Einfach jeder kannte den Namen Zeus. Er war der Vater der Götter und der höchste Gott des Olymps, der Herrscher über Himmel, Blitz und Donner. Ihm wurde nichts als Anbetung zuteil. Und auch ich verehrte ihn sehr.
Meine Rolle als Göttin war jedoch völlig anders als die von Zeus. Ich war die griechische Göttin des Gewissens, der Scham, der Scheu, der Schande, der Sittsamkeit, der Bescheidenheit, des Respekts und der Demut.
Mein Name war Aidos und auch Aedos wurde ich genannt. Ja, ich hatte sogar einen Namen mehr als Zeus. Nur hatte er keinerlei Bedeutung, denn nur wenige kannten diese überhaupt. Die meisten nannten mich Göttin der Schande. Nein, genauer gesagt beschimpften sie mich so. Dabei war ich doch so viel mehr als das.
Mein Titel sprach für sich selbst, und dennoch schenkte mir weder von den Göttern noch von den Menschen jemand die nötige Beachtung oder Anbetung. Nicht einmal obwohl meine Kräfte für das Überleben aller und jedes Einzelnen von höchster Dringlichkeit waren.
Niemand bemerkte dies, denn niemand nahm sich die Mühe, meine Kräfte oder mich genauer zu erforschen. Ich war lediglich einer von vielen Göttern. Und diese anderen Götter versuchten derzeit mich aus dem Olymp zu stürzen. Es ist wohl verständlich, dass ich darüber sehr erzürnt war.
Ich habe immer darauf geachtet, dass Menschen und Götter nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden, indem ich darauf achtete, was sie sagten. Denn Worte wurden oft zu Taten. Taten veränderten sich zu Gewohnheiten. Gewohnheiten bildeten den Charakter, und der Charakter wurde letztlich zum Schicksal.
Ansonsten führte ich ein wunderbares Leben. Ich liebte meine Kräfte und die verschiedenen Aufgaben, die damit verbunden waren, auch wenn niemand anderes sah, was ich erreichte. Zu jeder Zeit schätzte und liebte ich meine Macht.
Meine Stimme war zart und oft wurde ich überhört. Aber genauso oft hatte ich auch Erfolg. Und mit jedem Erfolg fühlte ich mich gestärkt und motiviert. Das war auch notwendig, denn in vielen Situationen waren die Menschen auf meine Ratschläge angewiesen.
Als Zeus mich jedoch zu sich rief, wusste ich, dass etwas geschehen würde, und zum ersten Mal zweifelte ich an mir selbst. Denn wie konnte ich es allen recht machen, wenn sie es nicht sehen wollten? Wie konnte ich meinen Platz bei ihnen behaupten?
Und wie konnte ich überhaupt weiterexistieren, wenn die Anzahl derer, die mich verehrten, mit jedem Tag geringer wurde? Denn meine Kraft und mein Dasein als Gott hing von jedem Einzelnen ab, der an mich glaubte oder mich verehrte. Ja, sogar von denen, die mich fürchteten.
Alles andere machte uns zu einem vergessenen nichts. Es gab einst starke und mächtige Götter, die mittlerweile ausgelöscht waren. Einige von ihnen kehrten jedoch auch zurück. Zum Beispiel erschuf sich der Gott der Seuche immer wieder neu, auch wenn die Menschen nicht glücklich darüber waren.
Und jetzt musste ich mir etwas von diesem Seuchengott abschauen. Ich musste für mich selbst einstehen, obwohl ich eigentlich zu bescheiden war. Ich musste meinem Herzen folgen, obwohl ich den anderen Göttern gegenüber Respekt hatte.
Schon so lange lebte ich unter den Menschen. Es gefiel mir hier sogar sehr gut. Aber es war einfach nicht mein Zuhause. Mein Zuhause war der Olymp. Obwohl ich vor Hunderten von Jahren das letzte Mal als Amme dort war, für Zeus' Tochter Athene.
Es war nichts, das jemals als Habenseite auf Zeus' Liste stehen würde. Auch nicht, obwohl Athene Zeus' Lieblingstochter war. Dennoch konnte man mit Zeus umgehen, ganz anders als mit seiner Frau Hera. Aber bei all den Liebschaften, die Zeus pflegte, war das wohl nicht verwunderlich.
Und da Athene nicht Heras Tochter war, lag es in meiner Verantwortung, mich um sie zu kümmern. Immerhin hatte Zeus seine mit Zwillingen schwangere Geliebte Metis verschlungen. Sie war die intelligenteste unter uns Göttern.
Ein Orakel war dafür verantwortlich. Wie konnte es auch anders sein? Zeus' Sohn sollte ihn stürzen und seine Tochter sollte ihm ebenbürtig sein. Das war etwas, das Zeus niemals akzeptiert hätte. Nein, er hatte sogar Angst.
Neun Monate lang plagte Zeus ein solches Kopfzerbrechen, nachdem er Metis verschlungen hatte, dass er Hephaistos darum bat, ihm den Schädel einzuschlagen. Und dieser tat es mit einer Doppelaxt. Oder war es doch ein Hammer? Sein Kopf spaltete sich jedenfalls daraufhin. Gut, dass wir Götter in dieser Hinsicht unsterblich sind, sage ich euch.
Die Geburtsstunde Athenes war zweifellos bemerkenswert. Zu dieser Zeit konnte Metis offensichtlich nicht mehr für sie sorgen. Immerhin war sie verspeist worden. Also sprang ich ein und durch mich hatte Athene Gewissen und Verantwortung gelernt. Sie war eine Kriegsgöttin mit Verstand. Den Scharfsinn jedoch hatte sie von ihrer intelligenten Mutter geerbt.
Ihr fragt euch jetzt sicher, ob ihr euch all diese Götternamen merken müsst. Natürlich müsst ihr das, denn nur so können wir weiter existieren! Habt ihr etwa bislang nicht aufgepasst? Aber keine Sorge, ich werde euch helfen, meiner Geschichte zu folgen und mein großes Geschenk an euch endlich zu erkennen.
Die innere Stimme in mir würde mir sicherlich auch dieses Mal helfen, die Situation mit Zeus und den anderen Göttern richtig einzuschätzen und einen Weg zu finden, um alle zu überzeugen und meinen Platz zu sichern.
Ich verabschiedete mich von meiner treuen Begleiterin, der Göttin Nemesis, die für Gerechtigkeit und Vergeltung zuständig ist. Ebenso verabschiedete ich mich von den Moiren, den Schicksalsgöttinnen, die dieses Mal in ihrer dreifachen Form anwesend waren und mit denen ich eng zusammenarbeite.
Sie glaubten an mich und wussten meine Kräfte zu schätzen. Genauso wie ich die ihren zu schätzen wusste. Und auch in Zukunft würden wir uns die Hand reichen. Wir waren ein gutes Team. Aber auch jede für sich alleine gestellt war wichtig.
Mir entging nicht, wie seltsam es war, dass mein Schicksal nun genau in den Händen dieser Göttinnen lag, mit denen ich so lange zusammengearbeitet hatte. Ich hoffte sehr, dass sie mir helfen konnten, so wie sie es bei den Menschen taten.
Die Frage war lediglich, ob Zeus es zulassen würde. Oder ob er sie ebenfalls zu sich rufen würde. Denn wenn er dies nicht tat, würden sie hinter mir stehen. Mit dieser Überzeugung verließ ich die Menschen und begab mich zum Olymp. Wenn Zeus rief, ließ man ihn nicht warten. Das wusste wirklich jeder.
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Hey ihr Lieben,
der Prolog hatte sehr viele Infos für euch. Ich entschuldige mich dafür. Das liegt daran, dass ich die Mythologie der Götter richtig darstellen wollte. Bis auf das Zeus Aidos zu sich ruft und die Götter diese stürzen wollen, ist alles genauso in verschieden Schriften zu finden. Ab dem 1. Kapitel wird es leichter.
Eure Patty ❤️
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Göttin der Schande ✅️
Фэнтези★ONC LONGLIST 2024★ »Der Zufall führt uns manchmal auf Wege, die wir mit Absicht nie finden würden. Und das Glück ist das Einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu besitzen. Es ist sinnlos zu glauben, dass wir unser Dasein bis ins kle...