Ich bemerkte sofort Eros' Verärgerung über meine Worte. Eigentlich wollte ich ihm nur meine Gefühle mitteilen, die ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst eingestehen konnte. Doch nun war mir alles klar. Eros hatte mir etwas gezeigt, von dem ich nie geahnt hätte, dass es für mich möglich sein könnte: Ruhe, Frieden und Genuss. Ich war unsicher, wie ich darüber denken sollte. War es mir überhaupt erlaubt, solche Gefühle zu empfinden?
Als wir vor Zeus und den anderen Göttern erschienen, blieb ich gefasst. Eros war mein Fels in der Brandung. Seine Hand hielt meine fest umschlossen, ohne mich einzuengen oder loszulassen. Die angenehme Wärme seiner Berührung wirkte beruhigend auf mich. Im Gegensatz dazu verkrampfte sich meine Hand, die das Stückchen Stoff umklammerte, dass Eros mir gab. Dieser Kontrast spiegelte meinen inneren Zwiespalt perfekt wider. Perfekt, hatte Eros zu mir gesagt. Wärme durchströmte mich bei diese. Gedanken.
»Eure Ankunft hat mich einige Zeit gekostet.« Zeus' Finger trommelten ungeduldig auf der Lehne seines Stuhls, während sein prüfender Blick über uns hinwegstrich. Schließlich verweilte er auf mir. Eros versteinerte neben mir, während ich regungslos blieb. »Doch wie ich sehe, erfüllt Eros gewissenhaft seinen Auftrag.«
Ich verspürte das Verlangen, Eros' Hand zu drücken, wie er es zuvor am Fluss getan hatte. In der Hoffnung, dass es ihm etwas Trost spenden würde, so wie es mich beruhigt hatte. Sein Blick wandte sich mir kurz zu, und ich erwiderte ihn. Hatte er meine Absicht verstanden? Zeus' Schrittgeräusche veranlassten uns, uns wieder ihm zuzuwenden. Der Göttervater blieb vor mir stehen. Seine Hand erhob sich, und ich ahnte bereits, was geschehen würde. Ich würde es erdulden müssen, aber es nicht ertragen können. Ich schloss die Augen und holte tief Luft.
Doch zu meiner Überraschung geschah nicht, was ich befürchtet hatte. Eros hatte mich beschützt und als ich meine Augen öffnete, stand er nun vor mir und schirmte mich ab. »Aidos hat für heute genug Lektionen erhalten, wie du an ihren Spuren erkennen kannst«, sagte er mit unerwarteter Sanftmut. »Sollte ich das nicht beurteilen, Eros«, donnerte Zeus wütend zurück. Der Olymp bebte gefährlich und die Wolken ballten sich über uns zusammen.
»Nach meiner Erinnerung lautete das Urteil, dass sie sich mir oder allen anderen Männern unterwerfen sollte. Sie hat sich für mich entschieden, was dich und alle anderen ausschließt.« Der Olymp wirkte auf mich so finster wie nie zuvor. Der Donner über uns war ohrenbetäubend und die einzigen Lichtquellen waren die grellen Blitze, die durch die Luft zuckten. Doch trotz allem empfand ich keine Furcht.
Im Gegensatz zu vorher empfand ich plötzlich ein Gefühl der Sicherheit. Eine Sicherheit wie zuvor am Fluss, als Eros mich lenkte. Diese Sicherheit verstärkte sich noch, als die Moiren hinzukamen und sich neben Eros stellten. Auf der anderen Seite des Liebesgottes gesellte sich Athene hinzu. Und Nemesis trat hinter mich und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich spürte noch etwas anderes als Geborgenheit. Nur konnte ich dieses Gefühl nicht einordnen. Es war mir so fremd.
»Ich bin auf Bitten von Eros hier, werde aber gehen, wenn du dich nicht zurückhältst, Vater«, sagte Athene mit lauter, fester Stimme. Trotz des Tumults verstanden alle Götter ihre Worte. Ein Raunen ging durch den Olymp. »Aidos, du wagst es meine Tochter gegen mich zu wenden!« Zeus wollte sich mir nähern, Athene jedoch ging in Verteidigungsstellung, während Eros nicht von mir abrückte. »Das ist nicht wahr. Es ist an der Zeit, dass du Aidos endlich den gebührenden Respekt erweist.«
Zeus' Gelächter hallte durch die Lüfte, vermengte sich mit dem Donnern und dem Rauschen des Windes und trug sich fort. Es hinterließ ein Gefühl der Leere. Ich wusste nicht, was ich getan hatte, aber ich erkannte, dass Zeus mich niemals als einen der Seinen betrachten würde. »Weshalb sollte ich dies tun? Sie ist nicht wie wir und wird es auch niemals sein! Hätte ich geahnt, welches Ärgernis sie mir bereiten würde, hätte ich sie nie erschaffen! Doch ich benötigte damals ein Werkzeug für niedere Aufgaben und etwas mehr Freizeit für mich.«
Inmitten der tiefsten Schwärze, die nicht nur von Zeus' verdunkelnder Macht herrührte, sondern auch aus den aufrüttelnden Worten, die sich in mein Bewusstsein brannten, fand ich mich wieder. Erschaffen von ihm, doch so anders als die anderen. Die Erkenntnis, die sich mir erschloss, ließ mich taumeln und gegen Nemesis stoßen. Ihre liebevollen Arme umschlossen mich und hielten mich in dieser bedrückenden Finsternis aufrecht.
»Sie war ein Mensch!?«, brachte Athene meine Sorge zum Ausdruck, und Zeus lachte erneut. „Sie war ein Nichts! Eine Niemand. So wie sie es auch jetzt ist!", antwortete Zeus, und der Olymp erstrahlte wieder. „Wenn das so ist, warum dann sie?", fragte Athene weiter, und ich wünschte, sie würde es nicht tun. Denn ich war nicht bereit mehr zu hören.
»Wegen ihrer demütigen Bitte um ihr armseliges Leben. Ich wählte sie, weil sie die gleichen Dinge immer wieder sehen würde, die sie zuvor erlebt hat. Geboren in Schande, gestorben in Schande und geschaffen in Schande, und nach meinem Urteil wird sie auch in Schande enden! Ob durch Eros oder indem ich sie wieder zu einem Menschen mache und es endet, wie es begonnen hat!«
Die Atmosphäre war eisig geworden, kein Lachen war mehr zu hören. Der Lärmpegel zuvor war vollkommen verstummt. Ich blickte über den Olymp und bemerkte zum ersten Mal einen Hauch von Bedauern in den Gesichtern der anderen Götter. Als ich Zeug erblickte, wirkte sein Blick verzerrt. Ich fragte mich, ob der Schlag des Hammers seinerzeit seinem Verstand geschadet hatte, denn erst danach hatte man mich erschaffen. Meine göttlichen Freunde boten mir weiterhin Schutz, und sogar Eros wich nicht von meiner Seite, stets die Bewegungen von Zeus im Auge behaltend.
Obgleich die Göttinnen alle furchteinflößend waren, wirkte niemand unheilvoller als Eros. Nicht einmal Zeus selbst. Zum ersten Mal verspürte ich den Drang, Eros zu analysieren. Zu meiner Erleichterung wagte es niemand, seine Stimme zu erheben. Nur Athene konnte sich eine solche Kühnheit erlauben. Mein Blick richtete sich auf sie, und mit Entsetzen erkannte ich, dass ich möglicherweise mehr als nur mein menschliches Leben verloren hatte.
»War ich eine Mutter«, fragte ich, und Zeus' Lachen verstummte sofort, als er zögerlich nickte. »Die Kinder holen sie sich immer zuerst. Mütter waren die perfekten Opfer. Wer würde noch kämpfen oder sich wehren wollen, wenn er das Wertvollste im Leben verloren hat? Athene brauchte jemanden, und du genauso...«, sagte Zeus mitfühlend, bevor er sich umdrehte, auf seinen Thron setzte und sich an den Kopf griff.
Ich konnte mich nicht an mein menschliches Leben erinnern. Dennoch erklärte es, warum ich bei der Erfüllung meiner Aufgabe als Athenes Amme aufging und diese Aufgabe überhaupt übernehmen konnte während ich bei meinen restlichen Aufgaben solche Qualen erlitt. Ich hatte schreckliche Dinge erlebt und dennoch, um mein Leben gefleht. Warum hatte ich diesen Wunsch und ihn auch geäußert?
Nur Bruchstücke der folgenden Worte drangen an mein Ohr. »Hast du einen weiteren Stein für mich, liebste Tochter?«, fragte Zeus Athene. »Lege ihn zu den anderen und verschwindet dann alle! Ich will alleine sein.«
1162 Wörter
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Hallo ihr Lieben,
es wird den Experten der griechischen Mythologie nicht entgangen sein, dass Aidos' Vater tatsächlich unter dem Namen Prometheus bekannt ist. Die Mythologie um ihn ist wieder einmal äußerst faszinierend. Er brachte den Menschen zum Beispiel das Feuer.
Daher ist die Schöpfung von Aidos in meinem Werk natürlich auch nicht korrekt. Letztendlich handelt es sich um eine fiktive Geschichte und Prometheus findet in dieser Geschichte leider keinen Platz. 😉
LG Patty ❤️
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Göttin der Schande ✅️
Фэнтези★ONC LONGLIST 2024★ »Der Zufall führt uns manchmal auf Wege, die wir mit Absicht nie finden würden. Und das Glück ist das Einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu besitzen. Es ist sinnlos zu glauben, dass wir unser Dasein bis ins kle...