Kapitel 24

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Ich machte mir so viele Gedanken um das Treffen mit meinem Dad, dass ich in der vergangenen Nacht kaum geschlafen hatte. Abgesehen davon, dass ich mich nach wie vor fragte, warum er sich plötzlich meldete, fragte ich mich, ob ich ihn überhaupt direkt wiedererkennen würde. Das, was mich am meisten beschäftigte war allerdings die Frage, warum er uns damals verlassen hat und wieso er sich seitdem nie wieder gemeldet hat. Ich wollte ihm wirklich eine Chance geben und aufgeschlossen sein, aber trotzdem gab es für mich keinen Grund der gut genug war, dass jemand seine kranke Tochter im Stich ließ.

Zwar wusste ich nicht wieso, aber ich hatte das Bedürfnis, Blake eine Nachricht zu schreiben, in der ich ihm erzählte, dass ich mich dazu entschieden hatte, auf meinen Dad zuzugehen und mich sogar schon mit ihm verabredet hatte. Er bestärkte mich noch einmal in meiner Entscheidung und sagte ich sollte mich im Anschluss melden, wenn ich wollen würde. Vielleicht würde ich das sogar wirklich tun. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass ich Blake mit dem, was ich sagte, nervte, sondern eher den Eindruck, dass es ihn wirklich interessierte.

Um kurz vor Zehn ging ich nach draußen auf den Parkplatz des Wohnheims. Mein Herz fing an zu rasen und ich fühlte, wie meine Hände feucht wurden, als ich ihn sah. Meine Frage, ob ich ihn direkt wiedererkennen würde, erübrigte sich in diesem Moment. Er hatte noch immer die gleichen braunen Haare und die gleichen grün-braunen Augen, die mich so sehr an meine Schwester erinnerten. Nur der leichte Bartschatten und die Fältchen um Augen und Mund verrieten, dass einige Jahre vergangen waren.

Mit einem warmen Lächeln begrüßte er mich. Ich sagte nur leise „Hallo" und war froh, dass er keine Anstalten machte, mich zu umarmen.

„Dürfte ich mir eventuell ansehen, wie du so wohnst?" „Nein, lieber nicht, meine Mitbewohnerin lernt gerade, da sollten wir nicht stören." „Okay, verstehe." „Wir können zur Uni gehen und vielleicht in das Café, in dem ich arbeite." „Das klingt toll." Sein Lächeln wirkte ehrlich, deshalb fühlte ich mich nicht unwohl damit, ihm zu zeigen, wo ich arbeitete.

Womit ich mich hingegen unwohl gefühlt hätte, wäre ihm direkt mein zu Hause zu zeigen. Es war vielleicht nicht optimal unser Treffen mit einer Lüge zu beginnen aber meine lernende Mitbewohnerin vorzuschieben, war das Erste, was mir einfiel. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben aus dem Zimmer einen Ort zu machen, an dem ich mich zu Hause fühlte und das wollte ich nicht kaputt machen. Die guten Gefühle, die ich mit diesem Zimmer verband, sollten nicht durch schlechte überschattet werden, falls das Treffen mit meinem Vater schlecht gelaufen wäre.

Meine direkte Art hatte ich von ihm, weshalb ich mich nicht scheute, ihm auch direkt die Frage zu stellen, die mir seit Tagen unter den Nägeln brannte. „Wieso hast du dich plötzlich bei mir gemeldet?" „Weil ich dich endlich wiedersehen und dir erklären wollte, was damals passiert ist." „Wir wissen beide genau was passiert ist. Also wieso jetzt erst?" „Ich wollte dich lieber nicht besuchen, als du noch bei deiner Mutter gewohnt hast. Ich war einfach mal wieder feige." Er senkte den Kopf. „Ich habe es Mom erzählt und es stört sie nicht. Sie hat mich sogar darin unterstützt, mich bei dir zu melden." Er sah wieder auf und schien überrascht zu sein. „Achja?" „Ja. Sie meint ich soll dir noch eine Chance geben." „Ich bin froh, dass du das tust, auch wenn ich es kaum verdient habe."

„Wieso bist du gegangen?" „Ich konnte nicht mitansehen, wie mein Kind vor mir stirbt." In mir keimte Wut auf, ich blieb stehen und musste mich beherrschen nicht laut zu werden. „Meinst du für mich und Mom war es einfacher ohne dich? Weißt du eigentlich, was wir durchgemacht haben? Wie viel wir geben mussten, während uns Sarah mehr und mehr genommen wurde?" „Ich weiß es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Aber ich möchte dir dennoch erzählen, wie es damals für mich war." In seinem Blick lagen so viel Reue und Bedauern, dass ich nickte.

„All die Jahre habe ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt zurückzukommen, aber ich habe es einfach nicht geschafft. Ich hatte noch Kontakt zu einem alten Freund, der mir immer mal wieder von euch erzählt hat. Als ich dann von Sarahs Tod erfahren habe, hat es mir das Herz zerrissen. Ich war tagelang nicht bei der Arbeit und wurde rausgeworfen. Aber es war mir egal. Ich weiß nicht, ob deine Mom dir erzählt hat, dass ich bei der Beerdigung war. Danach wollte ich euch erstmal Zeit geben und mein Leben auf die Reihe bekommen. Deine Mom und ich hatten lediglich Kontakt wegen des Testaments. Ich habe mich um den juristischen Kram gekümmert, um deiner Mutter wenigstens ein bisschen etwas abzunehmen. Mittlerweile habe ich wieder einen Job in einer Kanzlei." „Ja sie hat mir erzählt, dass du da warst, von allem anderen wusste ich nichts."

Er hat uns also wirklich nie komplett aufgegeben. Dieser Gedanke und die offensichtliche Reue, die in seinem Blick lag, lösten etwas in mir. Er hatte uns zwar im Stich gelassen, aber offenbar waren wir ihm trotzdem nie egal gewesen, genauso wie meine Mom gesagt hatte.

Ich hatte das Gefühl, dass ich es bedeuten würde, wenn ich ihm jetzt sagen würde, dass er verschwinden und mich in Ruhe lassen solle. Ich hatte mir so lange gewünscht, dass er zurückkam und auch wenn es viel früher hätte passieren sollen, war er immerhin jetzt da.

Mit einem Lächeln sah ich ihn an. „Danke, dass du so ehrlich warst. Ich verstehe jetzt einiges besser." „Danke, dass ich die Gelegenheit dazu hatte. Wenn ich jetzt gehen soll und du nichts mehr von mir wissen willst, musst du es nur sagen...ich könnte es verstehen."

Aber das wollte ich nicht. „Dann könnte ich dir ja gar nicht zeigen, wo ich arbeite, wo es den, meiner Meinung nach, besten New York Cheesecake aller Zeiten gibt." „Ich liebe New York Cheesecake." „Ich weiß." Als ich ihn anlächelte, trat ein leichtes Funkeln in seine Augen und er lächelte ebenfalls.

Das restliche Treffen verlief deutlich entspannter. Ich zeigte meinem Dad den Campus und wir gingen ins Café, wo wir nun endlich offiziell unsere Handynummern austauschten. Wir vereinbarten, dass ich mich bei ihm melden würde, sobald ich bereit für ein weiteres Treffen wäre.

Nachdem wir uns auf dem Parkplatz vorm Wohnheim voneinander verabschiedet hatten, konnte ich kaum fassen, was für eine positive Wendung das Treffen genommen hatte. 

Between Secrets & SatisfactionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt