4. Kapitel

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„Das kann doch nicht dein Ernst sein!", rief Silberkralle völlig entsetzt. Einige Tage waren seit der Nachricht, der SonnenClan wolle sie angreifen, vergangen. Sie befand sich in Flockensterns Höhle. Der Anführer saß gelassen vor ihr. „Doch, es ist mein Ernst. Ich möchte, dass du Patrouillen zusammenstellst, die das Territorium des SonnenClans erkunden." „Aber wozu soll das denn gut sein?" Sie konnte es einfach nicht fassen. Das wäre doch viel zu gefährlich! „Wir müssen ihnen zeigen, dass sie mit uns nicht das machen können, was sie wollen. Du musst ihr Lager ausfindig machen, damit wir einen Angriff planen können." Silberkralle starrte ihn verdutzt an. Wie konnte er nur so mäusehirnig sein? Doch dann fiel ihr der Streit wieder ein und sie dachte nach. Wenn ich das Lager finde und der Angriff gelingt, dann kann ich sein Vertrauen wiedergewinnen. „Na gut", sagte sie schließlich. „Ich kümmere mich drum." Flockenstern nickte nur und ging an ihr vorbei zum Frischbeutehaufen. Silberkralle folgte ihm und winkte den Kriegern mit der Schwanzspitze zu. „Wurzelkralle, Fleckenfuß, Rindenblatt und Ahornpfote, ihr kommt mit mir. Im dichten Wald werden euch eure Pelze gut tarnen", sagte sie und betrachtete die braunen und cremefarbenen Felle ihrer Begleiter. „Warum sollen wir uns im Wald tarnen?", fragte Ahornpfote, als sie den Tunnel zur Außenwelt betraten. „Flockenstern will, dass wir das Lager des SonnenClans finden", entgegnete sie. „Was?!" Wurzelkralle schien total entsetzt. „Das ist doch viel zu gefährlich! Was ist, wenn wir erwischt werden? Dann sind wir noch schlimmer dran als sowieso schon!" „Ich weiß, denke ich ja auch. Aber wenn Flockenstern das so will..." Fleckenfuß unterbrach sie: „Das ist mir völlig egal! Wenn er das denkt, ist Flockenstern verrückt geworden! Wir können da doch nicht einfach so hingehen und uns vorstellen!" Silberkralle unterdrückte einen Schauder. Sie hatten vollkommen Recht. „Mir gefällt das auch nicht. Er meint, wir müssten uns einen Plan überlegen, wie wir sie angreifen können, damit sie uns nicht zuvorkommen. Aber wenn du mich fragst, werden sie dann nur noch einen Grund haben, uns zu erledigen." Die Patrouille lief schweigend in Richtung Grenze. Die anderen schienen einfach nur verärgert, doch Silberkralle trieb nicht nur Flockensterns Befehl zum SonnenClan. Vielleicht gelingt es mir heute endlich, Mondjunges zu sehen.

Sie trabten mit leisen Schritten um die Felsen. Die Grenze war nur noch wenige Fuchslängen von ihnen entfernt. Sie blieben stehen, als sie vor sich die große Wiese sahen. Es waren nur zwei Krieger auf der Jagd. „Ich schlage vor, wir warten, bis sie wieder gehen. Dann folgen wir ihnen und sie führen uns direkt zum Lager", miaute Silberkralle. Ihre Begleiter nickten. Die Patrouille ließ sich in die Lauerstellung sinken. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber schließlich machten sich die SonnenClan-Katzen auf den Weg. Unauffällig folgten Silberkralle, Rindenblatt, Fleckenfuß, Wurzelkralle und Ahornpfote ihren Feinden. Als sie den Waldrand erreicht hatten, lief ein Schauder über Silberkralles Rücken. Zum Glück muss ich hier nicht leben. Sie jagte lieber unter freiem Himmel, als unter Baumkronen. Immer tiefer drangen sie in das unbekannte Territorium ein. Da sie nicht entdecket werden wollten, folgten sie nur noch der Geruchsspur der Katzen, die sich vor ihnen befanden. Es war jedoch schwer für sie, da die merkwürdigen Waldgerüche sie verwirrten. Sie hielten inne. Ein Dornenwall versperrte ihnen den Weg. „Das muss der Eingang zum Lager sein!", flüsterte Rindenblatt erstaunt. „Wie sollen wir da durch kommen?", fragte Ahornpfote verzweifelt. „Wenn der SonnenClan da durch kommt, dann schaffen wir das auch", tröstete sie ihr Mentor Wurzelkralle. „Aber wir können da nicht einfach so hineingehen wie die SonnenClan-Katzen. Höchstwahrscheinlich werden wir genau dort landen, wo uns jeder im Lager sehen kann. Das dürfen wir auf keinen Fall riskieren", wiedersprach Silberkralle. „Und was machen wir dann jetzt?", fiebte Ahornpfote panisch. „Nicht so laut!" Wurzelkralle schlang ihr den Schwanz um das Maul. „Vergiss nicht, dass wir hier auf feindlichem Territorium sind!" „Ich würde vorschlagen, dass wir mal um das Lager herum gehen. Vielleicht müssen wir gar nicht drinnen sein, um die Schwachstellen herauszufinden." „Guter Vorschlag, Rindenblatt. Das versuchen wir mal", erwiderte Silberkralle. Also schlich die Katzengruppe vorsichtig um den Dornenwall herum. Dann hörten sie Fleckenfuß erfreut Luft holen. „Da ist ein kleines Loch! Es müsste groß genug sein, dass wir ins Lager gucken können." Sofort stürmte Silberkralle zu ihm. Tatsächlich! Da war ein Loch, mindestens so groß wie ein Eichhörnchen. Die Zweite Anführerin kniff ein Auge zu und blickte hindurch. Sie blickte direkt in das Lager! Da waren junge Katzen, die vor einem Bau, wahrscheinlich der Kinderstube, miteinander rauften. Auf der anderen Seite lagen einige Ältesten in der Sonne. Aus einem Bau ganz in ihrer Nähe strömte der Geruch von frischen Kräutern herbei. Dann war das also der Heilerbau. Silberkralle zog ihren Kopf wieder zurück. „Gut gemacht!", lobte sie den jungen Krieger. Inzwischen hatte sich der Rest der Patrouille zu ihnen gesellt. „Und? Wie sieht es aus?" Ahornpfote war ganz aufgeregt. „Sieh selbst durch", schnurrte Silberkralle. Begierig streckte die Schülerin ihren Kopf vor. Nach einigen Herzschlägen zog sie ihn wieder zurück. „Wow!", sagte sie verblüfft. Der Reihe nach schauten alle Krieger durch das Loch. Dann blickte Silberkralle erneut hindurch. Sie musste eine Schwachstelle ausfindig machen. Sie ließ ihren Blick durch das Lager schweifen. Sie entdeckte den Kriegerbau, den Bau der Anführerin, den Frischbeutehaufen, den Lagereingang, den stinkenden Gang zum Schmutzplatz, ein großes Loch in der Dornenbarriere... - Moment mal! Das Loch war eindeutig groß genug für eine Katze. Und es führte auch nicht genau auf die Lichtung. Es verbarg sich fast vollständig hinter dem Kriegerbau. So würden sie direkt in den Bau einfallen können, ohne dass ihre Feinde eine Chance hatten, auf die Lichtung zu fliehen. Dort waren sie im Vorteil, doch der EisClan war es gewohnt, sich in engen Höhlen aufzuhalten. Silberkralle hatte genug gesehen. Sie wollte gerade ihren Kopf zurückziehen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Eine Katze hielt sich ganz in ihrer Nähe auf. Es war Fleckenpelz! Voller Genugtuung sah Silberkralle, dass ihre Wunden noch immer nicht verheilt waren. „Fleckenpelz, du weißt doch, was Graufeder gesagt hat! Du darfst deine Pfote noch nicht belasten. Und die Wunden könnten auch wieder aufgehen." Eine fremde Katze schlich hinter der Verletzten ins Freie. Aber irgendwie... „Ich gehe hinaus, wann immer ich will. Diese Merkwürdigen fremden Katzen haben mich einiges an Kraft gekostet, aber es geht mir schon wieder viel besser. Mach dir mal um mich keine Sorgen, Mondkralle." Silberkralle traute ihren Ohren nicht! Hatte diese idiotische Diebin gerade Mondkralle gesagt? Als sie ihr Junges verloren hatte, war dieses noch zu klein gewesen, um sich an seine Herkunft zu erinnern, aber traf das auch auf den Namen zu? Sie beobachtete die Katzen, die sich immer weiter von ihr entfernten. Sie schätzte die junge Kätzin ab. Sie war ungefähr in Fleckenfuß' Alter, hatte einen cremefarbenen Pelz, dunkle Pfoten, sowie Schwanz und Ohren. Sie war sich nicht sicher, doch dann... War das eine Narbe am Hinterbein? Es war zwar schon lange her, doch Silberkralle wusste ganz genau, dass sich ihr Junges auf dem Sprint Richtung Grenze an eben dieser Stelle eine Verletzung zugezogen hatte. Es gab keinen Zweifel – die Katze vor ihr war tatsächlich Mondjunges!

Die Abenteuer des EisClans: Ruf der BergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt