13 | Hölle am Tresen

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Da ich merke, dass auf ihr Ah noch etwas folgen wird, bleibe ich ruhig, wie ich es mir mantramäßig vorher noch eingebläut habe.

»Ach Wy. Also möchtest du Fragen stellen und eine Antwort bekommen?« Sie zieht ihre Stirn kraus. »Ist doch so, oder etwa nicht?«

Nein, nein, nein. So war das nicht gemeint. Ganz und gar nicht.

»So geht das nicht, Myst«, versuche ich so wenig wie möglich auf ihr Spiel einzugehen. »Es ist meine Bar, du kannst nicht einfach behaupten, dass du meine Angestellte bist und dann ...«

Mir gehen die Argumente aus, ich habe keinen Plan von den Regelungen hier. Was ist, wenn sie die Wahrheit sagt, es dennoch gleichzeitig als Spießumdrehung nutzen will? Und meine Taktik kam noch nicht einmal zum Vorschein ...

Wie schafft sie es bloß, so viel Unruhe zu verbreiten?

»Und dann was?«

»Was auch immer du gerade versuchst, damit zu bezwecken.«

»Was ist daran so schlimm, wenn ich dir helfe?«

»Weil dann alles durcheinander kommt. Du bist auf der Seite und ich hier.« Ich zeige von ihr zu mir – zwischen uns der Tresen.

»Alles ist veränderbar; alles möglich.« Sie schaut sich um, guckt mich dann wieder an. »Wie lange hat es eigentlich bei dir gedauert, bis du begriffen hast, dass du wohl tot bist?«

»Ich bin tot? Waaas?« Mit einer überdramatischen Handgeste vor dem Mund vervollständige ich die Szene. »Crazy Shit«, füge ich lächelnd an. 

Dann bücke ich mich, um schon mal aus dem Kühlfach die Früchte für die Cocktails zu holen. Dabei bemerke ich etwas; sehr zu meiner Freude: Hallo Taktik! Geht doch. Jetzt nur so weiter. Ich habe geahnt, dass sie das heute vorhat. Mich mit Fragen quälen, bis ich aufgebe. Nicht mit mir.

»Warum eigentlich Sonderbar?«, pfeffert sie direkt die nächste Frage raus, sobald ich wieder in ihr Sichtfeld komme.

»Mhm. Ja, das ist schon sonderbar, oder nicht?« Ich kichere mir einen weg – leider nur gedanklich. Nach außen versuche ich ernst zu bleiben.

Ihr dünner Zeigefinger zeigt auf mich. »Warum bist du der Barkeeper?«

Uh, das ist schwierig, derart zu beantworten. Zum Glück habe ich gerade den Wasserhahn an der Spüle betätigt, um den Lappen auszuwaschen. Das verschafft mir etwas Zeit. »Ich passe einfach ins Klischee«, sage ich achselzuckend. Wie mies war diese Antwort bitte?!

»Seit wann bist du hier?«

»Ich war doch gar nicht weg«, kommt von mir wie aus der Pistole geschossen.

»Warum hast du mehrere Kleidungsstücke und kannst wechseln?«

Ich bin versucht zu sagen, dass wir das schon hatten, aber das stimmt nicht. Mist. Da lag der Fokus auf ihrem blöden gelben Kleid. »Vielleicht liegt es daran, dass ich so dirty bin?!« Ich wackele mit den Augenbrauen.

Sie hat wohl nur auf meine Antwort gewartet, denn prompt kommt die nächste Frage: »Wieso bist du hier?«

»Ist mein Job«, sage ich schnell, obwohl ich genau weiß, dass sie etwas anderes damit meinte. Wie bei vielen anderen Fragen auch schon.

Aber apropos Job. Vor allem ist es mein Job zuzuhören und nicht unendlich viele Fragen zu beantworten, mich einem Kreuzverhör zu stellen oder sonst wie was. Und ich Idiot gehe auch noch darauf ein.

Diese Frage ... Nein, vielmehr bringt sie mich mit all ihren Fragen auf die Palme. Was soll das nur werden? Warum tut sie das? Und wozu? Ich verstehe den Sinn nicht und wenn ich etwas nicht begreife, ... könnte ich schreien. Gerne auch sie anbrüllen.

Vielleicht ist ihre Mission ja auch: »Tausch mit dem Barkeeper die Rollen – so kommt alles richtig gut ins Rollen.« Taktiken sind schon wunderbar, wenn sie greifen würden, ist schon klar.

Auch das bekommt sie wunderbar hin und kommt hier schneller raus als viele andere. Ich würde ihr gerne vom Steg aus nachwinken. Auf Nimmerwiedersehen.

Doch ein anderes Bild drückt sich vor mein geistiges inneres Auge. Ich sehe ein imaginäres Basketballfeld vor mir aufblinken, auf dem sie erneut einen Korb nach dem anderen macht. Ganz toll hinbekommen.

Mann o man. Was macht sie nur mit mir? Und sie steht weiterhin da und fixiert mich mit ihren eisigen Augen. Ich fühle mich machtlos. Und kein anderer ist da. Wo bleiben die alle bloß? Ist es echt noch so früh?

Das fällt mir jetzt echt schwer zu sagen, aber ich sehe gerade keinen anderen Ausweg für mich. Das kann echt nicht wahr sein. »Okay, meinetwegen hilfst du, aber«, ich hole noch mal tief Luft, »du bleibst dort und ich hier. Verstanden?«

Sie stiert den Tresen an, den ich gerade als Grenze gezogen habe und auf welcher Seite sie sich aufzuhalten hat.

»Hast du mich verstanden?«, frage ich deutlich nach.

»Ja«, gibt sie sich wohl einen Ruck zu sagen, »habe ich.« Sie seufzt auf.

Nachdem ich so oft Ding-ding-ding in meinem Kopf für sie gehört habe, geht dieser eine Punkt wenigstens an mich. Applaus, Applaus. In meinem Kopf steigen Luftballons auf – aber nicht einmal da bekomme ich die Hüfte zu einem Elvis-Move geschwungen.

K. o. stehe ich nun hier und mein Arbeitstag hat noch nicht einmal begonnen. Völlig platt. Ein Blick in ihre Fre..., in ihr Gesicht macht mir deutlich, dass sie es auch ist. Doch ziemlich sicher auf einer anderen Bedeutungsebene.

Ja Myst, auch ich kann punkten. Wenn auch nicht so gnadenlos wie du. Ob ich mir noch einen weiteren Zug leisten kann? »Ab morgen, Myst«, wage ich den Schritt und bestimme ich.

O je! Wenn das nicht mal ein Fehler war und ich mir die Hölle ins Paradies heraufbeschworen habe? 

SonderbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt