7 Unruhe

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Clarisia

So eingebildet er auch war, musste ich doch zugeben, dass Damien seine Sache gut machte.
Man konnte jetzt schon erkennen, dass er ein kompetenter Anführer des Rudels werden würde.
Sein Wolf beugte sich tief zu Brians dunkler Gestalt hinunter, die Lefzen gezogen und die tödlichen Zähne entblösst.

"Gut gemacht", lobte Arnie, unser Trainer, mit anerkennendem Nicken. "Beide."
Der helle Wolf wich langsam einen Schritt zurück und Brian rappelte sich auf. Er schüttelte sein dunkles Fell, was eine Staubwolke in der Luft zurückliess.
"Als nächstes üben wir an der Wand." Arnie deutete auf die Holzwand, auf der unzählige Krallen tiefe Spuren in den Brettern hinterlassen hatten.

Ich liess die Zunge hängen und hechelte aufgeregt. Das Fangen der Beute war eine meiner Lieblingsübungen.
Arnie zog an einem Seil einen Stoffbeutel in die Höhe und nickte mir zu. "Cass, du darfst anfangen."
Mit erhobener Rute stolzierte ich an meinen Kameraden vorbei und brachte mich in Position.

"Und los!"
Der Ruf durchzuckte meinen Körper wie ein Stromschlag. Ich preschte vorwärts, stiess mich mit den Hinterbeinen ab und sprintete an der Mauer in die Höhe.
Meine Zähne schlugen sich fest in die Beute und ich schwang durch die Luft.
Mit einem tiefen Knurren harrte ich in der Leere aus, mein Kiefer fest um den Stoffsack geschlossen.
Arnie liess mich langsam hinunter.

"Sehr gut gemacht." Er nickte anerkennend. "Diesmal etwas höher."
Nachdem ich drei weitere Sprünge gemacht hatte, winkte er Damien zu. "Der Nächste."
"Darf ich noch einen machen?", bat ich unseren Trainer, heisses Adrenalin in den Adern. "Noch höher."
"Ist gut", willigte er ein. "Cass macht noch einen Sprung."
Er zog die Beute noch etwas mehr in die Höhe und ich duckte mich, bereit für den Angriff.

In diesem Moment stellte sich Damien in meinen Weg.
"Geh zur Seite", fuhr ich ihn an. "Das ist mein Sprung."
"Du hattest schon vier", entgegnete er kühl und machte keine Anstalten mich durchzulassen. "Ich bin an der Reihe."
"Arnie hat gesagt, ich darf noch einen Sprung machen!", knurrte ich.
"Verzieh dich", entgegnete Damien forsch.
"Wann ist nochmal dein Geburtstag?", fauchte ich, obwohl ich wusste, dass er morgen seine Reife erlangen würde. "Es wird Zeit, dass du dich prägst, du bist noch ein grösserer Arsch als sonst."

Mit einem lauten Grollen stürzte sich Damiens grosse Gestalt auf mich.
"Ich bin dein Alpha!", schrie seine Stimme in meinem Kopf. "Respekt, Rollins!"
Gerade noch konnte ich seinen gefletschten Zähnen ausweichen.
"Du bist der junge Alpha!", erwiderte ich trotzig.
"He, he!", rief Arnie, doch Damien sprang erneut vorwärts und diesmal erwischte er meinen Nacken.
Seine Zähne schlugen sich schmerzhaft in mein Fleisch.

"Du verstehst nicht, dass ich Verantwortung habe!", brüllte er wütend. "Für mein Rudel und auch für dich! Wenn du mir nicht gehorchst, kannst du die Rudelmitglieder gefährden!"
Damien begann mich zu schütteln. Verzweifelt schnappte ich nach seiner Schulter, doch meine Zähne erwischten nur sein dichtes, helles Fell.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Arnie auf uns zulief. "Hört auf!"
"Wenn du nicht so eine gute Kämpferin wärst, würde ich dich zur Strafe bei der nächsten Patrouille Zuhause lassen!", grollte Damien wütend.
"Lass sie los, Damien", sagte Arnie ruhig.
Der Griff um meinen Nacken lockerte sich, hastig wich ich ein paar Schritte zurück. "Ich hasse dich!"
"Tu einfach, was ich dir sage", knurrte er, wandte mir den Rücken zu und machte sich bereit für seinen ersten Sprung.

Mit gesenktem Kopf gesellte ich mich zu Brian und Jessy, die beide mit geweiteten Augen die Szene beobachtet hatten.
Der Biss brannte an meinem Nacken.
"Blute ich?", fragte ich Jessy direkt.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
Kaum war das Training beendet, stürmte ich zu unserem Trainer hinüber.
"Was sollte das, Arnie?", zischte ich. "Warum hast du ihn nicht verwarnt?"
Arnie zuckte mit den Schultern. "Morgen ist sein Geburtstag. Er ist getrieben, Cass."
"Und?" Erzürnt funkelte ich unseren Trainer an. "Du hast gesagt, dass ich noch einen Sprung machen darf!"

"Tut mir leid, Cass", sagte er mit einem Seufzer. "Du darfst das nächste Mal einen mehr machen, ja?"
"Darum geht es nicht!", entgegnete ich, lauter als beabsichtigt. "Damien hat total überreagiert!"
"Ja, ich weiss", antwortete er ruhig. "Aber..." Er zögerte und verstummte.
Wütend runzelte ich die Stirn. "Aber was!"
Zu meiner Überraschung begann Arnie zu lächeln. "Hör mal, Cass, ich weiss ihr zwei kommt nicht so gut miteinander aus."

"Das ist untertrieben!", presste ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
Arnie lehnte sich leicht vor, ein lustiges Funkeln in den Augen. "Aber er ist nun mal dein Alpha, ob du willst oder nicht, du hast ihm zu gehorchen."
Für eine Sekunde starrte ich in sein Gesicht. Mit einem unterdrückten Aufschrei wirbelte ich herum und verliess das Trainingsfeld, Arnies amüsiertes Lachen in den Ohren.

Damien

Meine Haut kribbelte, als würden tausende Ameisen darauf herumwuseln.
Der Abstand zwischen den kalten und heissen Schauern verkürzte sich.
Verfluchte Prägung. Verfluchtes Alpha-Blut, das mich meine Reife noch zehnmal intensiver wahrnehmen liess.
Wütend drückte ich auf den Knopf.

"Du bist tot", wandte sich Jayce mit einem breiten Grinsen an mich.
Ich warf die Konsole auf den Tisch und fuhr mit den Händen über mein angespanntes Gesicht. "Spielen wir nochmal."
"Aber klar doch", sagte Brian.
Er klopfte mir auf die Schulter und ich wand mich unter der Berührung.
"Nicht anfassen", murrte ich leise.
Brian runzelte die Stirn und drückte den Knopf, sodass das Videospiel erneut startete. An dem Mitgefühl in seinen Augen zu urteilen, erinnerte er sich an seine eigene Prägung.
Ich angelte die Konsole herüber und begann zu spielen.

Auf einmal lag ihr Geruch in der Luft und ich konnte knapp ein gereiztes Schnauben unterdrücken.
Die grösste Nervensäge der Welt hatte mir gerade noch gefehlt.
Ich konnte Anns Stimme hören, wie sie etwas über Schminke schwafelte.
"Geh duschen, Cass", bemerkte ich kühl, ohne meinen Blick vom Bildschirm zu lösen. "Du stinkst."

Die Jungs grinsten und Cass' helles Lachen erstarb. Sie trat in mein Blickfeld, verunsichert sah sie an sich herunter. "Ich habe gerade eben geduscht."
Ich rümpfte meine Nase. "Stimmt, du riechst immer so streng."
Ich hob den Blick, um ihre Reaktion sehen zu können. Zuerst wirkte ihre Miene verletzt, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ein Anflug von Ärger wanderte über ihr Gesicht und färbte ihre Wangen rot.
Zufrieden widmete ich mich wieder dem Spiel.

Cass setzte sich neben Ann auf das Sofa, ihre leisen Stimmen drangen wie von weit her an mein Ohr.
Ein leises Pling in der Küche liess mich aufhorchen.
"Popcorn ist fertig." Da ich sowieso kaum still sitzen konnte, lief ich aus dem Wohnzimmer in die Küche.
"Jetzt bist du schon wieder tot!", rief mir Jayce hinterher und lachte laut.
Ich hob die Hand über den Kopf und zeigte ihm den Mittelfinger.

Ich nahm das Popcorn aus dem Backofen, schüttete es in eine Schüssel und lief hinüber zum Kühlschrank.
Mit einem Ruck öffnete ich die Tür, kalte Luft strömte mir entgegen und ich schloss für eine Sekunde die Augen.
Und da war er wieder, ihr Geruch.
Mit einem Kasten Bier in der Hand drehte ich mich genervt um. "Du stinkst ja immer noch, Rollins."

Sie lehnte an der Theke, neben der Schüssel Popcorn, und sah irgendwie ertappt aus. Ich kniff misstrauisch die Augen zusammen, mein Blick fiel hinab auf die Schüssel. Doch Cass beachtete mein Popcorn nicht, sie öffnete die Schranktür über ihrem Kopf und griff langsam nach einem Glas.
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, nahm ich die Schüssel, lief zurück ins Wohnzimmer und liess mich ächzend in den zerknautschten Sessel fallen.

"Du bist wirklich grottenschlecht in diesem Spiel", bemerkte Jayce frech, doch ich rollte nur mit den Augen.
Ich griff in die Schüssel und stopfte mir eine ganze Handvoll Popcorn in den Mund.
"Ew!" Sofort spuckte ich das Popcorn aus, die kleinen, weissen Körner sausten durch die Luft und verteilten sich auf dem Teppich.
Jayce sah mich verdattert an. "Alter!"

"Das schmeckt scheusslich!", brachte ich heraus und nahm hastig einen Schluck Bier.
Brian griff mit gerunzelter Stirn nach der Schüssel. Vorsichtig streckte er die Zunge aus und kostete.
"Backpulver", lautete sein Urteil. Angewidert verzog er sein Gesicht.
Ein tiefes Grollen ertönte in meiner Brust. "Rollins!"
Ich sprang von meinem Sessel auf und konnte gerade noch sehen, wie sie mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht die Treppe hinauf flüchtete.
Nur mit grösster Mühe konnte ich mich davon abhalten, ihr nachzusetzen und sie für ihre Frechheit bezahlen zu lassen. Doch diese Genugtuung wollte ich ihr nicht geben.

Aufbrausend, Ahnungslos, AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt