Was bedeutet es, Kopfgeldjäger zu sein? Steckbriefe durchforsten, Aufenthaltsorte bestimmen, den Gesuchten auflauern und einen passenden Moment abwarten, um sie dann zur Strecke zu bringen? Das Letzte war eine Möglichkeit. Die andere war, sie zu konfrontieren, aber leben zu lassen.
Sowohl Johnny als auch Yosaku hatten bisher nur mit der ersten Option Erfahrung gesammelt, sind dabei aber nicht sehr erfolgreich gewesen: Es hatte ein, zwei sehr kleine Fische gegeben, die sich an Land ziehen ließen, aber das war alles andere als die Definition eines erfolgreichen Kopfgeldjägers.
Wie es aussah, wenn man wirklich erfolgreich war, das zeigte ihnen erst der Schwertkämpfer. Er wusste nicht nur die größeren Ziele aufzuspüren, sondern war in seinem Vorgehen schnell und effektiv. Zorro kannte auch kein Mitleid mit denen, die auf einmal um ihr Leben bangten, wo sie zuvor versucht hatten, den dreien ihres zu nehmen. Es mochte nach außen hin skrupellos wirken, doch die Auslieferung von Banditen war ihr Job und wenn sie diesen überleben wollten, dann kamen sie nicht drum herum, manchmal auch Köpfe rollen zu lassen.
Daran hatten sich Johnny und Yosaku gewöhnt und das musste nun auch Akiko: Als der erste Kopf vor ihren Augen rollte, schien sie jedenfalls starr vor Schock. Natürlich wusste sie, wie schnell ein Mensch sein Leben verlieren konnte. Sie wusste, wie lange es dauerte, bis einer an einer Schusswunde starb oder aber durch Erhängen erstickte. Akiko hatte dies mitbekommen, als man in Evida auf einem Podest Leute erschoss, die man zuvor angekettet hatte oder sie an einem Galgen aufhängte. Aber das hier war etwas anderes. Und der Transport eines gerollten Kopfes nicht weniger. Einer der Gründe, warum Zorro ihr zuvor nahegelegt hatte, darüber nachzudenken, ob sie wirklich mit einem Schwert umgehen lernen wollte: dies war ein mögliches Resultat.
„Anego", sprach Yosaku als Erster, während sich Zorro um den Geköpften kümmerte, dessen Haupt der Beweis für seinen Tod sein und sie die Belohnung einheimsen lassen würde. Akiko reagierte nicht. Auch nicht, als er sie ein zweites Mal mit diesem Spitznamen ansprach, den sie nicht mochte und auf den sie normalerweise garstig reagieren würde. Bevor er sie aber ein drittes Mal rufen oder ihr mit der Hand vor der Nase herumwedeln konnte, schluckte sie und wandte schließlich den Blick von Zorro, der Blutlache und dem Toten ab.
„Akiko, alles okay? Du bist kalkweiß", hakte nun auch Johnny nach und legte ihr sogar eine Hand auf die Schulter, woraufhin sie zwar wieder keine Worte fand, sich aber auf dem Hacken umdrehte, um den Rücktritt anzutreten. Ihr leises „Ja, natürlich" beruhigte ihn auch nicht gerade. „Ich überleg nur, wie ich uns mehr Geld rausholen kann" – Was natürlich eine Lüge war. Und als ihr nicht nur speiübel war, sondern es ihr ein paar Meter weiter auf dem Weg in die Stadt nicht mehr gelang, die in ihre Speiseröhre aufsteigende Magensäure zurückzudrängen, hob auch Zorro prüfend eine Augenbraue. Ihre Schritte waren zwar schnell, aber sie rannte nicht, als sie sich beim nächsten Baum übergeben musste.
„Das war wohl doch zu viel", murmelte Johnny, als sie kurze Zeit später in einer nahen Gaststätte einkehrten, um eine kurze Pause zu machen, bevor sie den Stützpunkt der Marine am anderen Ende der Stadt ansteuerten. Akiko hatte sich entschuldigt, die Toilette aufzusuchen, um sich frisch zu machen.
Er setzte sich derweil mit Zorro und Yosaku an die Bar und bestellte wie die zwei je ein Bier.
„Dabei sah sie erst so aus, als würde sie's gut wegstecken", warf Yosaku ein, da Akiko von sich aus noch gesagt hatte, dass es nicht das erste Mal sein würde, dass sie einen Toten zu sehen bekäme. Alles kein Ding! Tja... da hatte er Typ aber noch nicht Bekanntschaft mit Zorros Schwertern gemacht.
Der Schwertkämpfer selbst schwieg sich zu dem Thema bislang aus, ließ die anderen sinnieren, und trank einfach ein paar tiefe Schlucke aus seinem Krug. Als sie ihn jedoch direkt um seine Meinung baten, setzte er das Trinkgefäß ab: „Genau deswegen hab ich gesagt, dass es nichts für sie ist." Es war ein Unterschied, ob man einen anderen Menschen aus dem Affekt heraus in einem Kampf tötete, weil man für sein eigenes Überleben töten musste, oder ob man dies freiwillig tat. Sie hätten sich ihren Lebensunterhalt schließlich auch auf andere Weise verdienen können, anstatt den bösen Burschen den Hintern zu versohlen. Es war zudem ein weiterer Unterschied, ob jemand eine saubere Kugel durch den Kopf bekam oder man ihm das Rückgrat oberhalb der Schultern durchtrennte.
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Über die Ozeane (Zorro x OC)
FanfictionEs gibt Begegnungen, die einen großen Einfluss auf dein Leben ausüben. Es gibt Menschen, die dein Herz berühren werden. Und es gibt "Geschichte", die du nicht einfach ausblenden kannst und die dich immer begleiten wird... Eine junge Frau der einst w...