Hera nahm neben Zeus Platz. Währenddessen näherte sich Kairos Dionysos. Zeus war also müde? Mir ging es genauso. Selbst jetzt, wo mein Dasein langsam verblasste, fand ich keine Ruhe. Nichts sehnte ich mir mehr herbei als die Nähe zu Aidos, die mir beides gab. Nie zuvor hatte ich mir etwas gewünscht, doch der Wunsch nach ihr und unserem Schatz war stärker als alles andere.
„Ich habe eine Ahnung, was du ihn fragen möchtest", sagt Zeus zu Kairos, noch bevor dieser mit Dionysos sprechen konnte. Kairos' Körpersprache wirkte nervös. „Die Beantwortung deiner Frage ist nicht einfach. Schließlich habe ich es noch nie versucht." Verwirrt beobachtete ich die Situation. Zeus war so ruhig wie nie, was mich irritierte. Zudem schien er immer wieder zu mir und Aidos zu blicken. Ich verstand nur nicht, warum sein Blick so gequält wirkte.
»Ich kann nicht für immer die Zeit anhalten«, sagt Kairos. Er blickte mich an, dann zu Zeus, Hera und schließlich zu Dionysos. »Zeus, wenn noch ein Funke Hoffnung besteht, dann tue dein Bestes.« Zeus runzelte die Stirn und streichte sich übers Gesicht. »Meine Kräfte werden nicht ausreichen für sie alle. Wen soll ich also wählen und wen nicht?« Unruhe breitete sich im Olymp aus, während ich langsam verstand, was hier vor sich ging.
»Bitte entscheide dich für Aidos und unser Kind«, forderte ich sofort. Doch meine Stimme ging inmitten der vielen anderen beinahe unter, wie ungesprochene Worte. Zeus hielt sich schmerzverzerrt den Kopf, während er zu Hera blickte. »Aidos und auch Eros hatten wichtige Aufgaben. Jemand muss sie übernehmen, falls du sie nicht wählst. Außerdem wissen wir nicht, ob das Kind ein Mensch oder ein Halbgott sein wird. Du solltest sorgfältig darüber nachdenken. Auch wenn ich weiß, dass sie sich beide für ihr Kind entscheiden würden. Das heißt jedoch auch, dass die Entscheidung im Sinne von Aidos fallen muss.«
Ich fühlte Dankbarkeit und Erleichterung in mir, denn es entsprach meinem Wunsch. Auch wenn ich mir wünschte, dass wir alle zusammen sein könnten. Ich verstand nicht, was mit Hera oder Zeus los war. Sie schienen fast Mitgefühl zu haben. Gerade Zeus, der uns so kalt vernichtet hatte. »Und wenn Kairos die Zeit einfach zurückdreht«, sagte nun Dionysos. »Es ist zwar verrückt, aber immerhin stammt die Idee von mir.«
Kairos schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann die Zeit kaum noch aufhalten, sie zurückzudrehen ist undenkbar. Es muss eine Entscheidung getroffen werden, bevor sie alle erlöschen!« Wie vom Blitz getroffen, der mich zum Leben erweckte, sprang ich auf. Bedeutete das, dass ihre Zeit wie meine stillstand? Aber Kairos hatte gesagt, sie wären erloschen. Tränen liefen mir über die Wangen, als ich auf Kairos zuging. »Aidos...«, sagte ich mit zitternder Stimme.
»Ich wollte euch keine falschen Hoffnungen machen. Weder dir noch ihr... ich kann euch nicht zur der gleichen Zeit zusammenführen. Zu deiner Zeit würde bedeuten, Aidos Zeit wäre schon vorbei. Die Zeit zurückzudrehen, um dich in ihrer zu haben, ist aber auch nicht möglich.« »Vielleicht kann ich etwas tun«, sagte Klotho von den Moiren.
»Ich könnte versuchen, die Lebensfäden aller drei weiter zu spinnen, aber dafür müsste Zeus sie zuerst wieder erwecken. Du müsstest sie nicht neu erschaffen, Zeus! Schließlich würden sie dann auseinandergerissen. Ohne Eros kein Kind. Und ohne Aidos kein Kind. Und wer sagt uns überhaupt, dass sie wieder zusammenfinden würden«
Zeus schaut sowohl mich als auch Aidos an. »Ich überlasse die Entscheidung euch!«, sagte der Göttervater. Die Antwort war bis vor kurzem so einfach, aber nach Klothos Worten hat sie sich völlig verändert. Denn ich wollte nicht ohne Aidos oder unser Kind sein. »Ich bin für Klothos Plan.« Ein Lächeln erschien auf Zeus' Gesicht. »Schön, dass ihr euch darüber einig seid.« Er erhob sich und näherte sich mir. Ohne zu zögern, ließ er erneut einen Blitz durch meinen Körper fahren.
Beim nächsten Lidschlag half mir Dionysos aufzustehen. Als ich erneut blinzelte, bewegte sich Aidos und Athene half ihr hochzukommen. In der Zwischenzeit hörte ich Nemesis vor Freude quietschen und schreien. Ich konnte kaum glauben, dass all das wirklich passierte. Doch als ich Aidos Gesicht ansah, verschwand die Freude. »Klothos?«, fragte sie leise und gequält. »Ich tue alles, was ich kann, Aidos«, antwortete diese voller Anstrengung.
»Ein weiterer Blitz würde es erlöschen. Ich kann nichts mehr tun«, sagte Zeus nun und sank dabei zu Boden. Hera berührte sowohl Aidos Schulter als auch die von Klotho. »Ich tue ebenso alles«, sagte sie fest. Weitere Hände folgen von den Göttern. Während ich meine Hände auf Aidos Bauch lege und ihre Stirn liebevoll küsste. Als Zeus Hand sowohl auf meinem als auch auf Aidos Kopf landete, ließ sie es ebenso wie ich zu. Dies nahm Zeus dankend mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis.
Als Klothos ihre Hände von Aidos löste, spürte ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Als auch die anderen Götter ihre Hände zurückzogen wurde mein ungutes Gefühl bestätigt. Aidos schrie vor Schmerz auf, ihr lautes und verzweifeltes Schreien hallte wie ein Echo von jeder Säule des Olymps wider. Sie weinte unerbittlich und ich schloss mich ihr an. Ich konnte nicht begreifen, dass wir so weiterleben sollten.
»Es ist noch nie vorgekommen, dass alle Götter gleichzeitig weinen«, sagte Zeus betrübt. »Es tut mir leid, was ich euch allen angetan habe. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun konnte. Einst war ich voller Güte, Hoffnung und so voller Liebe...« »Der Wahnsinn, den ich dir geschickt habe, hat die Dinge nicht besser gemacht«, unterbrach Dionysos. Und auch weitere Götter entschuldigten sich bei Zeus, da sie ihn ebenfalls all das Böse mit ihren Kräften zugefügt hatten.
Jeder von ihnen drückte den Wunsch aus, dass wir unser Kind zurückbekommen sollten. Obwohl es tröstlich war, half es uns nicht wirklich, damit umzugehen. Unser Schatz hatte dazu beigetragen, dass Zeus sich zum Guten veränderte und auch der Olymp veränderte sich damit. Zum ersten Mal fühlte ich mich hier zu Hause und Aidos ging es nicht anders. Denn die Götter standen uns bei und waren endlich zu unserer Familie geworden.
»Der Zufall führt uns manchmal auf Wege, die wir mit Absicht nie finden würden. Und das Glück ist das Einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu besitzen. Es ist sinnlos zu glauben, dass wir unser Dasein bis ins kleinste Detail vorherbestimmen können. Das Schicksal wird schließlich immer das letzte Wort haben«, sagte Zeus vergnügt, während der Olymp von einem Schrei erfüllt wurde, der seine Worte nur bestätigte. Dieser Schrei kam allerdings nicht von Aidos, sondern von dem kleinen Mädchen in ihren Armen. Tyche - die Göttin des Zufalls, des Glücks und des Schicksals.
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Hallo ihr Lieben,
ich habe mich für Kairos, Dionysos und Tyche entschieden, weil ihre Mythologie so gut zur Geschichte passte. Bei Tyche war es noch die unklare Herkunft im Vergleich zu den anderen Göttern, da Aidos und Eros ja eigentlich kein Paar waren.
Ich hoffe euch hat die Geschichte gefallen und ihr seid mit dem Ende zufrieden. An dieser Stelle bedanke ich mich bei jedem einzelnen Lesern von Herzen. Eure Votes und Kommentare haben mich beim Schreiben sehr unterstützt und die Fragen hierzu waren immer sehr hilfreich.
Eure Patty 💕
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Göttin der Schande ✅️
Fantasia★ONC LONGLIST 2024★ »Der Zufall führt uns manchmal auf Wege, die wir mit Absicht nie finden würden. Und das Glück ist das Einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu besitzen. Es ist sinnlos zu glauben, dass wir unser Dasein bis ins kle...