Mein Blick haftet an Coach Bowman, der auf sein Tablet starrt, während ich etwas eingeschüchtert am Beckenrand stehe und von einem Fuß auf den anderen trete. Ich weiß nicht genau, was er von mir erwartet. Soll ich mich gleich aufwärmen oder mich gedulden, bis er Anweisungen gibt? Normalerweise hätte ich mein Einzeltraining bei Co-Trainer Matthews. Dass jetzt Bowman persönlich vor mir steht, verdanke ich allein der Tatsache, dass ich mit McBrennan trainiere. Ich weiß nicht so recht, ob ich mich darüber freuen oder eher Angst davor haben soll, vor lauter Ehrfurcht nichts auf die Reihe zu bekommen.
Der große Zeiger der Schwimmbaduhr springt soeben auf halb fünf und ich fühle mich schon in meinem Vorurteil bestätigt, dass McBrennan sich sogar eine Verspätung erlauben kann, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme.
Reflexartig drehe ich den Kopf. Kyle McBrennan steht einen halben Meter hinter mir, logischerweise nur in seiner eng anliegenden, knielangen schwarzen Badehose.
Okay. Seinen perfekt proportionierten Oberkörper auf einem Plakat zu betrachten oder direkt neben sich zu sehen, ist ein kleiner, aber bedeutender Unterschied. Ich schlucke schwer.
Die Figur eines Profischwimmers ist meiner Meinung nach die heißeste, die ein Mann haben kann, und der Mann neben mir repräsentiert so ziemlich das Idealbild davon. Sein Oberkörper ist V-förmig, die Brustmuskeln definiert, der Bauch flach und die Hüften schmal.
Abgesehen vom Kopf ziert kein einziges Härchen seinen Körper. Schwimmer sind immer rasiert. Überall. Ganz egal, ob Mann oder Frau.
Die Sonne, die durch die bodentiefe Fensterfront die Halle flutet, beleuchtet ihn wie ein Scheinwerfer, taucht ihn in goldenes Licht und lässt ihn wie einen strahlenden Gott erscheinen.
»Der Coach steht übrigens da vorne, falls du ihm auch mal deine Aufmerksamkeit schenken willst.«
Erschrocken weiten sich meine Augen und sofort fliegt mein Blick zum Trainer, der nach wie vor drei Meter von uns entfernt auf seinem Tablet herumtippt.
Meine Güte, Ava! Reiß dich zusammen! Ein netter Männerkörper beeindruckt dich nicht.
Nicht sehr. Nicht mehr.
»Ich habe dich nicht angestarrt, McBrennan«, lüge ich schamlos und freue mich innerlich wie ein kleines Kind, weil meine Stimme so wunderbar cool und unbeeindruckt klingt.
Er tritt neben mich, ein Schmunzeln huscht über sein Gesicht. »Hab ich das behauptet?«
Nein, hat er nicht. Shit! Dann steht es wohl eins zu null für ihn.
»Ihr könnt euch aufwärmen«, kommt es von Bowman, der bei seiner Ansage nicht einmal den Kopf hebt. Gut, dass ich gewartet habe.
Während ich zu einem Plastikstuhl marschiere und mein Badetuch ablege, setzt McBrennan nur schnell seine Schwimmbrille auf und springt ins Becken.
Eigentlich will ich mit Armkreisen beginnen, doch mitten in der Bewegung erstarre ich. Meine Arme sinken nutzlos an meine Seiten, denn da ist er:
Der Moment, in dem man jemandem beim Schwimmen zusieht und einem klar wird, dass dieser Mensch Perfektion verkörpert.
Sein großer, athletischer Körper bahnt sich seinen Weg durch das Wasser, als würde es ihn keinerlei Anstrengung kosten. Als wäre das sein wahres Element.
Fasziniert bestaune ich die Art und Weise, wie er sich mit ruhigen und doch kraftvollen Kraulzügen voranbringt, als würden er und das Wasser eine Einheit bilden.
Leicht. Natürlich. Perfekt.
Etwas Schöneres habe ich nie gesehen.
Die allgegenwärtige Sonne lässt das Wasser um ihn herum unwirklich schimmern. Wie ein Fabelwesen gleitet er durch das Becken. Ein mythischer Wassermann, der unangefochtene Herr über sein Reich.
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Tiefe Wasser sind nicht still
Roman d'amour⩥ SPORTSROMANCE ⩤ Seit Jahren arbeitet die ehrgeizige Ava Jones nur auf ein einziges Ziel hin: Ihren Lebensunterhalt mit dem Schwimmen verdienen und gleichzeitig ihre Familie unterstützen zu können. Frisch an der Arizona State University muss Ava, a...