Palermo

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~Kapitel 4~

Als wir das verlassene Haus verließen, erkannte ich endlich, wo mich dieser Dämon hingebracht hatte. Den Monte Pellegrino-Berg konnte ich sofort ausmachen. Das Haus stand auf einem kleinen Hügel, der einen weiten Blick über die Stadt Palermo bot.
Die vielen Berge rund um die Stadt verstärkten den Anblick des glitzernden Mittelmeers im Hintergrund. Ich erkannte die alten Kirchen und historischen Gebäude und erinnerte mich daran, wie ich zum ersten Mal eine antike Ruine besucht hatte.
Ich liebte diese Stadt – doch für mein Leben wäre sie mir auf Dauer zu laut und zu chaotisch gewesen.
Die Mafia war hier das größte Problem, und ich fragte mich, wie gefährlich die Menschen sein mussten, die an ihrer Spitze standen, wenn selbst Dämonen einen Bogen um diese Gegend machten.

Als ich an meine kleine Wohnung nahe dem Strand dachte, schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich dachte daran, wie ich abends das Rauschen des Meeres von meinem Zimmer aus hörte.
Manchmal legte ich mich einfach nur in mein Bett, zwischen all meinen Büchern, schloss die Augen und ließ mich von den Melodien der Wellen umhüllen, während das warme Licht des Sonnenuntergangs durch mein Fenster fiel und meine Haut in ein zartes Farbenspiel tauchte.
Ich genoss die sanften Schatten der Palmen, die beruhigende Muster auf meinem Körper tanzten.
Unerwartet rollte eine Träne über meine Wange, und als ich aufsah, bemerkte ich die grauen Augen neben mir, die mich die ganze Zeit beobachtet hatten.
Still wischte ich die schwere Träne weg, doch sein Blick blieb fest auf mir, und in seinen Augen lag ein leises, unausgesprochenes Mitgefühl, als würde er meinen Schmerz spüren.
Er sagte nichts, aber ich wusste genau, welche Worte ihm auf der Zunge lagen – doch ich konnte es nicht ertragen, ein weiteres Mal seine Entschuldigung zu hören.
»Ich möchte nicht in dieses Auto steigen ...«, sagte ich, als ich das schwarze Auto vor dem zerfallenen Eingangstor sah.
»Wir müssen dich so schnell wie möglich zu deinem Vater bringen. Ich möchte dich nicht dazu zwingen müssen!«
Seine Stimme klang hart, doch hielt ich seinem Blick stand. Ich war entschlossen, alles zu tun, um ihn umzustimmen und mir diesen letzten Wunsch zu erfüllen.
»Ich würde lieber mit der Straßenbahn fahren ... bitte?«
»Aber wir -«
»Bitte ...« , unterbrach ich ihn mit einen flehenden Blick.
»Wenn ich mich schon nicht verabschieden kann, dann will ich wenigstens ein letztes Mal fahren ...«
»Ist das dein Wunsch?«
Langsam kam er auf mich zu, und seine Aura jagte mir eine Gänsehaut über die Arme. In seinem Blick schien ein Hauch von Mitleid zu liegen—soweit ich es hinter seiner Maske erkennen konnte.
Doch waren Dämonen überhaupt imstande, Mitgefühl zu empfinden?
Sorgte er sich tatsächlich um mich, oder war das nur Einbildung?

Ich nickte stumm und umklammerte meine Ellenbogen, als würde ich frieren, obwohl es nur meine Seele war, die sich plötzlich so kalt anfühlte. Der Dämon rieb sich seine Schläfe und weil ich hinter seiner Maske nichts erkennen konnte, wusste ich nicht, was als Nächstes kam.
Lachte er mich aus, oder war er mit seinen Nerven am Ende?
»Schön, ich nehme an, du willst auch nicht durch ein Schatten reisen?«
»Nein, das tut man nicht. Das ist respektlos den Schatten gegenüber.«
»Was?«
Seine Augen weiteten sich überrascht, bevor ein leises, ungläubiges Lachen unter der Maske hervordrang.
»Das glaubst du doch nicht wirklich«
Ich spürte, wie eine leichte Röte in mein Gesicht stieg. Er machte sich ganz eindeutig über mich lustig.
»Sie sagen mir oft, dass es ihnen unangenehm ist, wenn jemand durch sie reist.«
»Du – warte – du sprichst mit den Schatten?«
Ich spürte, wie sich seine Aura wandelte. Sie wirbelte vor Neugier, während ich gleichzeitig nervös wurde.
Wieso zur Hölle konnte ich ihn so stark spüren?
Da stimmte etwas nicht.

»Menschen und Dämonen sind gar nicht so unterschiedlich. Sie denken nicht nach, wenn etwas lebendig ist, und machen damit was sie wollen, ohne zu hinterfragen ob es auch Gefühle wie jeder andere ...«
In Gedanken kehrte ich zu den toten Schwertfischen auf dem Markt zurück.
»Und wie machst du das?« wollte er wissen.
Ich legte meine Hände in die Hüften und grinste ihn spitz an.
»Das verrate ich dir, wenn du deine Maske abnimmst und mir deinen Namen verrätst.«
Doch er verschränkte die Arme und sah mich mit einem finsteren Blick an. Ich verdrehte die Augen und schaute ihn ebenso finster zurück.
Ich wusste, dass er mir seinen Namen nicht preisgeben und die Maske nicht abnehmen würde.
»Willst du nun Bahn fahren oder nicht?«, fragte er.
Meine finstere Miene verwandelte sich in ein tristes Schauspiel. Mit gesenktem Kopf lief ich an ihm vorbei. Von dort an trat ein ewiges Schweigen ein.

Die Flügel eines DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt