Kapitel 2: »Vergeltung« (Part 4)

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    »Das ist ja ein tiefer Schnitt...«, murmelte Dr. Wolkow, während er Dylans Finger begutachtete. Der Barkeeper verzog das Gesicht und starrte auf seine Hand. An seinem rechten Zeigefinger klaffte eine etwa zwei Zentimeter lange Wunde.
    »Es hat ganz schön stark geblutet. Deswegen bin ich lieber zu Ihnen gekommen.«
    »Vorsicht, das könnte jetzt ein bisschen wehtun...«, sagte Wolkow und sprühte ein wenig Desinfektionsmittel auf den Schnitt.
    »Au!«, entfuhr es Dylan.
    »Wie ist das denn passiert?«, wollte der Schiffsarzt wissen.
    »Nachher findet doch das Halloween-Event statt, und ich musste in der Bar noch eine Menge vorbereiten. Ich war ein bisschen hektisch. Dann ist mir beim Polieren ein Glas in der Hand zersplittert.«
    »Es war trotzdem gut, dass sie gleich zu mir gekommen sind«, sagte Wolkow, während er ein Wattepad auf die Wunde presste und mit der anderen Hand eine Schublade aus dem kleinen weißen Schrank, der sich direkt neben ihm befand, öffnete.
    »Es sind keine Splitter in der Wunde. Ich werde trotzdem einen Druckverband anlegen, um die Blutung zu stoppen.« Er fummelte mit der Hand in der Schublade herum.
    »Das gibt's doch nicht...«, murmelte Wolkow.
    »Was?«, fragte Dylan.
    »Ich habe keine Verbände mehr. Dabei achte ich doch immer darauf, dass welche da sind!« Dr. Wolkow stand auf.
    »Ich gehe schnell ein paar neue Verbände holen. Halten Sie das solange auf die Wunde!« Dylan nahm Wolkow das Wattepad aus der Hand und drückte es sich auf den Finger, während Wolkow das Behandlungszimmer verließ.
Nun war es ganz still um Dylan herum. Einzig das Ticken einer kleinen Wanduhr war zu hören. Neugierig sah sich Dylan im Raum um. Das Behandlungszimmer von Wolkow, das sich in einem der unteren Bereiche des Schiffes befand, hatte einen mit dunklem Holz ausgelegten Boden und metallene Wände. Von der ebenfalls aus Metall bestehenden Decke hing eine kleine, aber grelle Lampe, die direkt auf die Behandlungsliege, auf der Dylan saß, schien. Gegenüber von Dylan befand sich die hölzerne Tür, durch die Dr. Wolkow eben verschwunden war. Neben der Tür stand ein weißer Schreibtisch, auf dem sich ein Computer im Standby-Modus befand. Ringsherum waren die Wände übersät mit Schränken, Regalen oder Kommoden mit vielen Schubladen.
Ein dumpfes Poltern ließ Dylan aus seinen Gedanken hochschrecken. Es klang, als wäre ein Gegenstand aus Glas zerbrochen. Verwundert drehte Dylan seinen Kopf herum. Das Geräusch kam von hinten. Aber er konnte nichts Umgefallenes oder Zerbrochenes sehen. Das Geräusch klang aber auch eher so, als wäre es aus einem Zimmer hinter diesem Raum gekommen.
Immer noch mit dem Wattepad auf die Wunde drückend, stand Dylan auf und ging zu der hinteren Wand des Behandlungsraumes. Vorsichtig legte er sein Ohr an das kalte Metall. Doch auf der anderen Seite war alles still.
Plötzlich fiel Dylan eine feine Einkerbung in der Wand auf. Er ging einen kleinen Schritt zurück, um es besser sehen zu können. Tatsächlich: In der Wand schien eine versteckte Tür zu sein! Nervös drückte Dylan auf das Metall. Tatsächlich gab es nach und er schob die Tür einen Spalt auf.
»Was... ist das denn?«, entfuhr es Dylan erschrocken.

*

Finn hatte sich inzwischen wieder auf dem Bett in seiner Kabine niedergelassen. Vor ihm lag sein aufgeklappter Laptop. Er wollte gerade damit anfangen, ein wenig mehr über die Eclipse zu recherchieren, als es plötzlich an der Tür klopfte.
»Ich komme sofort!«, rief Finn und klappte seinen Laptop wieder zu. Dann stand er auf und ging zur Tür. Vorsichtig schaute er durch den Spion, der daran angebracht. Doch er konnte auf dem Flur niemanden sehen. Verwirrt öffnete Finn die Tür und starrte zu beiden Seiten hinaus auf den Gang. Doch es war tatsächlich niemand da.
    »Hallo?«, rief Finn verwundert. Hatte er sich das Klopfen nur eingebildet? Oder hatte ihm jemand einen Streich gespielt? Er ging wieder zurück in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Aber kaum hatte er sich wieder auf sein Bett gesetzt, klopfte es erneut. Diesmal deutlich lauter und aggressiver als das erste Mal.
    »Was ist denn?!«, schrie Finn. Das Klopfen verstummte diesmal nicht, sondern schien mit der Zeit immer lauter zu werden. Finn stürmte zur Tür und starrte wieder durch den Spion. Obwohl es noch immer klopfte, konnte er auch diesmal niemanden im Spion erkennen. Er spürte, wie sein Herz immer schneller schlug.
    Ohne darüber nachzudenken, riss er die Tür wieder auf. In diesem Moment hörte das Klopfen auf und Finn starrte erneut in den leeren Flur.
»Was ist hier los?«, dachte Finn ängstlich. Spielte hier wirklich jemand einen Streich mit ihm? Oder bildete er sich wieder alles ein? Was war hier nur los?
Mit einem Mal erloschen alle Gaslampen im Flur, und es wurde stockdunkel. Erschrocken wich Finn einen Schritt nach hinten. Er wollte die Zimmertür ertasten, doch er konnte sie in der völligen Finsternis nicht finden!
    Da hörte er plötzlich ein Pfeifen. Es kam aus dem dunklen Flur vor ihm. In dem Pfeifen lag etwas Trauriges. Finn spürte, wie seine Atmung immer schneller wurde. In ihm breitete sich ein Gefühl der Panik aus. Er konnte nicht sehen, was vor ihm passierte.
Auf einmal hörte das Pfeifen auf, und um Finn wurde es so still, dass er nur noch sein eigenes, panisches Atmen hören konnte.
»Wer... wer ist da?!«, schrie er in den Gang hinein. Es kam keine Antwort. Er war von absoluter Dunkelheit umgeben. Plötzlich erklang ein Schrei, und er hörte laute Schritte, die in hohem Tempo auf ihn zuliefen!
Finn schrie auf und fiel panisch nach hinten. Sein Kopf schlug auf den Boden.
    Dann wurde alles still.
Langsam setzte sich Finn auf. Der Flur war wieder beleuchtet. Er drehte sich in alle Richtungen um, doch er war völlig allein.
»Was... was ist nur los mit mir?«, murmelte Finn, während er sich seinen Kopf hielt und sich vorsichtig erhob. Was er gerade erlebt hatte, konnte er sich nicht rational erklären. Es gab keine andere Erklärung. Er musste es sich eingebildet haben.
»Ich... ich verliere den Verstand...«, dachte er mit Tränen in den Augen.

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