Kapitel 1 - Eve

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Alles begann mit einem Klick. Ein Klick, der dazu führte, dass sich mein eigentlich bereits volles Email-Postfach öffnete und ich im ersten Moment fast einen Herzstillstand erlitt.
   
Das kann nicht wahr sein, denke ich. Mein erster Impuls ist, die E-Mail als Spam zu markieren und zu löschen. Doch irgendetwas in mir hält mich zurück. Vielleicht ist es die winzige Hoffnung auf ein bisschen Glück in meinem sonst so chaotischen Leben.
   
Schon als mir die Betreffzeile „Herzlichen Glückwunsch!" entgegenspringt, stockt mir der Atem. Das letzte Mal, dass mir jemand so etwas geschrieben hat, war, als ich die fünfte Klasse wiederholen musste. Aber das hier war anders.
   
Mein Herz schlägt schneller, während ich die Nachricht öffne und die fettgedruckten Worte „zweiwöchige Traumreise auf die Malediven" entdecke. Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Habe ich das wirklich gewonnen? Ich - diejenige, die in jeder erdenklichen Situation vom Pech verfolgt wird - soll der große Glückspilz sein?
   
Ich lese die Nachricht mehrmals, sicher, dass es sich um einen Fehler oder vielleicht sogar um einen Betrug handelt. Die letzten Wochen waren ein einziges Chaos. Erst habe ich fast meinen Job verloren, weil ich aus Versehen den Feueralarm ausgelöst habe, als ich versuchte, eine Spinne zu entfernen. Dann hatte ich einen peinlichen Auftritt bei der Hochzeit meiner Tante, den ich jetzt lieber nicht weiter ausführen möchte. Und nun soll das Universum plötzlich beschließen, mir eine Traumreise zu schenken?
   
Langsam beginne ich, die Details der E-Mail zu erfassen. Ich hatte an einem Online-Gewinnspiel teilgenommen, ohne wirklich daran zu glauben, dass ich eine Chance hätte. Es war einer dieser Abende gewesen, an denen ich mich durch das Internet geklickt hatte, wie ein zielloser Wanderer in einem endlosen Labyrinth. Ein paar Klicks hier, ein paar Felder da und voilà - jetzt bin ich die glückliche Gewinnerin einer Reise ins Paradies. Jetzt, ein paar Wochen später, halte ich den Beweis dafür in den Händen - oder vielmehr auf dem Bildschirm.
  
„Liebe Eve", beginnt die E-Mail. „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie die Gewinnerin unserer zweiwöchigen Traumreise auf die Malediven sind!"
   
Ich kann nicht anders, als laut aufzulachen. Es ist ein ungläubiges, fast hysterisches Lachen. Zwei Wochen auf den Malediven. Weiße Sandstrände, türkisblaues Wasser, exotische Cocktails und traumhafte Sonnenuntergänge.
   
Meine Hände zittern, als ich zu meinem Handy greife und die Nummer meiner Mitbewohnerin und besten Freundin Hannah wähle. Sie nimmt nach dem dritten Klingeln ab.
   
„Hannah, du glaubst nicht, was gerade passiert ist!", sprudle ich heraus, immer noch im Schockzustand, bevor sie auch nur Hallo sagen kann.
   
„Wenn es wieder eine Spinne ist, nimm diesmal bitte keinen Feuerlöscher!"
   
„Nein, viel besser! Ich habe gerade eine Reise auf die Malediven gewonnen!!! Zwei Wochen im Paradies, alles inklusive!"
   
„Oh mein Gott, du verarschst mich, oder?!"
   
„Nein, Hannah, ich kann's ja selbst kaum glauben! Check dein Postfach, ich hab dir die Mail gerade weitergeleitet."
   
Ich höre, wie Hannah auf der anderen Seite der Leitung hektisch ihren Laptop aufklappt und beginnt, in ihrem Postfach zu suchen. Mein Herz klopft immer noch wild und ich kann das Kribbeln in meinen Fingern spüren.
   
„Okay, ich hab sie", sagt sie nach einer gefühlten Ewigkeit, während ich nervös an meinen Fingernägeln kaue. „Eve, das ist der Wahnsinn!" Ich schwebe für exakt zehn Sekunden auf Wolke sieben. In etwa so lange, bis von Hannah ein verwundertes „Aber ... warte mal ... hier steht, dass die Reise nur für Paare ist." Das war der Moment, in dem für mich meine kleine heile Welt wieder zusammenbrach. Meine Euphorie verfliegt abrupt.
   
„Was?!", schreie ich so laut, dass die Nachbarn bestimmt dachten, ich hätte wieder eine Spinne gesehen. „Wo steht das?!"
   
„Eve, es steht in Fettdruck direkt unter dem Text.", seufzt Hannah.
   
„Wie konnte ich das bei meiner Teilnahme übersehen? So verpeilt kann doch kein Mensch sein!" Wahrscheinlich weil ich die Teilnahmebedingungen genauso sorgfältig gelesen habe wie die Anleitung zum Aufbau eines Ikea-Möbelstücks – also gar nicht.
   
„Naja, du bist da schon ein Sonderfall", meint Hannah und ich kann das ironische Grinsen in ihrer Stimme hören.
   
Ich sitze in der kleinen, chaotischen Küche der WG, die ich gemeinsam mit Hannah bewohne, umgeben von stapelweise ungelesenen Zeitschriften und halb leeren Kaffeetassen. Die Nachmittagssonne strömt durch das einzige Fenster und beleuchtet den Staub, der in der Luft schwebt. Ich starre aus dem Fenster, während Hannah weiterhin die Details der Reise liest.
   
Ich bin Single. Seit Ewigkeiten. Meine letzte Beziehung endete so unschön, dass ich seither beschlossen habe, mich auf niemanden mehr einzulassen. Und jetzt das. Aber die Malediven ... Eine Chance wie diese werde ich nie wieder bekommen. Ein schweres Gefühl der Enttäuschung lastet auf meiner Brust und ein Seufzen entweicht meinen Lippen, als ich den Gedanken an meinen Single-Status wieder verdränge und mich auf das konzentriere, was vor mir liegt: die einmalige Chance auf eine Traumreise.
   
„Was soll ich denn jetzt machen?"
   
„Hm", murmelt Hannah nachdenklich. „Lass mich kurz überlegen ... "
   
Ratlos lasse ich meinen Kopf in meine Hände sinken. „Ich werde nie und nimmer in vier Wochen eine passende Begleitung finden. Mal davon abgesehen, dass ich niemanden in meinem Alter kenne, der erstens in keiner Beziehung ist und zweitens mit dem ich mir überhaupt eine vorstellen könnte."
   
Hannahs Stimme wird lebhafter. „Hey, lass den Kopf nicht hängen. Wir finden gemeinsam eine Lösung."

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