Kapitel 24 - Luca

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Als Luca die Augen wieder aufschlug, befand er sich erneut in diesem schwarzen Raum. Es war ein bisschen unheimlich, doch er konnte es nicht verändern. Er drehte sich um, doch wohin er auch sah, von Nael keine Spur. »Nael?« Seine leise Frage verklang im Nichts, ohne eine Antwort.

Tränen stiegen in Luca auf. Er musste wissen, wie es jetzt weiterging. Warum er hier gelandet war. Und der Einzige, der ihm diese Fragen vielleicht beantworten konnte, war der echte Prinz Nael.

Frustriert rieb er sich den kahlen Kopf und rief noch einmal lauter.. Warum hatte er nicht wenigstens seine kurzen, dunkelblonden Haare zurückbekommen, wie er sie vor der Krankheit hatte? Die hätte er wenigstens raufen können.

Ein leises Kichern erklang hinter ihm. Diese glockenhelle Stimme würde er überall wiedererkennen. »Nael!« Voller Freude warf er sich beinahe schon in die Arme des Prinzen. Als dieser ihn nach ein paar Minuten milde lächelnd von sich schob, wurde ihm klar, dass er sich trotz seiner 23 Jahre gerade benahm wie ein Kleinkind.

Verlegen trat er zurück und atmete tief durch. »Du sagtest, du würdest mir meine Fragen beantworten.« Nael nickte und sagte sofort: »Zuerst möchte ich dir in Ruhe erzählen, was du wissen musst. Im Anschluss darfst du gern Fragen stellen. In Ordnung?« Luca nickte überrascht und schrie auf, als der Hintergrund sich plötzlich veränderte. Vorher war abgesehen von ihnen beiden nur Schwärze zu sehen, doch nun standen sie in einem Garten unter freiem Himmel.

Als Lucas Augen sich endlich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte er sofort, dass es nicht irgendein Garten war. Es war der Rubingarten, der Naels Mutter gewidmet worden war und den König Leo so behütet hatte. Erstaunt blickte er den Prinzen an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. »Es ist mein Kopf, natürlich kann ich es verändern. Außerdem dachte ich, dass wir es uns etwas gemütlicher machen.«

Luca nickte nur, sein Kopf war viel zu überfordert mit dieser Situation. Mit vollendeter Eleganz ließ Nael sich auf einem der beiden weißen Stühle nieder, die plötzlich wie aus dem Nichts mitten auf dem Rasen standen. Auf dem dazu passenden Tisch erschien außerdem eine dampfende Kanne, zusammen mit zwei passenden, geblümten Tassen. »Tee?«

Erneut nickte Luca nur auf die Frage und fühlte sich wie ein Bengel von der Straße, als er sich ebenfalls setzte. Er nahm einen Schluck des herrlich duftenden Jasmintees und lauschte nur, während Nael mit seiner Erzählung begann:

»Ich weiß leider nicht genau, wo ich anfangen soll. Ich habe dich zum Zeitpunkt deines Todes aus deiner Welt gerissen und dir die Möglichkeit genommen, dorthin zurückzukehren, dafür möchte ich mich zuerst entschuldigen. Doch du wirst sicher gleich merken, dass ich dir nichts Böses wollte. Ich steckte in einer Zwickmühle und brauchte jemanden, der mir helfen könnte.

Seit meiner Kindheit wurde mir eingebläut, dass die Drachen böse sind und diesen Krieg aus Hass auf die Menschen führen. Das war genauso Teil meines Alltages, wie die Unterdrückung der Fae, die in unserem Königreich zuhause waren. Je älter ich wurde, desto mehr hinterfragte ich die Dinge. Als ich sechs Jahre alt war, fragte ich den König das erste Mal nach den Fae, doch mehr als eine wütende Abweisung der Frage erhielt ich nicht.«

Luca nickte. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Nael, diese liebe und fürsorgliche Seele, einmal den Zorn des Königs beschworen hatte, auch wenn er zu dem Zeitpunkt noch ein kleiner Junge gewesen war. Das war vielleicht ein weiterer Grund für die Abneigung des Königs seinem jüngsten Sohn gegenüber.

»Dann begann ich, Dinge wahrzunehmen, die andere nicht bemerkten. Zuerst fiel es mir bei meiner Mutter auf.« Die Szenerie veränderte sich und nun saßen sie auf ihren weißen Gartenstühlen in einem Zimmer voller Bücher, in dem ein ungefähr acht Jahre alter Nael neben seiner Mutter auf einem Sofa saß. Als Luca genauer hinsah, erkannte er ein leichtes Flimmern um den Kopf der Mätresse.

»Mutter?« Die Stimme des kleinen Nael war ebenso süß wie der schlanke Junge selbst. »Ja, mein Sohn?« Luca durchfuhr ein Schauer, als er die Stimme von Rubinia hörte. Sie klang wunderschön, samtig weich und bestimmend zugleich. »Was macht einen Fae aus?« Naels Mutter musste nicht lange überlegen. »Das größte Merkmal sind natürlich ihre magischen Kräfte. Jeder Fae hat eine Gabe, die ihn besonders macht. Dazu kommen ihre besser ausgeprägten Sinne, sie können besser sehen und hören als Menschen. Sie leben auch viel länger. Der einzige sichtbare Unterschied sind wohl ihre Ohren.«

Der junge Prinz blickte die Ohren seiner Mutter an. Konnte er etwa auch das Flimmern sehen? Der ältere Nael neben Luca lachte auf. »Du siehst hier meine Erinnerungen. Natürlich nimmst du es so wahr, wie ich es gesehen habe.« Luca wurde rot und beschloss, sich so sehr auf das Gezeigte zu konzentrieren, um in seinem Kopf keine dummen Fragen mehr zu stellen.

Der kleine Nael stand gerade vom Sofa aus und beugte sich über seine Mutter. Angestrengt kniff er die Augen zusammen und plötzlich verschwand das Flimmern und man konnte die langen Ohren einer Fae an Rubinia entdecken. Die Szene verblasste vor ihren Augen und sie waren zurück im Rubingarten. »So habe ich herausgefunden, dass ich Fae-Blut in mir trage.« Der Prinz lehnte sich leicht zurück.

»Meine Mutter war ein Mischling, halb Fae, halb Mensch. Das würde mich dann wohl zu einem Viertel Fae machen. Aber das ist nebensächlich. Tatsache ist, dass meine Mutter, die Geliebte des Königs, eine halbe Fae war. Sie war besonders gut in Illusionszaubern, weswegen sie es überhaupt bis an seine Seite geschafft hatte.

Doch ihr eigentliches Ziel, ein besseres Leben für die Fae im Königreich zu schaffen, hat sie leider nie erfüllen können. Als ich 15 Jahre alt war, ist ihr wohl klar geworden, dass der König den aktuellen Standard nicht aufgeben würde. Jeder noch so kleine Vorschlag ihrerseits wurde von ihm abgeschmettert. Also verschwand sie. Mich wollte sie mitnehmen, doch ich hatte zu große Angst vor Vaters Zorn und entschied mich, zu bleiben.«

Wehmütig sah er sich im Garten um. »Um ehrlich zu sein, war das immer mein Problem. Ich traute mich nie, mich wirklich gegen meinen Vater zu stellen, nicht einmal für meinen Geliebten.« Lucas Augen wurden groß. Er hatte die letzten Neuigkeiten noch nicht verdaut, und Nael kam schon mit der nächsten großen Eröffnung. Doch als er ihn um eine kurze Pause bitten wollte, hob Nael die Hand.

»Du warst einverstanden, dir meine Geschichte bis zum Schluss anzuhören, ehe du deine Fragen stellst. Bitte halte dich daran.«

Reincarnation (ONC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt