Guten Abend...

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Aufmerksam sah Evelyn sich um, machte sich ein Bild von ihrer Umgebung, von der exklusiven Gesellschaft, in welche sie sich einem Chamäleon gleich einfügte. Eine Gabe, welche man in diesem Beruf zweifelsfrei besitzen sollte, denn nichts war schlimmer, als nicht ins Bild zu passen, gar negativ aufzufallen. Sie waren die hübsche, die elegante Dekoration ihrer Kunden, stellten sie in den Fokus, niemals sich selbst.
Erneut ließ sie den Blick durch das imposante, mit weißem Marmor vertäfelte Foyer streifen, hielt Ausschau nach ihrem Kunden, genoss die Nervosität, dieses angenehme Prickeln, welches ihre Adern durchzog. -19:59 Uhr- las sie auf der perfekt zu ihrem rückenfreien schwarzen Abendkleid abgestimmten Armbanduhr, biss sich voller Erwartung auf die Unterlippe, ließ den Haupteingang des Gebäudes keine noch so winzige Sekunde aus den Augen. Sie konnte nicht riskieren ihn zu verpassen, sich nicht erlauben ihren Kunden in den ersten Augenblicken seines Erscheinens zu übersehen. Schließlich war sie seine Begleitung – und sie wusste wer ER war. Sie hatte Bilder gesehen, hatte Artikel über ihn gelesen, erfahren, dass er mehr als nur einer Escort-Agentur den Rücken gekehrt hatte, weil die Damen seinen Ansprüchen nicht genügt hatten. Sei es an seiner Seite, oder aber auch im seinem Bett. Er war anspruchsvoll, hochintelligent und, wenn man den Artikeln die man fand glauben schenken durfte, rücksichtslos, außergewöhnlich erfolgreich und unfassbar arrogant.

„Guten Abend. Suchen Sie jemanden?“ Evelyn fuhr regelrecht zusammen, hielt unwillkürlich den Atem an, als ein unsagbarer Schauer ihren Körper passierte. Fest schluckend wandte sie sich der angenehm ruhigen Stimme dicht hinter sich zu. Dr. Oliwier Tomar. Das also war er. Sein schwarzer Designeranzug zweifelsfrei eine Maßanfertigung, seine schwarzen Lederschuhe matt, perfekt geputzt, seine dunkelbraunen Haare streng, akkurat zurückgekämmt, seine Gesichtszüge markant und doch beinahe sinnlich, seine Augen hell, durchdringend – außergewöhnlich.  Wie hatte er unbemerkt auftauchen können? Wie hatte ER ihrem Auge entgehen können. Mühevoll löste sie sich aus ihrer Starre, straffte die Schultern, sah ihm selbstbewusst, jegliche Unsicherheit, jegliche Reaktion ihres Körpers vertreibend in die Augen. „Guten Abend“, erwiderte sie, auf ihren Lippen ein reizenden Lächeln. „Dr. Tomar, richtig?“ „Oliwier“, korrigierte er, ehe sie voller Selbstverständlichkeit dichter an in herantrat, ihm einen winzigen Kuss auf die rechte, auf die linke Wange hauchte – dieser Duft. So frisch, so betörend: „Evelyn, freut mich sehr, Oliwier“. Ohne eine Erwiderung seinerseits nickte er lediglich, lächelte knapp, beinahe kühl und deutete auf die geöffneten Flügeltüren, welche augenscheinlich zu dem festlich geschmückten Saal des Gebäudes führten. Evelyn erwiderte sein Lächeln mit gewohnter Wärme, versuchte seinen Blick, seine Gesichtszüge zu deuten, bis sie schweigend, ohne eine Sekunde zu zögern an seine Seite trat, sich als wäre es das normalste der Welt bei ihm einhakte. An diesem Abend ihr Platz.


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Das war sie, das musste sie sein. Ihr dunkelblondes lockiges Haar raffiniert hochgesteckt, ihr schlanker Körper nahezu umschmeichelt von der schwarzen Seide ihres rückenfreien Kleides. Ihre Haut zart gebräunt, makellos, ihre Haltung erhaben, ihr Hintern klein, knackig, perfekt geformt. Was für eine Frau und bei Gott – das war lediglich ihre Kehrseite. Aufmerksam sah sie zum Eingang des Foyers, fokussierte ihn voller Konzentration. Sie schien zu suchen, jemanden zu erwarten, den sie keinesfalls verpassen wollte. Ihn!

Langsam trat er hinter sie, atmete tief ein, als dieser herrliche Duft seine Nase umschmeichelte, schloss für einen winzigen Augenblick seine Augen ehe er mit ruhiger Stimme zu sprechen begann: „Guten Abend, suchen Sie jemanden?“. Gespannt beobachtete er sie, betrachtete voller Faszination das Spiel ihrer Rückenmuskulatur, ehe sie sich ihm zuwandte, ihm unvermittelt in die Augen sah. Ihre Iriden funkelnd,  als wären aus edelstem Bernstein gefertigt, verziert mit winzigen goldenen Sprenkeln, welche ihn regelrecht in ihren Bann zogen

Sie musste es einfach sein!

„Dr. Tomar, richtig?“ Er atmete auf, spürte wie urplötzlich eine sengende Hitze seine Blutbahnen durchzog, seinen Körper binnen weniger Augenblicke reagieren ließ: „Oliwier“, korrigierte er, bemüht seinem Körper nicht die Oberhand über diese im Grunde so banale Situation zuzugestehen doch er hatte keine Chance. Ihn nicht aus den Augen lassend trat sie näher an ihn heran, hauchte ihm, ohne seinen Körper auch nur im Ansatz zu berühren einen Kuss auf die rechte, auf die linke Wange. Unwillkürlich schloss er die Augen, spürte ihre Lippen, ihren Atem, die Hitze, welche ihren Körper umgab. „Evelyn, freut mich sehr, Oliwier“, riss ihn ihre feste, verführerische Stimme zurück in die Realität. Er musste sich zusammenreißen, musste wieder in seine gewohnte Rolle finden. Tief atmete er durch, bemüht ihre Nähe, ihren Duft auszublenden, bis er nickte, sich ein knappes Lächeln auf die Lippen zwang. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Und DAS würde er, dessen war er sich sicher, mit dieser Frau haben.


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