8 Gefährte

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Clarisia

Ein Tuscheln breitete sich in den Gängen aus, die wölfischen Schüler steckten die Köpfe zusammen und murmelten leise.
Ich rollte mit den Augen und schob einen Kaugummi in meinen Mund, während Lorelie mir ein Ohr über Damiens Reife abkaute.
"Was auch immer", murmelte ich abwesend.

Die Luft verdickte sich und die Atmosphäre wurde zunehmend angespannt. Das konnte nur die Anwesenheit eines Alphas bedeuten.
Sogar die menschlichen Schüler drosselten ihre Lautstärke.
"Na?", begann ich spöttisch. "Noch nicht geprägt, wie man hört."
Mit einem Grinsen drehte ich mich auf dem Absatz um und erstarrte.

Damien stand mitten im Gang, die aschblonden Haare wie immer zerzaust, die Brauen verärgert zusammen gezogen. Unsere Blicke trafen sich und mein Herz setzte für einen Schlag schmerzhaft aus.
Damiens Brustkorb hob und senkte sich unter den schweren Atemzügen, während sich seine Augen langsam verdunkelten. Erschrocken beobachtete ich, wie sich die Fingernägel in seine Handflächen gruben.

Für einen Moment befürchtete ich, dass er vor den versammelten Schülern die Beherrschung über seinen Wolf verlieren würde.
Stocksteif setzte er sich in Bewegung, er kam schnurstracks auf mich zu, ohne seinen intensiven Blick von mir abzuwenden. Er blieb so nahe vor mir stehen, dass ich die Hitze spüren konnte, die von seinem Körper ausstrahlte.
Zögernd blickte ich hoch in seine Augen, sie waren komplett schwarz, doch nicht nur durch den Kampf gegen seine Bestie oder Wut, wie ich es schon oft im Training bei ihm gesehen hatte.
Im schillernden Schwarz konnte ich noch etwas anderes erkennen, etwas, das ich am liebsten tief in mir vergraben hätte und das einen heissen Schauer über meine Wirbelsäule jagte.

"Verpiss dich, Rollins", spuckte er aus.
Ich stiess langsam die Luft aus, senkte den Kopf und trat gehorsam einen Schritt zur Seite.
Lorelie gab ein leises Zischen von sich, kaum war Damien um die Ecke gebogen. "Scheint so, als hätte er deinen Kommentar überhaupt nicht vertragen."

Den ganzen Unterricht über hatte ich das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen.
Ganz hinten im Raum hörte ich Damien auf seinem Stuhl wackeln, ununterbrochen trommelte er mit dem Bleistift gegen sein Pult.
Genervt warf ich einen Blick über die Schultern, er erwiderte es mit einem angriffslustigen Starren.
"Was!", fauchte er und erhob sich halb von seinem Stuhl.
"Mister Lynch", ermahnte Misses Perkins streng. "Schalten Sie einen Gang zurück."
Widerwillig setzte er sich wieder hin und ich wandte hastig den Blick ab.
Stur starrte ich auf die Tischplatte und kämpfte gegen die Übelkeit.

"Miss Rollins, möchten Sie die Frage beantworten?" Die Stimme meiner Lehrerin liess mich den Kopf heben.
Verzweifelt versuchte ich die Wörter an der Tafel zu entziffern, doch mein Kopf war wie leer gefegt. "Ehm..."
Ein Schnauben liess mich zusammen zucken. Ich schluckte schwer und starrte erneut auf das Pult, ein flaues Gefühl im Magen.

"Mister Lynch, Sie dürfen die Frage gerne für Miss Rollins beantworten." Misses Perkins zog mit strenger Miene die dünnen Brauen in die Höhe.
"Ich verzichte", antwortete er höhnisch.
"Hast wohl deine Birne ausgeschaltet", sagte Jayce gut hörbar und ein Kichern wanderte durch die Klasse.
"Halt deine Fresse, Jayce", knurrte Damien.
Jayce lachte bloss, doch Misses Perkins prustete empört durch die Nase.
"Genug!" Die Lehrerin brach in eine Tirade über unsittliches Verhalten aus und schickte Damien zum Rektor.
Erleichtert atmete ich auf, als seine wütende Energie den Raum verliess.

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Die Knie an die Brust gezogen sah ich zu, wie Lorelie mit Mariah und Derik eine Partie UNO spielte.
Lorelie reckte jubelnd die Arme in die Höhe, als sie ihre letzte Karte auf den Teppich warf.
Freudestrahlend drehte sie sich zu mir um. "Bist du sicher, dass du nicht mitspielen willst?"
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich zu einem Lächeln, während meine Freunde die Karten neu mischten.

Das Ganze musste ein Irrtum sein. Ich konnte mich nicht auf Damien geprägt haben, die Mondgöttin erlaubte sich bloss einen schlechten Scherz.
Bestimmt hatte er inzwischen seine richtige Gefährtin gefunden.
Meine Finger zitterten unkontrollierbar und ich schob sie tief in meine Hosentaschen, damit meine Freunde es nicht sehen konnten.

Es war bereits dunkel als Damien ins Haupthaus zurückkehrte. Er war allein und meine Hoffnung schwand.
Knapp erwiderte er den Gruss seiner Freunde. Seine Sportklamotten waren verschwitzt, ohne mich auch nur anzusehen, sprintete er die Treppe hoch.
Der Wolf in mir begann zu toben, wild verlangte er nach seinem Gefährten.

Nach einer Weile stand ich auf und ging nach oben. Lange stand ich mitten auf dem Gang, doch schliesslich klopfte ich an seine Tür.
Ein gereiztes Knurren ertönte, ich fasste meinen Mut und drückte die Klinke.
Damien trug nur ein Handtuch um seine Hüften, mit der Hand fuhr er durch seine feuchten Haare, die durch die Nässe dunkel wirkten.
Bevor ich es verhindern konnte, glitt mein Blick über seinen durchtrainierten Körper.

"Was willst du." Seine Stimme klang schneidend.
Ich räusperte mich und riss den Blick von seinem Körper los. In seinen verdunkelten Augen flackerte Lust auf, sie verschlug mir den Atem.
"Was willst du!", knurrte er, seine Aura wurde wütend.
"Damien", sagte ich bemüht ruhig und versuchte dabei meine Stimme vernünftig klingen zu lassen. "Wir sollten darüber reden."
Er wandte den Blick ab, die Kiefermuskeln angespannt. "Worüber."

Fassungslos sah ich ihn an.
"Über das, was heute passiert ist", versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen.
Er zog auffordernd die Brauen in die Höhe. "Was meinst du?"
Genervt schüttelte ich den Kopf, die Bestie in mir fand es überhaupt nicht komisch, dass er unsere Prägung verleugnete.
"Hör zu, ich weiss, es scheint... es scheint keine gute Konstellation zu sein." Mit gerunzelter Stirn musterte ich sein Profil, während er ein frisches Shirt und neue Boxershorts aus einer Schublade klaubte. "Du und ich."

Etwas zu heftig warf er die Kleidung auf sein Bett. "Da ist nichts."
Er sah in mein Gesicht, seine schwarzen Augen glühten auf meiner Haut. "Zwischen dir und mir."
Scharfe Wut loderte in meinem Bauch auf. "Das heute war also nichts? Glaub mir, ich bin alles andere als begeistert, dass wir uns aufeinander geprägt haben."
Er stutzte, Angst kroch rasend schnell über sein Antlitz, bevor er wieder seine düstere Maske aufgesetzt hatte.

"Du würdest nicht die Prägung mit einem Alpha zurückweisen, das würdest du dich nicht getrauen." Damiens grünliche Augen musterten mich aufmerksam. "Nicht wahr?"
Während ich in sein Gesicht starrte, wurde mir bewusst, dass er Recht hatte.
Als durchschnittliches Rudelmitglied die Prägung mit einem Alpha zurückzuweisen, würde Schande bedeuten. Eine Schande, die ich nicht tragen konnte.

Mein Kiefer verspannte sich. "Dann gibst du es also zu?"
"Was soll ich zugeben?", entgegnete Damien kühl. "Du faselst wirres Zeug, Rollins."
Ich unterdrückte ein frustriertes Knurren. "Jetzt benimm dich wie ein Mann!"
Wut flackerte in seinen Augen auf, mit bebender Hand deutete er zur Tür. "Hör auf Bullshit zu behaupten, bevor es noch Jemand glaubt und verschwinde!"
"Gut!", rief ich schnippisch.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und rauschte zur Tür.
Damien kam drohend näher, mit aller Kraft hielt ich mich davon ab auf seinen muskulösen Körper zu starren.
"Raus mit dir!", befahl er forsch.

Mit hoch erhobenem Kopf trat ich über die Schwelle und Damien knallte die Tür so heftig zu, dass ich zusammen zuckte.
Ohne mich von meinen Freunden zu verabschieden verkroch ich mich in meinem Bett. Die Szene von heute Morgen geisterte in einer Endlosschlaufe durch mein Gedächtnis.
Vielleicht hatte er auch damit Recht und ich hatte mir die Prägung tatsächlich eingebildet. Seine lustvollen Blicke konnte ich ganz einfach seinen Hormonen zuschieben.
Entfesselte, männliche Alpha-Hormone, reif zur Paarung. Ich schluckte schwer und verdrängte den Gedanken, der sich in meinen Geist schleichen wollte.

Doch Zweifel nagten am hinteren Teil meines Gehirns. Was, wenn doch. Was, wenn uns die Mondgöttin tatsächlich füreinander ausgesucht hatte.
Stöhnend vergrub ich mein Gesicht in den Händen.
Nach zwei Stunden Selbstmitleid fasste ich einen Entschluss. Ich konnte die Prägung nicht zurückweisen, also musste ich Damien dazu bringen es zu tun. Falls wir uns denn wirklich geprägt hatten. Schliesslich konnte ich nicht mit Gewissheit sagen, wie sich die Prägung auf seinen Seelengefährten anfühlte.

Denn ein Leben an Damien Lynchs Seite konnte ich mir um alles in der Welt nicht vorstellen.

Aufbrausend, Ahnungslos, AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt