10 | Schaurig-lustige Fortschritte

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Ihre Hände wandern zu ihrer Taille, damit sie sich dort hinein stemmen können, das sieht ganz schön schmerzhaft aus, so doll sie die da rein hämmert. 

»Ja, das ist meine Antwort«, äfft sie mich dann tatsächlich nach. Da schlägt mir ja die Kinnlade beinahe auf den Tresen. »Weil ich unzufrieden bin?«, hakt sie zusätzlich störrisch nach.

»Nein«, ich schüttle meinen Kopf, »weil das meine Antwort ist.«

»Dann will ich noch eine Frage stellen!«

Oha, die Kleine entpuppt sich nicht nur als Biest, sondern auch noch als Zicke und obendrein als Herausforderin. Eieiei, Eselei.

»Fragen kannst du stellen, so viele du willst. Ob–«

»Warum hattet ihr euch versteckt, als ich ankam?«

»Ob du Antworten erhältst, ist allerdings eine andere Sache. Das ist das, was ich gerade noch sagen wollte.«

Jetzt starrt sie mich erbost an. Nein, vielmehr sucht sie den direkten Augenkontakt. Sie fordert mich zu einem Blickduell heraus. Na dann, das kann ich. Kein Problem. Da hat sie sich den Falschen ausgesucht. Darin bin ich ein wahrer Meister gegen wirklich alle Geister. 

Doch diese Augen ... Diese Farbe. Dieses Eisblau. Das ist doch nicht normal.

»Das war ja langweilig. Du bist überhaupt kein Gegner.«

Echt schon vorbei? Ich habe es noch nicht mal bemerkt ... Verdammt! Wohl eher ein wahrhaftiger Loser. 

»Also, warum ward ihr versteckt?«

»Wegen der Nicht-Toten«, antworte ich mit wegwerfender Handbewegung. Soll ja nicht so rüberkommen, als würde es mich mächtig stören, dass sie mich besiegt hat. Tut es aber ...

Sie springt entsetzt auf und taumelt zurück. »Dann können auch Nicht-Tote hier auftauchen? Was passiert dann? Und sind dann wirklich alle von uns tot? Wie können wir das dann wirklich wissen?«

»Du bist echt neugierig!«

Aber ... Was ist, wenn heute erneut die Türglocke losgeht? Widerwillig werde ich sie aufklären müssen. Das kann doch nicht wahr sein, dass sie nun zweimal ihren Willen bekommt. Das muss ich mir merken.

Mit den noch immer oder wieder in den Seiten gestemmten Händen funkelt sie mich mit ihren Augen irgendwie auf ungeheure Art an. Will sie mich jetzt angreifen?

»Was soll das werden?«, frage ich sie.

»Ich will Antworten!«

Statt ihr eine zu geben, muss ich lachen, weil sie nashornähnlich auf mich zumarschiert. »Okay. Stopp. Warte doch«, sage ich zwischen meinen Lachern.

Dennoch kommt sie weiter auf mich zu, jedoch nur um sich wieder auf ihren Platz zu setzen. Ich erzähle ihr in Kurzform, wie es abläuft. Am gestrigen Beispiel, ihrem eigenen. Dann erläutere ich, was wir machen, wenn Vorübergehende – also Nicht-Tote – erscheinen. Zuerst ist es dasselbe Prozedere, deswegen bleiben wir ja versteckt, um herauszufinden, um wen es sich handelt und wie wir reagieren müssen.

Und wie wir wen erkennen ... »Vorübergehende sind schimmernd«, erkläre ich. »Nicht ganz, du wirst den Unterschied bemerken, glaub mir.«

»Aha«, ist alles, was sie dazu äußert.

»Bei ihnen entscheiden wir spontan, was wir machen. Zur Auswahl steht Ignorieren oder Darstellendes Spiel.« Ihre gekrauste Stirn verrät mir, dass sie nicht ganz begreift, was ich meine. »Wir machen eine Impro. Mal schaurig, mal lustig oder eine Kombi.«

»Warum?«

»Warum nicht?«

Krause-Stirn kraust ihre Stirn noch mehr. Etwas, was ich vorher nicht für möglich gehalten habe. Sie scheint hart nachzudenken. Ich warte einfach ab. 

»Schaurig-lustig fände ich am besten«, urteilt sie zu meiner Überraschung. Wir machen Fortschritte. »Wann wird es das nächste Mal so weit sein?«, kommt dann jedoch von ihr.

»Du stellst Fragen. Woher soll ich das denn wissen?« Ich zucke mit den Schultern und zeige danach auf die Countdown-Anzeige. »Dann, wenn es so weit ist.«

Offenbar gibt sie sich damit ausnahmsweise zufrieden. Zumindest in diesem Augenblick. Nun betrachtet sie mich aber von oben bis unten, scannt mich schon eher ab. Was ist denn jetzt los? Habe ich irgendwo etwas kleben? 

Dann hebt sie mal wieder ihre Hand, deutet zunächst auf mich, um dann vor mir mit ihren dürren Fingerchen herumzufuchteln. »Warum hast du unterschiedliche, also mehrere Kleidungsstücke und kannst dich umziehen und ich habe nur das?«

»Was pikierst du dich denn? Das Kleid steht dir doch.«

»Es ist gelb!«

Und wie sie sich echauffiert. »Also ich mag gelb.«

»Ich nicht.«

»Ich schon.« Gelb wie die Sonne zum Beispiel.

»Ich aber nicht.«

»Willst du jetzt tauschen?« Oder was soll das werden?

»Wenn du–«

»Das war ein Scherz«, unterbreche ich sie. Sie kann das doch nicht für einen ehrlichen Vorschlag gehalten haben. »Außerdem ist das dein Kleid. Irgendetwas musst du dir doch dabei gedacht haben.«

»Fragt sich nur was«, äußert sie sich wohl eher an sich selbst gerichtet. »Eine Antwort habe ich aber nicht von dir bekommen.«

»Richtig.« Süffisant grinse ich sie an. Davon hat sie ja auch schon mehr als genug bekommen.

Trotzig nimmt sie ihr Glas in die Hand und wendet sich ab. 

Mein Blick gleitet nach oben. Danke! Womit habe ich nur diese Strafe – sie – verdient? So ungeheuer langweilig war mir nun vorher nicht. Es lief alles gut.

Da gerade niemand bedient werden möchte, komme ich vom Tresen hervor und setze mich zu Riesen-Ohr. Wir leisten uns stumm und still Gesellschaft. Keiner redet, wir schweigen. Das tut gut. Kein Vergleich zu Krause-Stirn. Eine wohlverdiente Pause.

Sie hingegen ist direkt zu Clausi gegangen und hat sich bei ihm niedergelassen. Der Arme. Aber ja, ich kann auch sie verstehen. Ich würde mich auch zu der Person setzen, zu der ich bereits engeren und richtigen Kontakt hatte. Claus wird das schon schaffen. Er ist stark; und robust genug. Und wenn er doch nicht weiterkommt, kann er sich immer noch zum Tresen davon schleichen.

Mit meinen beiden Armen auf den Stuhllehnen lasse ich mich nach hinten in den Stuhl sinken und atme tief durch. Wenn nicht gerade Peggy Sue läuft, mag ich Riesen-Ohr echt gerne.

Wie heißt es noch gleich: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold? Ein Schmunzeln legt sich über meine Lippen. Was auch immer wieder mit meinem Hirn – falls ich noch eins habe – los ist ...

Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. So ist es richtig und dem kann ich gerade nur zustimmen. Für die einen betörende Geigen, für mich das liebliche Schweigen. 

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