*Prolog*

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Pfeifend kam der Wind von Westen her und zog das Wasser mit sich. Rauschend schlugen die Wellen übereinander. Weisser Schaum bildete sich dort, wo sie aufschlugen. Nicht nur Sand und Gestein trafen auf Land. Muscheln und Kristalle reflektierten das Licht der Sonne und weckten die Neugier, woher sie wohl stammten.

Es war nicht wegzudenken, dass Schlachten, Edelsteine und Schwerter an Land trieben. Nur eröffneten jene Sachen nicht, woher sie stammten und was ihre Geschichten waren.

Einzig und allein die Schiffe in weiter Ferne konnten ihre Herkunft erklären. Einsam und sorglos trieben sie auf Oros, nicht weit vom nördlichen Hafen von Nero, nahe Teros' und der Hauptstadt Neor. Noch ahnten sie nicht, welches Schicksal bald auf sie treffen wird.

Wie konnten sie auch. Weder die Handelsschiffe noch die Piratenlords wussten, was sich vor Lato abspielte. Doch sie würden es früh genug erfahren und die Piraten an eigenem Leib erleben.

Die Zukunft brachte nichts Gutes mit sich. Der Wind spürte die Unruhen auf See und welches Schicksal sein Sturm mit sich brachte. Selbst die Möwen, die über der Küste und den Schiffen kreisten, spürten die Gefahr. Ihr Kreischen war nicht gewöhnlich. Es waren Warnrufe, die eben für jene Piraten auf Oros wichtig gewesen wären.

Anders als die Weisse Hexe, die jedoch ausser Haus war. Ihre Hütte lag nicht weit von der Küste.

Die Menschen in Teros und Neor mieden diesen Ort. Sie fürchteten sich vor der Macht der Hexe, nicht ahnend, welch Wunder sie bewirkte und wie gutmütig sie war.

Es war nicht unüblich, dass die Weisse Hexe Stürme voraussah und die Länder Neros warnte, doch leider umsonst. Die Menschen fürchteten sich mehr vor ihr als vor dem Wind, der ihr Untergang sein könnte.

Einiges an Leben konnte die Weisse Hexe retten, doch umso mehr starben, weil sie ihr nicht vertrauten.

Die Last der Toten trieben die Hexe immer weiter in Isolation und mit ihr, ihre Tochter.

Einsam aufzuwachsen war nicht leicht, doch das Meer gab ihr Hoffnung. Das Kind liebte es, die Wellen zu beobachten und die Dinge zu sammeln, die sie zu ihr brachten. Es glaubte fast, Oros tat dies ihr zu ehren, um sie zu beschenken.

Jeder Stein, jede Muschel und jeder Edelstein waren Geschenke an sie, die sie mit ihrem Leben hütete.

Die Tochter der Hexe war eine Sammlerin von Dingen und hätte sie öfters auf ihre Mutter gehört, dann hätte sie die Warnrufe der Möwen entschlüsseln und ahnen können, welcher Fund bald auf sie zukam.

Da war nur das Flüstern des Ostwindes, der sie vor den Fremdlingen warnte. Doch nichts an seinem Ruf, liess sie vor dem Meer zurückschrecken.

Der Wind rief nach ihr und wie sie nun mal war, konnte sie einem Sammelstück einfach nicht widerstehen.

Das Kind trat ins kalte Wasser, dessen Wellen sanft gegen ihre kurzen beide schlugen. Für gewöhnlich folgten die Wellen dem Beispiel des Windes, der scharf und wild schlug. Nur hielt sich das Meer heute zurück. Der Sturm wütete woanders. Er hatte kein Interesse daran, das Kind in die Tiefen Oros' zu ziehen. Das Meer hatte kein Recht, seine Pläne mit dem Kind zu schmieden. Ihr Schicksal war an den Wind gebunden.

Und genau jener Plan führte die Tochter zu den auf dem Meer treibenden Körpern.

Zuerst wollte sie augenblicklich kehrtmachen und sich hinter Tür und Riegel verstecken, doch der Wind zog sie weiter in ihre Richtung.

Nach nur wenigen Schritten wurde selbst ihr klar, dass von den beiden treibenden Körpern keine Gefahr ausging.

Der Körpergrösse nach zu schliessen, waren beide nicht viel älter als die Tochter der Hexe. Erschrocken wollte sie zurückweichen, doch der Drang zu helfen wurde gross.

Eilig näherte sie sich den beiden Kindern, die nicht weit voneinander trieben. Kaum gelangte sie zum ersten Kind, griff sie ihr an den Nacken und packte sie an den Haaren.

Mit aller Kraft zog sie es durch das Wasser, bis sie Sand unter sich zu spüren bekam. Sie betete das Kind sicher auf den Boden und watete zurück ins Wasser.

Als beide in Sicherheit waren, legte sie ihr Ohr auf den Brustkorb des einen Kindes. Nur ganz schwach war der Herzschlag zu hören.

Die Tochter der Hexe fürchtete schon, dass die Kinder unter ihrem Zögern zu liegen kamen, denn kein Atem drang aus ihrem Mund.

Wie das erste, war auch das zweite sehr still.

Angst packte das Kind. Leise rief sie nach ihrer Mutter, doch sie war fort. Ihre Lippen zitterten leicht. Auf ihrer Zunge schmeckte sie das Salz, das von ihren Tränen herstammte.

Die Tochter der Hexe hatte nie verstanden, weshalb ihre Mutter um das Leben der Menschen in Neor getrauert hatte. Doch nun erlebte sie es an der eigenen Haut.

Es war schrecklich daneben zu stehen und hilflos mitanzusehen, wie jemand starb.

Sie wollte nicht wie ihre Mutter enden. Sie wollte zu keiner Hülle ihrer selbst werden und ein einsames Leben wie das hier führen.

Deshalb flehte sie.

Sie flehte um das Leben dieser beiden Kinder. Sie bat das Meer, ihr zu helfen. Sie schwor der See, seine Schätze zurückzugeben, selbst wenn sie ihre Sammlung dafür aufgeben musste. Nur damit Oros diese zwei Leben verschonte. Doch das Meer hatte hier kein Recht, seine Pläne zu schmieden

Sie schrie in den Wind, ihnen den Atem zu schenken. Sie flehte ihn an, einen Weg in die Lungen der Kinder zu finden und er erhörte sie.

Der Wind wuchs zu einem Sturm, riss Wurzeln und Äste mit sich, alles nur, um ihr Schicksal zu erfüllen.

Kaum drang der Sturm in ihre Lungen vor, da schnappten sie auch schon nach Luft.

Die Tochter der Hexe flehte und der Wind hörte zu. Dankbar blickte sie auf in die Richtung, aus der der Sturm zog. Das Meer lag leer da, keine Menschenseele weit und breit, so als hätte es alles verschluckt.

Alles, bis auf die beiden Kinder. Denn das Meer hatte sie erwählt und der Wind sie gerettet.

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Willkommen zu meiner Geschichte Lunaris, ehemals Pirates. Ich bin froh und dankbar, dass ich diesen Weg erneut wagen darf.  Ich wünsche euch viel Spass und freue mich auf jedes Sternchen, jeden Kommentar und jede neue Rückmeldung.

Lunaris - Das Kind des SturmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt