Kapitel 11 - Luca

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Voller Nervosität stand Luca am nächsten Morgen vor dem Spiegel. Die von einem Diener ausgeliehene Kleidung war nicht so fein und kratzte auf der Haut. War es, weil er im Körper eines Prinzen steckte, dessen Haut nur die feinsten Stoffe gefühlt hatten? Oder war er selbst durch die letzten Wochen hier einfach zimperlich geworden?

Er zog das braune Hemd wieder aus. Dieses Kratzen ertrug er nicht auf Dauer. In seinem Kleiderschrank wühlte er nach einer Art Unterhemd, damit er nur die Ärmel spüren musste. Als er gerade wieder angezogen war, betrat Inoue das Schlafzimmer.

Ebenso wie Luca trug er eine graue, robuste Hose und ein locker sitzendes, braunes Hemd. Es hatte am Hals einen tiefen Ausschnitt, der mit einem Band zusammengehalten werden sollte, doch bei dem Drachen offen war. Trotz der einfachen Kleidung sah er aus wie ein Model. Die eisblauen Augen lugten durch die schneeweißen Wimpern, als er zu Luca hinüber sah. Wie nur konnte jemand in einfach allem so unfassbar gut aussehen?

Keiner würde ihnen glauben, dass sie nur einfache Arbeiter waren. Doch Inoue ließ sich nicht davon beirren. Und Dank des Versprechens vom gestrigen Abend hatte auch Luca neues Vertrauen in den Ausflug. Es würde bestimmt lustig werden.

Isabel schleuste das Paar durch die Dienstbotengänge nach draußen. Der König wäre sicher entrüstet, wenn er wüsste, dass sein wichtigster Gast und sein Sohn sich verkleidet unter die Leute mischten. Das war ungebührliches Verhalten für einen Prinzen!

Vielleicht machte es auch gerade deshalb so viel Spaß, und als sie unter einem Sack versteckt auf einer Lieferkutsche die Schlossmauern verließen, klopfte Luca das Herz bis zum Hals. Inoue sah weniger aufgeregt und eher verärgert aus, da ein loser Faden des Leinensacks die ganze Zeit in seinem Gesicht hing.

In der Stadt bedankte Luca sich bei dem Lieferanten, der sich tief verbeugte. Dann gingen die beiden Hand in Hand in die Straße zum Entspannungstempel. Es war ein großes Geschäft, in dem viele verschiedene Dinge zum Bereich Wellness angeboten wurden.

Seien es verschiedene Massagen, Peelings, Mani- oder Pediküre, Saunen mit professioneller Anleitung und Aufgüssen, Whirlpools und Heilbäder, Fußbäder und noch so viel mehr.

Am gestrigen Abend hatte Luca einen Boten geschickt, um den Tempel für den heutigen Tag buchen zu lassen. Er wollte ein wenig Privatsphäre haben. Vielleicht ging es auch ein kleines bisschen darum, dass Inoue schon mit Klamotten viel zu gut aussah und er halbnackt in dem Tempel alle Blicke auf sich ziehen würde. Aber nur vielleicht.

Als das Ehepaar in der Straße zum Tempel ankam, wurden ihnen komische Blicke zugeworfen. Die Leute waren sich nicht sicher, ob sie wirklich Bauern oder doch vom Adel waren. Doch keiner sprach sie an.

Der Entspannungstempel lag in einer ruhigen Seitenstraße auf einem riesigen Grundstück, zwischen den Villen der reicheren Bevölkerung der Stadt. Ein großer, roter Torbogen aus Stein wölbte sich über ihren Köpfen, als die beiden das von einer hohen Steinmauer eingefasste Gelände betraten. Es war wunderschön.

Ein riesiger Tempel, der ein wenig an die traditionellen, vielstöckigen Tempel der Chinesen in Lucas ursprünglicher Welt erinnerte, stand in der Mitte des Grundstückes. Viele kleinere, ebenfalls im selben Stil gehaltene, doch maximal zweistöckige Häuser gruppierten sich um das Hauptgebäude herum. Dazwischen gab es grüne Wiesenstücke und mit kleinen, weißen Steinen ausgelegten Pfade, über die man zu den Gebäuden kam. Luca konnte einige Brunnen und Teiche vom Eingang aus entdecken. Außerdem gab es große Kirschbäume, die ihre rosa Blüten und einen besonderen Geruch verbreiteten

»Halt!«, rief eine laute Stimme aus einem kleinen Häuschen, direkt an der rechten Seite vom Eingang. Eine kleine, grauhaarige Frau kam heran geeilt. Ihr Kleid war eng und ging bis zu den Knöcheln, so dass sie in ihren Holzschuhen immer nur kleine Schritte machen konnte. Ihr Gesicht schien vor Zorn ganz rot zu sein, während sie beim Laufen schon weiter zeterte: »Was fällt euch ein, ohne Erlaubnis dieses Gelände zu betreten? Ihr Bauernpöbel könnt euch unsere Dienste gar nicht leisten! Und jetzt verschwindet!«

Luca sah erschrocken zu Inoue hoch, dessen Gesicht sich verhärtete. Sie hatten nicht mit einem so schlechten Empfang gerechnet. Der Blick des Drachen verdunkelte sich und seine Hörner erschienen auf seinem Kopf. Ebenfalls glaubte Luca, ein paar kleine, weiße Schuppen in seinem Gesicht wahrnehmen zu können. Jetzt sah er aus wie der arrogante Drache, den er sich beim Lesen immer vorgestellt hatte.

Doch die alte Frau war entweder sehr dumm oder einfach nur blind. Keuchend blieb sie vor den beiden Männern stehen, wobei selbst Luca sie um mindestens einen Kopf überragte, doch wie ein aufgedrehter Chihuahua kläffte sie weiter: »Ihr sollt verschwinden habe ich gesagt! Die Herrin empfängt heute wichtige Gäste, da sollen keine Bettler oder anderweitiges Gesocks vor dem Gelände herumhängen!«

Inoue knurrte. »Wir sind diese wichtigen Gäste und jetzt hör mit diesem Gezeter auf!« Seine Stimme klang kalt und scharf. Ein Schauer lief Lucas Rücken hinunter. Als die alte Frau wieder den Mund öffnete, hob er die Hand. »Noch ein Wort und ich reiße dir auf der Stelle den Kopf ab. Geh und hol deine Herrin. Sie wird sicherlich mehr vernunft beweisen als du wandelnde Leiche.«

Sie wurde blass, das hatte sie wohl verstanden. Auf dem Absatz drehte sie um und verschwand zurück in die Hütte. Luca schnappte sich die Hände seines Ehemannes und drehte ihn zu sich. Eine seiner Hände wanderte zu Inoues Gesicht und er bemerkte, dass die Augen nicht mehr hellblau waren, sie hatten einen tiefblauen Farbton angenommen. Außerdem war die ganze Augenpartie von Schuppen umrandet, die sich immer weiter auszubreiten schienen.

»Bitte beruhige dich, Inoue.« Der Drache schnaubte wütend, wobei trotz des warmen Wetters ein kleines Dampfwölkchen aufstieg, schloss jedoch die Augen und schmiegte sich an die warme und tröstende Hand an seiner Wange. »Sie hat es sicher nicht so gemeint.« Der wütende Blick ließ Luca innehalten, als Inoue die Augen wieder öffnete.

»Sie hat es genau so gemeint, wie sie es gesagt hat. Euer ganzes Königreich ist zerfressen von Hass, sei es anderen Rassen gegenüber, oder einfach aus dem Gefühl heraus, etwas Besseres zu sein. Die Menschen hassen die Fae, Fae hassen Menschen. Menschen hassen sich untereinander, weil der eine mehr Geld hat oder mehr Erfolg, oder weil sie das Gefühl haben etwas besseres verdient zu haben. Die Fae hassen andere Fae, die sich mit Menschen einlassen, oder einfach, weil manche ihre Fähigkeiten benutzen dürfen und sie selbst nicht. Genauso hassen sie die Mischblüter, seien sie jetzt gewollt gewesen oder durch eine Vergewaltigung entstanden.«

Der Drache zog Luca an sich und bettete den Kopf, jetzt wieder ohne Hörner, auf die Schulter des Kleineren. »Und am schlimmsten ist, dass das Königshaus es selbst nicht realisiert, oder genau weiß, was vor sich geht und trotzdem nichts unternimmt. Als Herrscher hätte dein Vater die Pflicht, etwas zu unternehmen, doch er ist viel zu sehr mit sich selbst und seinem Erbe beschäftigt, das er im Krieg gegen die Drachen sieht, obwohl wir nur um etwas mehr Land gebeten haben.«

Luca traten die Tränen in die Augen. »Ich ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.« Er schniefte und lehnte sich ebenfalls an Inoues Schulter, damit niemand seine Tränen sah. »Ich weiß nicht, wie ich es ändern kann, ich wusste nicht «

Schnelle Schritte auf dem Kiesboden unterbrachen das Gespräch. Inoue packte das Gesicht des Rothaarigen und wischte ihm die Tränen weg, während er raunte: »Mach dir darum fürs Erste keine Sorgen mehr. Wir sprechen ein anderes Mal darüber. Heute entspannen wir uns, okay?« Er richtete sich auf und blickte kalt auf den Neuankömmling herab.

Eine dünne, wunderschöne Fae mit langen schwarzen Haaren verbeugte sich vor ihnen. Ihre sanfte, melodische Stimme beruhigte Luca sofort. »Willkommen, werte Gäste. Bitte verzeiht der alten Heide, sie hat nicht gewusst, wer Ihr seid.« Als sie sich wieder aufrichtete, stockte Luca kurz der Atem.

Abgesehen von der Augen- und Haarfarbe sah sie dem Porträt von Rubinia unwahrscheinlich ähnlich. Ihr rechtes Auge hatte die Farbe von frischem, grünen Gras, während das andere wie eine graue Wolke an einem stürmischen Tag wirkte. Sie könnte beinahe Rubinias Schwester sein.

»Mein Name ist Madame Sakura Sato. Mir gehört der Entspannungstempel und ich bin eine Heilerin. Folgen Sie mir gern zu Ihrer ersten Behandlung.« Ein mulmiges Gefühl entfaltete sich in Lucas Bauch, doch er ignorierte es.

Heute war er mit seinem Ehemann hergekommen, um einen schönen Tag mit ihm zu verbringen. Der eine Vorfall reichte schon. Den Rest des Tages würden sie nun genießen. Er schnappte sich Inoues Hand und gemeinsam folgten sie der Heilerin.

Reincarnation (ONC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt