e s t e l l agraceland too- phoebe bridgers
»Da bist du ja endlich.«
»Das passt. Anders als du bin ich an das raue Wetter gewöhnt.«
»Ach ja?«
»Klar, seid ihr Engländer da nicht sehr empfindlich?«
»Estella? Wie schlimm sind deine Schmerzen?«
»Aushaltbar.«
»Estella...«
»Stella.«
»Was?«
»Keiner hier nennt mich Estella. Okay, abgesehen von den Lehrern.«
»Moment mal- Lächelst du gerade?!«
»Nein, ich glaube es nicht! Ich habe Codyan Walsh richtig lächeln gesehen!«
»Es ist ja wohl nicht das erste Mal, dass ich lächle.«
»Das stimmt. Aber das hier sah endlich nach einem richtigen, ehrlichen Lächeln aus.«
»Wie unterscheidest du, wie ein Lächeln aussieht?«
»Das kann man mit mir der Zeit lernen.«
»Stella, du bist vielleicht davon ausgegangen, dass das nur irgendein verdammter Spaß mit dir für mich war. Dass ich das gemacht habe, um mich zu amüsieren und abzulenken. Aber ich hoffe sehr, du weißt mittlerweile selbst, dass das nicht wahr ist. Das war es niemals.«
»Kannst du eigentlich meine Gedanken lesen?«
»Keine Ahnung. Schätze schon, Sonnenschein.«
»Ich habe es dir damals nicht sagen können, aber ich liebe dich, Sonnenschein. Ich liebe dich. Mehr als du es dir vorstellen kannst. Und ich schätze ich tue das, seit dem ersten Tag, an dem wir uns begegneten.«
»Aber, Stella, du musst mir jetzt eins versprechen, okay? Sieh mich an.« Sein Daumen hob mein Kinn an. Ich musste blinzeln. Ich konnte nicht mehr weinen. Es fühlte sich an, als wären keine Tränen mehr in mir übrig.
»Du musst mir versprechen, jetzt nicht einfach aufzugeben. Denn ich kenne dich besser: Das letzte was du tust, ist aufgeben.«
.
Codyan war der einzige Grund, wieso ich nach all den Wochen noch hier war.
Wieso ich mich Tag für Tag dazu zwang weiter zu atmen und nicht einfach endlich loszulassen- wieso das Herz in meiner Brust noch am schlagen war.
Ich fühlte meinen Körper kaum mehr und es erschien mir, als würde ich inmitten eines Rauschs zwischen der Realität, Träumen und unendlich klaren Erinnerungen der schönsten Zeit meines Lebens festhängen:
Als ich ihn kennenlernte. Und sich alles veränderte.
Selbst wenn ich schlief spürte ich seine Wärme, direkt bei mir. Er hielt immer meine Hand in seiner, er küsste mich liebevoll, er erzählte mir irgendwelche Dinge, damit ich einfach nur seine Stimme hören konnte. Er ließ mich nicht allein.
Und auch wenn ich ihm das nicht sagen konnte-
er war der Grund, wieso ich tagtäglich weiter atmete.Aber es wurde nicht leichter. Cody wusste es, genau wie meine Eltern und all meine Freunde.
Die Ärzte hatten bei Visiten nur noch mitleidige Blicke übrig- sie konnten nichts tun. Mein Körper reagierte nicht auf die Medikamente, sondern die Entzündung schritt weiter voran- breitete sich über mein ganzes Herz aus.Nachts konnte ich vor Atemnot kein Auge mehr zukriegen und lag dann einfach in Codyans Armen, während ich so tat, als würde ich schlafen.
Denn ich wusste, anders würde er selbst das nicht tun.
Schließlich opferte er schon genug für mich. Er schwänzte fast jeden Tag die Schule und riskierte es somit, keinen Abschluss zu bekommen. Auf Nachrichten oder Drohungen von Lehrern oder Mr Evensen reagierte er längst nicht mehr. Selbst die Chance vom Laufen- von einem professionellen Leistungssport, war ihm egal.
Ihm war alles egal.
Jedes Mal, wenn mir dieser Gedanke wieder kam, kamen mir die Tränen hervor.
Cody hatte sein normales Leben verdient- und mit mir, in diesem Zustand, konnte er das nicht haben.
.
Es war Mitte des überraschend warmen Aprils- exakt acht Tage nach der Polarlichter Überraschung- als ich verwundert die Augen aufschlug und gegen das Licht der untergehenden Sonne blinzelte.
Codyan hatte mich an sich gezogen, seine Finger strichen wie immer voller Sanftheit über meine Haut. »Was ist los?«, raunte er und seine blauen Augen schossen über mich, als suchte er nach irgendeinem Zeichen von Schmerzen. Sobald ihm klar wurde, dass es mir gut ging, richtete er sich auf.
Ich nahm die Sauerstoffmaske ab und sah ihn an.
»Ich... ich...«
Er setzte sich hin, ließ mich dabei nicht los.
»Soll ich einen Arzt rufen? Deine Eltern? Sag es mir, Sonnenschein. Sag mir einfach, was du brauchst.« Seine Hand legte sich an meine Wange, er strich mir das Haar zurück.»Mir fällt das Atmen so leicht. Meine Brust ist nicht so eng. Es tut nicht mehr so sehr weh.«, brachte ich leise heraus und seine Hand legte sich auf mein Herz. Es schlug.
»Was meinst du? Hilft dir der Sauerstoff?« Seine Augen suchten meinen Blick, aber ich schüttelte nur den Kopf.
»Nein, es... es ist wieder viel leichter einzuatmen.«
»Stella, ich gehe kurz deine Eltern anrufen, okay? Ich sage ihnen, dass sie herkommen sollen.
Nur zur Sicherheit. Ja?«Ich hatte nichts einzuwenden, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt zu genießen, dass die Schmerzen in diesem Moment abgeklungen erschienen und mir das Atmen leicht fiel. Es war viel zu schön- erinnerte mich viel zu sehr an früher.
Es war mir unvorstellbar, wie ich noch vor wenigen Monaten jeden Tag getanzt haben konnte, ohne dabei vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Mir ging es gut- ich hatte rein gar nichts gemerkt, sondern einfach nur wie eine Irre getanzt.
Ich holte zittrig Luft, seine Hand lag immer noch auf meinem Herz. Ich wusste, er wartete auf meine Antwort. »Ja, ist gut... Ruf sie bitte an.«, murmelte ich und nickte.
»Okay, ich bin in wenigen Minuten zurück.« Er küsste mich, stand auf und griff nach seinem Handy, bevor er den Raum verließ. Ich sah, wie die Tür ins Schloss fiel, bevor ich selbst die raschelnde Decke zurückschlug und meine Füße auf den Boden setzte.
Mich am Nachttisch festhaltend zog ich mich hoch, um mich anschließend mit wenigen Schritten zum bodentiefen Fenster vorzuarbeiten. Es kostete mich alle Anstrengung und ich spürte, wie mir das Atmen sofort wieder schwieriger fiel.
Trotzdem packte ich den Griff und riss dann das ganze Fenster auf. Kalter Wind drängte sich mir sofort entgegen und eine stürmische Böe wehte mir alle Haare aus dem Gesicht.
Meine Augen schlossen sich wie von selbst. Je länger ich es schaffte, bloß dort zu stehen, den Wind und ein paar letzte Sonnenstrahlen zu spüren, desto breiter wurde das Lächeln auf meinen Lippen.
Ich achtete weder auf das Schlagen meines Herzens, noch auf jegliche Schmerzen, Sorgen oder meine Müdigkeit, die meinen ganzen Körper wie eine zusätzliche Krankheit erfüllte. Mein Kopf wurde einfach still, während ich die Luft einsog.
»Stella-«, hörte ich Codyan leise sagen. Er trat hinter mich und legte seine Arme um mich. Sofort wurde mir wärmer und es tat gut, mich gegen ihn lehnen zu können.
Als ich die Augen wieder öffnete, starrte ich dem Sonnenuntergang entgegen. Ich sah, wie das Rot sich mit dem Orange vermischte, beobachtete dieses wunderschöne Spektakel und drehte mich dann zu ihm um. Denn ich musste die nächsten Worte einfach aussprechen:
»Das ich normal atmen kann, ist kein gutes Zeichen, oder? Das ist kein Wunder, nicht? Das kann gar nicht sein.«
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The light you brought
RomanceSkogsgård- ein Elite- Internat inmitten der norwegischen Wälder- Estella Larsen wirkt auf jeden nahezu perfekt. Sie ist eine der Klassenbesten, trägt immer ihr bezauberndes Lächeln auf den Lippen und ist eine der besten Tänzerinnen ihres Balletts...