Muscheln, Salz und ganz viel Schwachsinn

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„Komm schon", murmel ich immer und immer wieder. „Funktioniere, funktioniere, funktioniere!" Langsam streue ich das Kochsalz wie beschrieben in einem Ring um die Muscheln herum. In deren Zentrum wiederum thront das Schneckenhaus der Algier gigas. Das Salz soll die Wirkung der Aura stärken und mir den Zugang zu dessen Energie vereinfachen. Jetzt fehlt nur noch der Teil von mir, den ich aufgebe. Der Teil, der mir Zugang zu der Energie lebender Organismen verschafft und dieser Art der Magie ihren Namen gegeben hat.

Zögernd betrachte ich die Nadel, die ich neben mir auf den Boden gelegt habe. Zum zehnten Mal in den letzten zwei Minuten stelle ich in Frage, was genau ich hier eigentlich tue. Ich habe mich in meinem Zimmer eingeschlossen, den Boden mit einer alten Plane ausgelegt und darauf führe ich jetzt mein erstes Ritual durch. Ohne in der Lage zu sein, zu spüren, ob irgendwas von dem, was ich mache, einen Effekt hat.
Könnte nicht besser sein.

Entschlossen greife ich nach der Nähnadel, die meine Mutter normalerweise benutzt, wenn ich mir ein Loch in meine Kleidung gerissen habe. Ich habe sie vorsorglich noch abgekocht.
Jetzt steche ich mir damit in den Finger. Ich unterdrücke ein Zischen. Es tut weh, aber es ist auszuhalten. Vorsichtig lasse ich einen Tropfen Blut auf den Salzkreis fallen, schließe dir Augen, um jegliche andere Faktoren auszublenden und konzentriere mich.

Ich brauche die Energie der Muscheln. Ich brauche sie wirklich.
Langsam blinzel ich durch meine geschlossenen Augen. Der Haufen sieht noch genauso aus wie vorher. Nichts hat sich verändert.
Ich warte kurz. Immer noch nichts. Dann nochmal.
Wieder lasse ich einen Tropfen Blut auf das Salz fallen. Augen schließen. Konzentrieren.

Ich brauche die Energie. Ich sterbe sonst. Verzweifelung bricht sich in mir Bahn, als mein Kopfkino unwillkürlich anspringt. Ich sterbe sonst, verdammt! Ich brauche die Energie!
Aber als ich meine Augen öffne, hat sich noch immer nichts getan. So ein Haufen Mist! Was soll der Blödsinn? Warum wollte bei mir einfach nichts funktionieren?
Nochmal drückte ich an der klitzekleinen Wunde an meinem Finger herum, um einen weiteren Tropfen Blut zu lösen.

Verdammt noch mal, dass muss doch funktionieren! Wut schärft meinen Fokus. Konzentration.
Die Energie soll jetzt gefällig zu mir kommen.
Kaum kommt der Tropfen Blut auf dem Satz auf, zischt es und das gesamte Salz färbt sich rot, als würde sich das Blut vervielfachen und es durchziehen.
Erst zieht es, als würde man nasses Holz ins Feuer werfen. Und dann ... Puff!
Unter Rauchbildung zerfallen die Muscheln und auch das Schneckenhaus zu einem weißen Pulver.

Und für einen Moment kann ich die Energie im Raum klar spüren. Ich spüre, wie sie schwach vom Tisch ausgeht, wie sie durch die Fenster von draußen reinleuchtet. Ich spüre sogar Theas strahlende Energie aus dem Zimmer neben mir. Und ich spüre meine eigene schwach flackernde Energie, die so viel geringer ist, als sie sollte. Doch von dem Kreis vor mir geht nichts aus. Nicht einmal ein kleines bisschen Energie. Einzig mein Blut leuchtet mir schwach entgegen.
Meine Wut wird langsam von Schock und bitterer Enttäuschung überrollt. Mit ihr verschwinden auch die Energiesignaturen.

Und ich stehe wieder ganz am Anfang.


In den nächsten Tagen wühle ich mich ein weiteres Mal durch die Eingeweide der privaten Bibliothek auf der Suche nach einem hilfreichen Buch. Die letzten zwei waren zu fortgeschritten. Ich habe nichts von alldem verstanden, was darin geschrieben stand. Aber es scheint auch kein "Blutmagie für Einsteiger" zu geben. Entweder die Rituale funktionierten nicht oder ich bin zu blöd um etwas zu verstehen.

Unbewusst hebe ich den Kopf und stellte das Buch ins Regal zurück. Ich bekomme Besuch.
"Hey Risy", begrüße ich die junge Architektur-Masterstudentin, die als Hilfskraft in der Bibliothek arbeitet, als sie um das nächste Regal biegt. Da wir beide jeden Tag hier sind und die private Bibliothek selten von anderen genutzt wird, sind wir schnell ins Gespräch gekommen.
"Hey Violet", sie lächelt mich an, die Arme voller Bücher, die wieder einsortiert werden müssen. "Bist du weitergekommenem mit deiner Hausarbeit?"
"Nicht wirklich", antworte ich ihr und nehme ihr einige Bücher ab. Die Hälfte lege ich erstmal in das nächste Regal, weil es mir sonst zu schwer werden würde. Zusammen beginnen wir, die Bücher einzuordnen.

Fight or DieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt