Verblasste Lilith

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~Kapitel 5~

»Gibt es denn keine andere Lösung?« fragte ich, als der Dämon mich am Handgelenk packte und vor die schwere Holztür schob.
Mein Herz raste als ich die massive Tür betrachtete, in dessen Mitte von einer dämonischen Kreatur aus schwarzem Metall geschmückt war. Der hässliche Klopfring, dessen Hörner sich bedrohlich nach oben wandten, schien mich zu schreiend anzuglotzen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich hatte den Anblick der düsteren Tür völlig verdrängt.
Ich hatte sie selten von außen gesehen.

Mein altes Zuhause, das einst ein Ort voller Wärme und Liebe gewesen war, wirkte nun wie eine gefallene Festung. Wo einst lilafarbene und weiße Rosen blühten, die meine Mutter mit ihrer Magie gehegt und gepflegt hatte, zierten jetzt nur noch Dornen die triste Fassade.
Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich mir vorstellte, wie mein Vater auf mein Wiederauftauchen reagieren würde. Ich fühlte mich, als stünde ich am Rand eines Abgrunds.
»Ich nehme an, dass du schon weitaus schlimmere Dinge gesehen hast als eine Tür. Du weißt doch, wie eine Tür funktioniert, oder?«
Wie konnte er es in dieser Situation wagen, sich über meine Angst lustig zu machen?
»Du hast ja keine Ahnung ...«, knurrte ich leise und pustete frustriert eine Strähne aus meinem Gesicht. Das erste mal schien der wahre Dämon aus ihn herauszukommen. Er wirkte plötzlich so kalt und gleichgültig, so wie man sich ein Dämon vorstellte.

Ich löste mich ruckartig seinen festen Griff, aber ich spürte ihn immer noch auf meiner Haut. Es fühlte sich an, als würde er mich weiterhin festhalten.
Als ich nach dem silbernen Türknauf griff und ihn drehen wollte, machte der Dämon ein Geräusch, das mich innehalten ließ.
»Was ist? Brauchst du ein Hustenbonbon?«
Als ich ihn genervt ansah, verengte er leicht die Augen und ich spürte, dass ihm sein sarkastischer Kommentar in diesem emotionalen Moment leid tat. Doch gleichzeitig nagte an mir der Zweifel: War ich verrückt, weil ich glaubte, dass es ihm wirklich leidtat?
Er sagte es zumindest nicht.
»Nein. Aber vielleicht ist es besser, wenn du deine Kontaktlinsen vorher-«
»Oh nein. Das kannst du vergessen! Ich lasse mir nicht mehr sagen, was ich zu tun habe!
Und schon gar nicht von dir und diesem Mann, der sich als mein Vater ausgibt!«

Ich muss zugeben, dass ich mich in dieser Situation vielleicht ein klein wenig wie ein trotziges Kind aufführte. Vielleicht war es auch das innere Kind in mir, das von ihrem Vater verlassen worden war und Nächte allein in diesem Haus verbringen musste - eingesperrt und zurückgelassen.
»Ich meine es nur gut.«, sagte er und ich hörte, wie er sich bemühte, weitere Worte zurückzuhalten, die ein trotziges Kind vermutlich nur noch wütender gemacht hätten. Sein Ton hatte einen Hauch von Besorgnis, fast wie eine Warnung.
Eine Warnung vor meinem Vater?

Das Drehen des Türknaufs löste in mir etwas aus, das ich nicht erwartet hatte. Plötzlich überfluteten mich Erinnerungen, klarer und schmerzhafter als je zuvor. Ich sah mich selbst vor drei Jahren, wie ich aus dieser Tür stürzte, in der Hoffnung, ein neues Leben zu finden.
Doch nun war ich wieder hier, an dem Ort, den ich so verzweifelt hinter mir lassen wollte.
Nach Mutters Tod war dieses Haus zu meinem Gefängnis geworden.
Mein Vater sperrte mich ein und die Tage zogen sich endlos hin. Er kam nur zurück, wenn das Essen knapp wurde, um Vorräte aufzufüllen, und verschwand dann wieder für Wochen. Ich erinnerte mich an die langen Nächte, in denen mein Magen vor Hunger schmerzte, die Hoffnung, dass mein Vater diesmal länger bleiben würde und die Traurigkeit, wenn er wieder ging.

Jede Tür in diesem Haus, die zur Freiheit führte, war verschlossen.
Jeder Raum war erfüllt von der Dunkelheit und Kälte der Einsamkeit.
Als ich die Tür langsam öffnete, schien die Luft dicker zu werden. Es fühlte sich an, als ob ich nie wirklich entkommen war, als wäre ich für immer in diesem Albtraum gefangen.
Ich wusste, dass die Stunden, die ich hier verbringen musste, wieder wie ein Gefängnis sein würden - ein Gefängnis, aus dem ich einst ausgebrochen war, nur um wieder zurückgebracht zu werden. Der Gedanke, erneut eingesperrt zu sein, schnürte mir die Kehle zu. Für einen Moment wünschte ich mir, ich hätte diesem Dämon nie begegnet. Lieber wäre ich in der richtigen Hölle, als in dieser, die ich so lange versucht hatte zu vergessen.

Die Flügel eines DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt