Das unruhige Innere

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~Kapitel 1~

»Endlich haben wir es geschafft - Ferien! Auf welche Party gehen wir heute Abend?« Lillys Stimme zog an mir vorbei.
Seit einigen Tagen spürte ich eine unruhige Schwingung in meiner Brust, als würde ein unsichtbarer Sturm darin toben. Gedanken wirbelten chaotisch durch meinen Kopf. Ich konnte sie nicht fassen oder ordnen.
Zudem kam eine leichte Panik in mir auf, wie ein drohendes Unwetter, das am Horizont aufzieht.
Ich befürchtete, meinem Albtraum von letzter Nacht zu begegnen, einem Albtraum, dessen Schatten mich irgendwie verfolgte.

»Marie?« ,rief Lilly erneut.
Ich zuckte zusammen, als sie meinen Arm berührte. Die kleine Berührung riss mich aus meinem inneren Labyrinth.
Dieser Name löste immer noch eine Nervosität in mir aus, die mir Schweißperlen auf die Stirn trieb und die Angst, entdeckt zu werden.
Warum musste ich mir ausgerechnet so einen dummen Namen ausdenken?
Marie Chesterfeld, wirklich?
Wie kam ich bloß auf diesen Namen?

Ich blickte in Lillys leuchtend blaue Augen, die vor Freude über die bevorstehenden Semesterferien strahlten.
Ein zaghaftes Lächeln umspielte meine Lippen, während ich mich bemühte, meine inneren Gefühle zu verbergen. Es war schwer, in diesem Moment ehrlich zu sein.
Lilly war die sanftmütigste Person, die ich kannte. In den letzten drei Jahren, die für mich außerordentlich schwer gewesen waren, hatte sie mich von meinem alten Leben abgelenkt und mir insgeheim Trost gespendet.
Doch trotz allem, war ich nie ehrlich zu ihr.
Sie kannte nicht einmal meinen wahren Namen, geschweige denn meine Herkunft oder das, was ich wirklich war.
Alles, was sie über mich wusste, waren Lügen und jedes Mal, wenn ich eine neue Geschichte erfinden musste, um sie von meiner wahren Identität abzulenken, zog es mir den Boden unter den Füßen weg.
Es war ein ständiges Schauspiel, das ich aufführen musste und das drückte auf mein Gewissen.

Äußerlich schien ich in Lillys Augen wie eine gewöhnliche junge Frau, deren blaue Augen den Eindruck erweckten, sie hätte jeden Winkel des Ozeans erkundet.
Mein halber Kleiderschrank bestand aus blauen Sachen - kein Wunder, dass man meinen Beruf anhand meiner Kleidung erkennen konnte.
Blau war eine Farbe, die ich liebte und ich fühlte mich darin unglaublich wohl, als wäre es ein Teil von mir - im Gegensatz zu Lila...

Ich schob eine lose dunkelblonde Strähne hinter mein Ohr und versuchte erneut zu lächeln.
»Oh, ich habe einen Job für die Ferien angenommen, also werde ich nicht viel Zeit für Partys haben.« ,sagte ich, und das war dieses Mal keine Lüge.
Vor lauter innerer Unruhe hatte ich vergessen, dass etwas Wunderbares bevorstand.
Ich hatte einen Job angenommen, der Rettungsaktionen für gestrandete Wale und Orcas organisierte und Aufklärungsarbeit in Schulen leistete. Aber hauptsächlich würde ich den ganzen Tag in einem Wachposten auf einem verlassenen Berg verbringen und Ausschau nach Orcas oder Walen halten.

Es konnte vielleicht etwas langweilig werden, aber ich freute mich auch darauf, die Orca- und Wal-Familien zu studieren, viel zu lernen und mich mit sehr interessanten Themen auseinanderzusetzen. Das brauchte ich unbedingt und ich konnte es kaum erwarten.

Als ich an meinen neuen Job dachte, verblasste die Panik in meiner Brust und ich vergaß, was mich beunruhigt hatte.
Lilly sah mich mit einem Hundeblick an und stellte ihre Hände in die Hüften.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein ... «
»Tut mir echt leid, aber ich helfe gestrandeten Walen und Orcas zurück ins Meer. Ich denke, das ist wichtiger, als auf irgendeine Party zu gehen. «
Ich zog meine Augenbraue hoch.
Sie wusste genauso wie ich, dass das Meer mein Zuhause war.
Eigentlich ging es ihr genau so wie mir. Und dies schien im nächsten Moment ebenso zu bemerken.
Sie schnaubte genervt aus und ließ dabei ihre blonde Lockensträhne aus ihrem Gesicht fliegen.
»Danke, dass du mich jetzt schlecht fühlen lässt. Aber könnten wir uns trotzdem später noch treffen, bitte?«
Ihr zaghaftes Lächeln deutete darauf hin, dass sie es vermisste, etwas mit mir zu unternehmen.
Zugegeben, ich hatte mich in den letzten Wochen anders verhalten und versucht, nicht so viel Zeit mit ihr zu verbringen.
Das lag daran, dass wir uns so gut verstanden und ich - naja, sagen wir es so - ich mich jederzeit verplappern konnte.
Bei den Lügen, die ich ihr ständig auftischte, musste ich mir so viel merken, dass ich Angst hatte, sie durch eine durchschaute Lüge zu verlieren.
Aber trotzdem musste ich mir eingestehen, dass es vielleicht nicht die beste Idee war, mich von meiner einzigen Freundin zu entfernen ...

Die Flügel eines DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt