26 | Fliegenfalle

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Myst bedient die Gäste. Ich sitze da, lasse alles über mich ergehen. Es zieht an mir vorbei, als würde ich einen Film schauen, zu dem ich genötigt wurde. Zu dem ich null Bock verspüre.

Azur und Marine kommen. Sie begrüßen alle, auch mich. Zunächst will ich mich selbstverständlich erheben, doch Myst bedeutet mir, mit der Hand ruhig sitzen bleiben zu können.

Wie sie da steht in der – meinen – grünen Schürze. Zwar wollte ich sie ihr geben, aber das habe ich nicht – sie hat sie sich gegrapscht.

Wie für alles andere scheine ich auch keine Energie für Wut aufbringen zu können. Auch meinen Cocktail hat Myst mir zubereitet und gebracht. Als wäre ich nur noch Wy; ein Gast. Lustlos schwenke ich das Glas zwischen meinen Händen. Warmes Gebräu.

Die Fliegenfalle hat zugeschnappt. Mittendrin befinde ich mich ohne Ausblick auf einen Ausweg. Einzig allein die Sicht auf das Treiben um mich herum. Als Außenstehender.

Wie sie miteinander lachen, sich unterhalten, Musik auswählen ... Ich bekomme es mit, doch schiebe es immer mehr in den Hintergrund, bis sich alles zu einem Einheitsbrei vermengt.

Was soll ich machen?

»Ist das eigentlich deine Schürze?«, werde ich in die Gegenwart – oder vielmehr ins Jetzt – katapultiert und damit ziemlich erschrocken. Als ich aufblicke, sehe ich Myst. Sie steht direkt vor mir.

Ich senke mein Gesicht wieder zu meinem Drink hin, ziehe mit dem Glas die gleichen runden Kreise wie zuvor. Meine neue Lieblingsbeschäftigung am Tisch der Verbannten. So habe ich ihn irgendwann in den vergangenen Stunden genannt.

»Hattest du sie dabei, als du kamst?«, fragt sie deutlicher nach.

»Nein«, antworte ich abwesend. »Ist vom Vorgänger oder so.«

»Ah, das ist ja super«, freut sie sich. »Dann passt es ja.«

»Mhm.«

Ich schaue sie nicht noch mal an. Kurz darauf höre ich, wie sie an mir vorüberzieht. Wie auch alles andere.

Ist ihr eigentlich bewusst, was sie mir mit ihren Worten antut? Und wenn ja, macht es ihr Spaß? Und nicht nur ihre Worte, ebenfalls ihre Handlungen ... Sie drängt mich weg, übernimmt mein Leben. Stück für Stück hat sie sich angeboten. Doch eigentlich war es vielmehr so, dass sie sich reingezwängt hat und das Schlimme ist, es hat funktioniert.

Stunde um Stunde – das Stichwort ist hierbei ›gefühlt‹ – vergeht. Ich komme nicht weiter.

Bin ich so schwach? Kraftlos? Was stimmt nicht mit dir? Welche Rolle spiele ich dann überhaupt noch? Was ist nun noch meine Aufgabe? Was bleibt für mich?

The answer, my friend, is blowin' in the wind. The answer is blowin′ in the wind ...

Wie passend. Lustlos lache ich auf. Das Lied kommt ja zum richtigen Zeitpunkt. Spielt mir hier jemand Streiche, vielleicht alle zusammen? Streiche ... Nein. Ich schüttle wahrscheinlich kaum merklich mit dem Kopf. Es ist vielmehr als ein harmloser Scherz. Ich fühle mich, als würde mir meine Existenz abhandenkommen. Auch wenn es bei mir um etwas völlig anderes geht als in dem Song, meine ich zumindest, so bin ich dennoch ähnlich am Grübeln, womöglich ...

Wie viel muss passieren?
Wie viel kann passieren?
Wie viel braucht es?

In so einer kurzen Zeit, ... um mein Leben derart durcheinander und zum Einsturz zu bringen.

The answer, my friend, is blowin' in the wind. The answer is blowin′ in the wind.

Diese Zeile ist nicht sehr hilfreich.

Dass ich nur rumhänge, ebenso wenig. Myst hat den Laden ja schon praktisch übernommen. Ich komme mir fehl am Platz vor. In meiner Bar. Ist das nicht unglaublich?

Wenn man vom Teufel spricht. Da stellt sie sich erneut ins Licht.

Aufseufzend gucke ich zu ihr von meinem herabwürdigenden Platz auf. Sie hat mir erneut meinen Cocktail zubereitet. Als wenn ich das nicht auch selbst könnte ...

»Weißt du, was mich interessiert?«, fragt sie in ihrer liebreizenden Stimme nach.

»Wie könnte ich das nicht wissen?«, erwidere ich giftig. »Dich interessiert alles. Alles, was mich und diese Bar betrifft«, schmettere ich ihr an den Kopf und lasse daraufhin meinen eigenen sinken.

O je, wie tief werde ich noch fallen?

Was und wie ich es gesagt habe, bereue ich. Daher schaue ich sie direkt wieder an. Ihre eisblauen Augen glänzen im Inneren. Der äußere Rand hingegen ist getrübt. Die Lider hält sie dabei leicht gesenkt. Ihr Blick spiegelt keine Entrüstung wider oder sie kaschiert es, was sie gut kann. Doch etwas anderes kann ich darin sehen. Bedauern. Nur was – was bedauert sie?

»Damit hast du recht«, äußert sie sich mit sorgsamer, ruhiger Stimme. »Aber sicherlich anders, als du denkst«, ergänzt sie sich. Sichtlich mit sich ringend, ob sie das hätte sagen sollen, was mich aufhorchen lässt.

Neugierig hat sie mich damit gemacht. Jedoch frage ich mich, ob ich wirklich bereits vorher in die Fliegenfalle getappt oder es nur eine Täuschung war. Und ich nun geradewegs darauf zusteuere.

Sicherlich anders, als du denkst, wiederhole ich ihre Worte, die auf ihr Interesse für mich und die Bar bezogen sind. Alles, was damit zutun hat ... Myst gleich Mysterium gleich Rätsel. Unendlich viele in einem. Ich checke es nicht. 

SonderbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt