Kapitel 3. Warten

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Amelie wurde gebeten, kurz auf den Stühlen im Flur platz zu nehmen, bis Dr. Antony sie ins Sprechzimmer rief. Sie war etwas nervös, und in ihrem Kopf ratterte es. Worauf achtet so ein Psychologe? Auf das, was ich sage? Auf meine Körpersprache? Meine Haltung? Oder was ich anhabe?

Grundsätzlich war Amelie ihre zurückhaltende Art immer relativ gut anzusehen. Sie war wohl das, was man irgendwie als Mauerblümchen beschreiben würde. Sie war zwar durchaus sehr hübsch, mit ihren großen, blauen Augen, den leicht rötlichen Wangen auf ihrer weichen Haut und umrandet von den braunen Haaren, die ihr bis zum unteren Ende ihrer Schulterblätter reichten. Sie war schlank und mit ihren 163 cm nicht besonders groß. Das ärgerte sie zwar immer etwas, aber sie wusste auch, dass einige Jungs eher auf kleinere Frauen stehen. Rein körperlich war sie eigentlich schon sehr zufrieden. Sie war wie gesagt, sehr schlank, fast schon etwas sportlich, weil sie als Kind und Jugendliche eine Weile im Leichtathletik-Verein war, aber auch mit ihren Brüsten und ihrem Po war sie sehr zufrieden. Nicht zu klein, nicht zu groß, aber fest und straff, fand sie.

Aber dennoch gab es etwas an ihrer Erscheinung, das ihr eine zurückhaltende, aber auch unterwürfige und devote Aura verlieh. Man konnte schnell ihre schüchternen Blicke sehen (auch wenn es ihr nicht so leicht viel, Augenkontakt mit anderen Menschen zu halten) und ihre Körperhaltung sprach Bände. Nicht nur dass sie ohnehin schon klein war, aber durch leicht hängende Schultern kriegte man schnell den Eindruck, dass sie sich zusätzlich noch kleiner machte. Ihre körperliche Haltung war damit irgendwie plakativ für ihre charakterliche Haltung. Das Äußere als Projektion des Inneren. Der Einband passend zum eigentlichen Buch.

Auch deswegen wussten die Menschen, die Amelie gegenüber standen, wahrscheinlich relativ schnell und einfach, dass sie einfach zu übervorteilen war. Aber das war ihr selber nicht so sehr bewusst. Und so saß sie auch jetzt wieder auf dem Stuhl im Flur der Praxis. Die Beine zusammen, die Hände mit den Handflächen aneinander gelegt, zwischen ihre Oberschenkel geklemmt. Die Schultern leicht hängend, wie immer und den Blick leicht gesenkt. Sie trug eine blaue Jeans, die eng anlag. Sie mochte die Hose, weil ihr Po eine der wenigen Sachen war, bei der sich Amelie sicher war. Das Top, das sie anhatte war relativ schlicht, weiß, mit kurzen Ärmeln und einem kreisförmigen Ausschnitt. Eine teure, rosegoldene Uhr lag um ihr linkes Handgelenk, während sie rechts einen dezenten Armreifen trug, der passend zur Uhr und zu der Kette war, die um ihren Hals hing. Amelies Eltern hatten durchaus nicht wenig Geld und so war auch ihr Taschengeld nicht so schlecht. Und das investierte sie gerne in Schmuck.

Eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes öffnete sich. Gedämpftes, warmweißes Licht trat daraus hervor und ein junger Mann - so um die Anfang 30 - stand in der Tür. Breite Schultern, sportliche Statur und ein herzliches Lächeln bestimmten sein Äußeres. Er trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover, unter dem ein weißes Hemd mit Krawatte hervor guckten. Ein dunkler Ledergürtel war um die Hose gebunden, genau an der Stelle, an der er seine Hand gerade in die rechte Hüfte gestemmt hatte. Seine braunen, leicht strubbeligen Haare und sein Dreitagebart umrahmten sein lächelndes Gesicht. Und beinahe typisch für einen Psychologen (zumindest hatte Amelie sich das immer so vorgestellt) trug er eine Brille, die seine blauen, herzlichen Augen noch intelligenter wirken lies.

Dr. Antony strahlte durch und durch die Erscheinung eines gütigen, gefestigten aber auch intelligenten Menschen aus. "Du bist Amelie, vermute ich mal?" sagte er in einem ruhigen und warmen Tonfall. Amelie nickte nur und versuchte dabei möglichst lange Blickkontakt zu ihm zu halten. "Na dann komm doch mal bitte herein" sagte er und öffnete die Tür komplett. Amelie stand auf und folgte ihm in den Raum. Die Hände vor sich verschränkt und den Blick auf den Boden gerichtet folgte sie der Duftwolke seines Parfüms, in der sie sich jetzt befand und betrat den Raum.

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