Lucas Mund stand offen. Wie sollte er das gerade verarbeiten? »Wo wo sind wir?« Seine Stimme klang rau und kratzte im Hals, kein Vergleich zu der honigweichen Stimme Naels. »Wir sind in deinem Kopf. Naja, eigentlich in meinem. Sagen wir, in unserem Kopf.«
Luca verstand nichts mehr. Er ließ sich auf die Knie fallen. Würde Nael ihn vertreiben? Musste er Takahiro nun verlassen? Würde er nun tatsächlich sterben? All diese Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, doch er traute sich nicht, auch nur eine von ihnen zu stellen. Er hatte einfach zu viel Angst vor den Antworten.
»Warum?« Dieses Wort hatte seinen Mund verlassen, ehe er es verhindern konnte. Er wollte so vieles wissen. Warum war Nael hier? Warum erschien er gerade jetzt? Warum war er selbst überhaupt in Naels Körper gelandet, wenn dessen Seele noch immer hier war?
Das Lächeln des eleganten Prinzen wurde noch ein Stück breiter. Er hielt Luca eine Hand hin und half ihm, sich wieder zu erheben. »Mach dir nicht zu viele Sorgen, diese ganzen Fragen kann ich nicht auf einmal beantworten.«
Konnte dieser Mann etwa Lucas Gedanken hören? Ein wunderschönes, glockenhelles Kichern erklang. »Vergiss nicht, deine Gedanken rasen gerade durch meinen Kopf. Natürlich kann ich sie verstehen.« Panik ergriff Luca. »Bitte «, wimmerte er. Er wollte nicht, dass Nael ihn aus diesem Körper vertrieb.
»Ich habe leider nicht so viel Zeit. Zudem möchte ich dir diesen erfreulichen Tag sicher nicht verderben. Sei dir gewiss, dass wir uns wiedersehen werden und ich dir jede deiner vielen Fragen beantworten werde. Für den Moment sollte es dir reichen, zu wissen, dass ich dich nicht gegen deinen Willen aus meinem Körper entfernen werde. Ich habe dir mehr zu verdanken, als du glaubst.« Traurigkeit zierte das makellose Gesicht. »Auf bald!«
Mit einem Ruck öffnete Luca die Augen und setzte sich auf. Takahiro stand mit besorgtem Gesicht über ihm. »Alles in Ordnung?« Eine Hand des Drachen fuhr langsam über Lucas Rücken, während die zweite seine Hand umschloss.
»Ja ja, ich denke schon.« Takahiro nahm ihn in die Arme und Luca spürte, wie schnell das Herz des Drachen schlug. Er musste sich ziemlich erschreckt haben, als sein Partner einfach umgekippt war. Vorsichtig löste er die Umarmung, nahm Takahiros Hände in seine und blickte in die eisblauen Augen.
»Ich habe gerade mit Nael gesprochen. Mit dem echten, ursprünglichen Nael. Er ist noch in mir - naja, in seinem Körper drin.« Verwirrung lag in Takahiros Augen, doch Luca sprach weiter. »Er sagte, er würde mich nicht gegen meinen Willen aus diesem Körper entfernen, und, dass er mir jede meiner Fragen beantworten würde.«
Die blauen Augen des Drachen leuchteten auf. »Du willst mich nicht verlassen, oder? Du wirst also bei mir bleiben?« Lucas Lächeln gefror leicht. Für einen Moment hatte er vergessen, dass sein Plan eigentlich vorsah, zurück in seine eigene Welt zu kommen. Doch könnte er diesen liebevollen Mann, diesen Drachen, eigentlich wirklich verlassen?
»Es tut mir Leid, Takahiro. Ursprünglich dachte ich, wenn ich mich genauso verhalte wie Nael es würde, dann käme ich in meine Welt zurück. Ich wollte wieder nach Hause.« Eine schwere Traurigkeit und das Gefühl von Ablehnung breitete sich in Luca aus. Doch es fühlte sich anders an als sonst. »Aber damals war ich allein. Ich hatte dich noch nicht. Ich liebte dich noch nicht.« Die Traurigkeit klang ab, dafür wurde er von einer Welle der Zuneigung überrollt.
Waren das etwa Takahiros Gefühle? »Ähm, Hiro? fühlst du gerade Zuneigung und Liebe?« Jetzt kam auch noch Überraschung dazu. Für einen Moment blieb der Drache still. »Du hast gerade nicht meine Stimme in deinem Kopf gehört, oder?« Luca schüttelte den Kopf. Hatte der Drache etwa gerade versucht, in Gedanken mit ihm zu sprechen? Dann schien das wohl nicht zu funktionieren. »Ich hatte gedacht, mit der Kommunikation seien Gedanken gemeint.« Takahiro lächelte und drückte Lucas Hände erneut. »Wie es aussieht, ist es mehr eine nonverbale Kommunikation. Ich kann deine Gefühle spüren, ich weiß sogar, dass du etwas durstig bist.«
Erleichterung durchflutete Luca. Dann würde der Drache beim nächsten Flug auch sicher merken, wenn er eine Toilettenpause benötigte. Das reichte ihm ja schon. Glücklich fiel er dem Drachen um den Hals und ein Kichern entfuhr ihm. Damit dürften die nächsten Flüge auf jeden Fall angenehmer werden.
Dennoch würden sie lernen müssen, ihre Gefühle zu differenzieren, Luca merkte jetzt schon, wie er sich von Takahiros Freude anstecken ließ. Außerdem war da noch ein anderes Gefühl, das immer deutlicher wurde. Luca konnte es nicht zuordnen. Es war verbunden mit Lust und Liebe, ging aber noch viel tiefer und fühlte sich gleichzeitig so alt an, aber nicht gefährlich. Luca fand keinen anderen Ausdruck dafür.
Takahiro hatte wohl seine Neugier gespürt. »Was möchtest du wissen, mein Liebster?« Luca sah ihm tief in die Augen. »Ich spüre ein Gefühl von dir. Es fühlt sich ähnlich an wie Verlangen und Liebe, aber beides gleichzeitig und außerdem so viel älter. Ich weiß leider nicht, wie ich es besser beschreiben soll.« Vor Verlegenheit wurden Lucas Ohren leicht rot.
Der Drache überlegte kurz und horchte wohl in sich hinein. Dann küsste er Luca intensiv, und dieses dunkle Verlangen wurde stärker. Ob es doch eine Art Verlangen war? Der Drache löste sich erneut. »Ist es stärker geworden?« Leicht verwirrt nickte Luca und der Drache lachte leise. »Ich glaube, du spürst meinen inneren Drachen.« Lucas Verwirrung wurde noch stärker. Innerer Drache? Was sollte das denn sein?
»Mein innerer Drache, so nenne ich ihn. Es ist eine Form der Magie, vermutlich sogar unsere Quelle, in Verbindung mit unseren Urinstinkten. Und das Gefühl, das du gerade meintest, wird wohl sein Besitzanspruch auf dich sein.« »Besitzanspruch?« Takahiro nickte. »Es ist einer unserer Urinstinkte. Natürlich weiß ich, dass man kein anderes Wesen wirklich besitzen kann. Aber ich würde dich wirklich gern nur für mich haben. Dieses Bedürfnis ist jetzt aber befriedigt, immerhin sind wir den Bund eingegangen.«
Der Drache beugte sich vor und streifte Lucas Lippen mit seinen. »Jetzt wirst du für immer zu mir gehören.« Liebevoll verband er ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss. Luca verstand es jetzt. Auch er hatte Takahiro ganz für sich allein haben wollen und war froh, dass das Ritual sie jetzt für immer miteinander verbunden hatte. Selbst nach seinem Tod würde Takahiro nie wieder eine so tiefe Verbindung eingehen können.
Sie lösten sich voneinander und Luca rieb gedankenverloren über seine Brust. Unwillkürlich blickte er auf Takahiros nackten Oberkörper und erschrak. Dort, direkt über seinem Herzen, prangte der schwarze Umriss einer liegenden Mondsichel, gefüllt mit den Runen, die auch auf dem Stein waren. Takahiro spürte wohl seine Sorge, nahm seine Hand und legte sie genau darauf.
»Keine Sorge, es tut nur im ersten Moment weh. Oder spürst du deine noch?« Seine? Ein erneuter Schreck durchfuhr ihn. Auch auf seiner linken Brust, direkt über seinem Herzen, prangte der Mond mit den Runen. »Es ist ein Symbol unserer Verbindung. Zwei Spitzen, zwei Seelen.« Sein intensiver Blick bescherte Luca eine Gänsehaut. »Jedoch nur ein Körper. Zwei verbundene Seelen, die sich gegenseitig beeinflussen. Es gibt sicher noch viel mehr Bedeutungen, doch diese sind die wichtigsten.«
Luca schluckte und nickte leicht. Er verstand, was Takahiro ihm sagen wollte. Dieses Mal war etwas, worauf man stolz sein konnte, denn es war ein Beweis ihrer Verbundenheit. »Nichts kann dieses Mal, oder das, was es verdeutlicht, zerstören.« Die raue Stimme des Drachen schickte einen wohligen Schauer über Lucas Rücken. Wieder beugte er sich vor und verband ihre Lippen miteinander.
Ihr Kuss wurde intensiver und Luca gab sich völlig hin. Doch es fühlte sich an, als wäre es ihr erstes Mal. Die Gefühle und Bedürfnisse des jeweils anderen zu spüren, während sie körperlich so eng verbunden waren, trieb sie beide in den Wahnsinn. Sie konnten viel besser auf die Wünsche des anderen eingehen und Luca wusste, dass dies bestimmt das schönste Erlebnis der Welt war.
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Reincarnation (ONC)
FantasyDer an Krebs erkrankte Luca hat während seiner Zeit im Krankenhaus nicht viel zu tun. So liest er seine Lieblingsgeschichte "Loving in Andhera" immer und immer wieder. Es ist eine düstere Romantik in einer Fantasywelt voller Drachen und Fae. Das tra...