1. Kapitel

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Voller Schreck wachte Silberkralle auf. Sie hatte schon wieder den gleichen furchtbaren Traum gehabt, der sie so oft heimsuchte. Es fühlte sich wieder so echt an, wie damals, als Fleckenpelz ihr ihr einziges Junges geraubt hatte. Sie gähnte und streckte sich bevor sie aus dem Kriegerbau trat. In der Lagerhöhle war schon einiges los. Sie sah zwei Älteste in der Sonne liegen und Fleckenfuß, der gerade mit seinem ehemaligen Mentor Eisfels durch den Tunnel zur Außenwelt ging. „Da bist du ja endlich!", hörte sie Flockenstern, den Anführer des EisClans, hinter sich rufen. „Du musst doch noch die Jagdpatrouillen zusammenstellen. Wir können es uns nicht leisten, dass unsere Zweite Anführerin ihre Pflichten vernachlässigt. Und noch dazu all unsere Krieger aufweckt.", schnurrte er belustigt. „Es tut mir leid. Aber ich kann einfach nichts dagegen tun. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte", entgegnete Silberkralle niedergeschlagen. Ihr Anführer sah sie verständnisvoll an. „Hattest du schon wieder diesen Traum?", fragte er. Seine Stellvertreterin nickte knapp. Sie hatte keine Lust, von ihm getröstet zu werden. „Ich kümmere mich drum", sagte sie und sprang zum Frischbeutehaufen. Als sie ihren Anteil verschlungen hatte, trottete sie zu ihren Clankameraden und erteilte ihnen Anweisungen. Als jeder etwas zu tun hatte, gesellte sie sich zu Nachtschweifs Patrouille. „Na, was meinst du", fragte ihre beste Freundin, „wollen wir zur großen Wiese?" Silberkralles Laune besserte sich sofort. Auf der großen Wiese hatte sie Mondjunges das letzte Mal gesehen und jedes Mal, wenn sie dort war, hoffte sie entweder sich an Fleckenpelz rächen zu können oder Mondjunges zu finden. Bis jetzt war ihr nur leider noch nichts von beidem gelungen. „Da fragst du noch? Natürlich!", schnurrte sie. Nachtschweif kannte sie einfach nur zu gut.

Silberkralle blieb stehen. Sie roch etwas. Etwas das nicht hierher gehörte. „Hey, Nachtschweif! Riechst du das auch?", fragte sie. „Ja. Ist es das, was ich denke?" „Wenn du denkst, dass es ein Fuchs ist, dann ja." Den Katzen sträubte sich das Fell. Füchse wagten sich nicht oft in die Berge. Dennoch gehörten sie zu den gefährlichsten Feinden der Clans. „Der Geruch ist schal. Ich schätze, er war vor ungefähr zwei Tagen hier", sagte Nachtschweif. „Trotzdem sollten wir Flockenstern davon berichten", ergänzte Silberkralle.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie den süßen Duft des SonnenClans wahrnahmen. „Da vorne ist schon die große Wiese! Wir sollten uns vorsichtig anschleichen", meinte Nachtschweif und prüfte die Windrichtung. „Gute Bedingungen. Die Krieger können uns unmöglich riechen." Sie schlichen vorsichtig um die großen Felsen herum, bis sie vor sich grünes Gras sehen konnten. Noch keine SonnenClan-Krieger in Sicht! Sie warteten noch eine Weile. Plötzlich brach aus dem Gebüsch gegenüber ein Kaninchen heraus – dicht gefolgt von dem Schüler Farnpfote. Die EisClan-Katzen wussten mehr über ihre Feinde als diese vermuteten. Zum Beispiel die Namen von fast all ihren Katzen. Der schwarz-weiße junge Kater machte einen großen Satz, landete direkt auf dem Kaninchen und erlegte seine Beute mit einem raschen Biss. Kurz darauf vergrub er den schlaffen Körper und blickte sich misstrauisch um. Der andere Clan hatte eine Ahnung, dass sie hier nicht allein lebten, obwohl sie nicht wussten, wer hinter der verschwundenen Beute steckte. Kurz darauf drehte Farnpfote sich um und ging in die andere Richtung davon. „Jetzt geht's los!", flüsterte Nachtschweif, doch Silberkralle war schneller. Mit einem großen Satz landete sie im hohen Gras und schlich davon, den Bauch dicht an den Boden gepresst. Sie behielt Farnpfote im Auge, der sich einige Male noch umdrehte, sie aber nicht bemerkte. Vorsichtig schlich sie weiter, bis sie die Stelle erreicht hatte, wo das Kaninchen begraben war. Hastig grub sie es aus und rannte dicht am Boden zu ihrer Freundin zurück. „Gut gemacht! Aber du hast einen Vorteil, im Gegensatz zu mir. Dein weiß-grau gestreiftes Fell kann man im hohen Gras nicht so gut sehen, wie schwarzes", grinste sie und die beiden schlichen weiter um die Felsen herum, auf der Suche nach der nächsten Katze. Auf einmal blieb Nachtschweif stehen. „Hey, Silberkralle. Ich glaube ich habe da was gefunden, das dich interessieren könnte." Silberkralle blieb ebenfalls stehen und blickte sich um. Dort - mitten auf der Wiese und ganz allein – stand Fleckenpelz, die Zweite Anführerin des SonnenClans. Silberkralle zögerte nicht lange. Sie stürzte hervor, geradewegs auf die Entführerin ihres Jungen zu. Einen Augenblick später hatte sie sie erreicht, spannte die Muskeln an und sprang. Fleckenpelz rollte zur Seite und versuchte sie mit ihren Hinterläufen umzuwerfen, doch Silberkralle war schneller. Sie biss tief in Fleckenpelz Schwanz. Diese fuhr ihr mit den Krallen übers Gesicht. Silberkralle jaulte auf vor Schmerz und ließ ihren Schwanz los. Als sie sich wieder gesammelt hatte wollte Fleckenpelz gerade erneut ausholen, als sie etwas Schwarzes sah. Nachtschweif hatte sich in den Kampf gestürzt und hieb auf sie ein. Silberkralle rappelte sich hoch und nahm Nachtschweifs Platz ein, als diese beiseite geschleudert wurde. Sie drückte Fleckenpelz zu Boden und biss ihr ins Genick. Die Kätzin wandte sich unter ihrem Griff, doch Silberkralle hielt sie weiterhin fest. „Das ist für Mondjunges!", keuchte sie und spürte, wie Fleckenpelz immer schwächer wurde. Plötzlich packte sie etwas von hinten und sie erstarrte. Es war Flockenstern, der sie wieder in ihr eigenes Territorium zurückzerrte. Kurz darauf drehte er sich um und lief wieder zurück, um Nachtschweif zu holen, die zu erschöpft war, um eigenständig zu laufen. Fleckenpelz schien es ebenso zu gehen, denn sie machte keine Anstalten, sich irgendwie zu bewegen.

Die Abenteuer des EisClans: Ruf der BergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt