich gefragt. Spätestens da hatte ich wieder bemerkt, auf welch dünnen Eis ich mich seit neuestem bewege. "Dich einfach in das Gespräch einmischen?"
"Ich habe gedacht, ich könnte noch von dir lernen", habe ich ihm ins Gesicht gelogen. Wir wussten schließlich beide, dass ich ihn absichtlich vom Gespräch ausgeschlossen hatte.

In dem Moment war Oliver zu unserer kleinen Versammlung gestoßen und hatte meinem Großvater etwas ins Ohr geflüstert, bevor er wieder gegangen war. Und Tyson hatte mich berechnend von oben bis unten betrachtet. Zum ersten Mal hatte ich nicht wirklich deuten können, was gerade in seinem Kopf vorging.

"Vielleicht habe ich dich unterschätzt. Malva Mandory hat gerade der Firma einen großzügige Spende gemacht und ich bin nicht naiv genug, um zu behaupten, dass das auf meine Kappe geht. Selbst ich habe sie mehr gelangweilt als alles andere. Irgendwie musst du ihr Interesse geweckt haben."

Wieder dieser einschätzende Blick.
"Eine Schande...", murmelt mein Großvater und damit war er davon geschritten.

Ich glaube bis jetzt, dass es das erste Mal war, dass er meinen kommenden Tod betrauert hat.

Nach meiner Beschreibung starrt mich Shua begeistert an, aber Lin hat die Augen kritisch zusammengekniffen.
"Du musst vorsichtig sein", sie schüttelt den Kopf und die Perlen in ihren Zöpfen klirren leise, als sie aneinander stoßen.
"Dein Großvater ist nicht dumm. Er darf dich nicht mit irgendetwas hiervon in Verbindung bringen."

Richtig. Nicht mit der Uni, nicht mit Blutmagie, nicht mit dem Schwarzmarkt, auf dem ich seit vorgestern offiziell meine Dienste anbiete, nicht mit dem Abschlag und ganz bestimmt nicht mit dem Linwurm.
Ich will mir gar nicht vorstellen, was er machen würde, wenn er auch nur eines davon herausfinden würde. Leider muss ich zugeben, dass das selbst meine Vorstellungskraft sprengt.

Wer hätte gedacht, dass ich einmal so schnell in illegalen Machenschaften verwickelt sein würde? Und dann gleich so viele?

"Ok, also wann und wo bringen wir den Dämon um?", greift Lin den Faden wieder auf.
"Nein", ich halte meine Hand hoch. "Diesmal machen wir es auf meine Weise. Wir werden nicht einfach reinstürzen und auf gut Glück etwas ausprobieren. Wir haben fünf Monate Zeit." Und ich habe nicht vor, diese Monate zu verschwenden. Denn ich bin mir noch immer nicht sicher, ob es eine so gute Idee ist, Ian Mandory umzubringen.

"Ok", Lin nickt mir zu. "Dann haben wir fünf Monate, Ians Tod zu planen."

Fight or DieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt