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loml- taylor swift

Alle trugen bunte Farben.

Alle versuchten sich ihr bestes Lächeln ins Gesicht zu zwingen.

Alle versuchten belanglose Gespräche zu führen.

Alle versuchten mich nicht mit ihrem Mitleid zu überschütten, weil sie Angst hatten, dass ich wie fragiles Glas zerbrechen würde. Stattdessen versuchte man mich zum Lachen zu bringen, sich über irgendwelche anderen Sachen zu unterhalten...

Aber keiner von ihnen, kein einziger, verstand auch nur annähernd, wie es in meinem Inneren aussah.

Stellas Tot war vier Monate her.

Exakt hundertzweiundzwanzig Tage und anderthalb Stunden. Dreißig Sekunden.

Vier Monate hatten ihre Eltern gebraucht, bis sie inmitten ihrer Trauer diese Gedenkfeier  organisieren konnten und es auch schafften, selbst  anwesend zu sein. Die Beerdigung war schlimm genug gewesen, weshalb alles sich verzögerte.

Vielleicht war es gut so. Ich wusste, Stella hätte den See- ihren See- an diesem späten Tag im August geliebt. Die warme Sonne, die leichte Brise, die Blumen, die schon lange aufgeblüht waren...

Mein Blick flog im selben Moment zu Emma hinüber- sie war am weinen, tupfte ununterbrochen mit einem Taschentuch. Ihre Augen waren bereits rot geädert. Casper- Stellas Bruder- hielt sie fest.

Seit sie mich mit Stella in meinem Arm und voller Verzweiflung im Krankenhauszimmer gefunden hatten, aber die Ärzte rein gar nichts mehr tun konnten, tat sie das so gut wie immer: Weinen.
Ihr Mann tat es auch. Er weinte auch. Das wusste ich. Er hatte es mir gesagt. Er zeigte es bloß nicht. Das verstand ich- denn mir ging es ähnlich.

Meine Mom lächelte mich von der Seite an. Ihr buntes Kleid wehte im Wind. »Dieser See ist so schön, ich verstehe, wieso Stella ihn geliebt hat.« Das Lächeln wirkte genau wie das der anderen Gäste- mitleidig und voller Trauer.

»Wir sind alle für dich da, Codyan. Jederzeit.« Wir verharrten für einige Sekunden. »Ich werde mal rüber zu Emma gehen.«, sagte sie. Selbst Mom war für diese Feier hergeflogen. Meine Brüder und mein Vater waren zuhause geblieben, was besser so war.

Vielleicht hätte ich mich nicht zusammenreißen können, wenn ich sie gesehen hätte. Sehr wahrscheinlich hätte ich das nicht tun können.

Zwischen all meiner Trauer war da auch tiefe Wut auf meine ganze Familie, auf Arvid, auf Fjell, auf jeden, der Stella in irgendeiner Weise geschadet hatte.

Ich straffte die Schultern. Nein. An dieser Feier musste ich mich zusammenreißen. Also quälte ich mich durch die langatmige Rede von Mr Evensen, durch die atemlosen Worte von Winnie, die sich danach schluchzend in Keetons Arme ziehen ließ und auch eigene Worten von mir, die kaum meinen Mund verlassen konnten und so klangen, als hätte ich sie einstudiert.

Auf keinen Fall würde ich hier weinen.

Im Dunklen, im Zimmer, beim Laufen- war es okay.

Aber nicht hier.

Wir starrten danach alle für einige stille Minuten auf den See. Auf ihren Lieblingsort. Das Plätschern des Wassers, das sanfte Rauschen der Blätter und Zwitschern der Vögel wurde durchschnitten von abgehacktem Weinen, leisen Schluchzern oder Schritten, die sich entfernten, weil alles zu viel wurde.

Ich stand wie erstarrt da und blickte aufs Wasser, auf dessen Oberfläche sich mein Bild spiegelte.

Genau so fühlte ich mich, seit sie weg war- wie erstarrt. Als hätte jemand innerhalb weniger Sekunden alle Farbe aus meinem Leben gezogen und alles in Schwarz getaucht.

Als Myles damals starb, dachte ich, ich würde versinken, aber es war nichts im Vergleich zu den Gefühlen gewesen, die hinter der Dunkelheit auf mich warteten, wenn ich endlich anfangen würde, zu realisieren und akzeptieren, was alles geschehen war.

Sie fehlte mir einfach so unglaublich sehr, dass es physisch weh tat. Alles fehlte- ihr Lachen, ihr Duft, ihre Stimme.

Ich musste mich abwenden, musste mich dazu zwingen, einzuatmen, weil ich sonst einfach keine Luft mehr in meine Lungen gelassen hätte.
Mit dem Finger lockerte ich die Krawatte und trat einige Schritte zurück.

Schon lange wusste ich nicht mehr wohin mit mir- Skogsgård war zu einem Ort geworden, an dem ich bloß jeden Tag mit Erinnerungen an sie konfrontiert wurde. Selbst bei der Bahn, auf der ich den Großteil meiner Zeit verbrachte, war es, als würde ich alte Bilder von ihr sehen, die sich vor meinem Auge abspielten.

Mit tauben Fingern strich ich mir über mein Gesicht. Stella hätte ganz sicher gewollt, dass ich heute so neben mir stand, aber ich konnte mich nicht zusammenreißen. Mein Blick streifte wieder die aufgestellte Staffelei mit einem eingerahmten Bild von ihr- ihr strahlendes Lächeln, ihre Augen...

»Codyan-« Eine Hand legte sich mit festem Druck auf meine Schulter, gerade als meine Sicht wieder von einem Schleier belegt wurde.

Ich sah Mr Saintez ins Gesicht, auf dessen Lippen ein schmales Lächeln lag. Er hatte eine Hand in die Tasche seiner Anzugshose geschoben und wir entfernten uns ganz automatisch von den Gästen.

»Ich will bei den anderen sein, Mr Saintez.
Wirklich, falls Sie denken sollten, ich versuche mich zu drü-«

Er hob abwehrend die Hände. »Ich denke rein gar nichts. Ich sehe bloß einen Jungen, der hier langsam selbst an alldem zerbricht.«

Darauf konnte ich nichts mehr erwidern. Vier Monate, wollte ich sagen. Vier Monate war es her, seit sie weg war. Das war nicht viel Zeit. Da konnte es mir nicht besser gehen. Jedenfalls sagte ich mir das.

»Was erwarten Sie denn von mir? Das ich einfach weiter mache, als wäre nichts geschehen? Das ich wieder glücklich bin?«

»Das erwartet keiner von dir, Junge.«

»Ach ja? So klang das aber gerade.«

»Tut mir leid, falls ich dir das Gefühl gegeben habe, es sollte dir besser gehen, Codyan. Ich wollte dich eigentlich nur um etwas bitten.«

Mein Blick flog zwischen dem Coach und den Menschen her, die immer noch beim Wasser standen. Selbst bis hier hin hörte ich das Schluchzen, was dafür sorgte, dass sich ein neues Engegefühl in meiner Brust breit machte. Ich stützte mich mit einer Hand an einem Baum ab- versuchte irgendwie Halt zu finden.

»Denken Sie nicht, dass das ein schlechter Zeitpunkt ist?«, sagte ich, klang böser, als beabsichtigt.

»Nein, denke ich nicht. Denn in der Schule weichst du jedem aus. Wie ich gehört habe, redest du mit keinem mehr, Codyan. Du schwänzt und gehst zu keinem einzigen Training. Und so geht das nicht weiter. Du kannst nicht derartig versinken.
Weil du die Finals verpasst hast, musst du das Jahr wiederholen. Wie stellst du dir das alles vor?«

Als würde mich das nicht genug beschäftigen, knallte er mir den Fakt vor den Kopf, dass ein Großteil der anderen nach den Sommerferien nicht mehr zurückkehren würden. Anders als ich.

»Es ist nur ein fucking Jahr mehr. Was macht das schon?«, erwiderte ich. »Mir ist das alles so scheißegal, verstehen Sie? Mir sind die Erwartungen egal, der Sport, diese gottverdammte Schule...
Es kümmert mich längst nicht mehr.«

»Aber Stella hätte es gekümmert.«

Ich wandte mich ab. Es fühlte sich an, als hätte er mir einen Schlag in die Magengegend verpasst. Machte er das absichtlich?

»Ich will dich doch bloß um etwas bitten, Codyan.«

»Ach ja? Dann tun sie es, verdammt! Weil ich etwas besseres zu tun habe, als mir Ihr sinnloses Gerede anzuhören. Das hier ist Stellas Feier

»Komm einfach zurück.«

Wieder drehte ich mich um und auf meinen verwirrten Gesichtsausdruck hin, sagte er:

»Komm nächste Woche zurück auf die Bahn. Lauf wieder. Und ich verspreche dir, hier und jetzt, der Schmerz wird irgendwann erträglicher.«

The light you brought Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt