Mönchspfeffer

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„Guten Morgen Chefin“, trällerte es durch die Räumlichkeiten ihrer Agentur, ehe die Tür zu ihrem Büro schwungvoll aufflog. „Ich habe dir einen Cappuccino mitgebracht“. Evelyn lachte leise, hob eine Augenbraue und betrachtete die mit einem breiten Grinsen vor ihr stehende Schönheit, in ihren Händen zwei große beigefarbene Kaffeebecher ihres Lieblings Cafés – Valerie. „Bestechung? Oder doch das schlechte Gewissen?“, feixte sie worauf sich ihre Gegenüber schnaubend auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen ließ, sie mit ihren großen, perfekt in Szene gesetzten Rehaugen ansah und einen der Becher zu ihr hinüber schob. „Mit Karamellsirup“. Sich ihrem Charme, ihrer guten Laune ergebend schüttelte Evelyn den Kopf. Sie konnte ihr einfach nicht böse sein. „Glaub mir, hätte gestern jemand nur darüber nachgedacht mich anzufassen, wäre ich ihm an die Gurgel gesprungen.“, erklärte sie, während nun auch Evelyn nach ihrem Becher griff, wohlig seufzend daran nippte. Göttlich! „Der Versuch mich zu vögeln hätte ihn vermutlich das Leben gekostet.“ „Er hätte es überlebt“ Fragend sag Valerie auf: „Oh“, entfuhr es ihr, ehe sie mit ernster, beinahe schuldbewusster Miene fortfuhr: „Wen hast du geschickt? Fabienne?“. Evelyn lächelte. Es gab keinen Grund für ein schlechtes Gewissen. Sie kannte Valerie seit Jahren. Eine ihrer ersten Damen und inzwischen eine ihrer engsten Vertrauten. Meldete sie sich krank, hatte es sie vermutlich innerlich zerrissen. Sie liebte ihren Job, liebte ihren damit verbundenen Lebensstil, sowie ihr ausschweifendes Sexleben. Wie sie auch. „Du solltest mal mit deinem Gynäkologen sprechen, Val.“ „Habe Ich…. MÖNCHSPFEFFER“ „Was?“ Valerie lachte: „Na Mönchspfeffer. Das Wundermittel gegen Regelschmerz.“ „Na, wenn das hilft ist es tatsächlich ein Wunder…“, erwiderte Evelyn amüsiert, während ihre Freundin sie erwartungsvoll ansah, ihre Augen vor Neugierde regelrecht aufblitzten. „Nun, wen hast du gestern geschickt? Klang nach einem wichtigen Kunden. Was ist passiert? Hat Fabienne wieder ein Fettnäpfchen gefunden?“. Kopfschüttelnd nahm Evelyn einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher, bemüht dieses mehr als präsente Kribbeln zwischen ihren Schenkeln beiseite zu schieben, sich nicht in den Erinnerungen, den Empfindungen des vorangegangenen Abends zu verlieren: „Ich habe mich selbst darum gekümmert“, erklärte sie, worauf Valerie überrascht eine Augenbraue hob, wissend zu Grinsen begann: „VIP, was?“. „Einen Kunden wie ihn zu gewinnen ist durchaus rentabel, wenn ich bedenke, mit welchem Betrag ich seine Kreditkarte so belastet habe. Und sofern es ein nächstes Mal gibt, gehört er dir…“. „Warte warte warte…“, begann Valerie, gestikulierte dabei wild mit ihren Händen, wobei  der Cappuccino durch die Öffnung des Bechers schwappte: „Ach Mist“, fluchte sie, leckte den Kaffee von ihren Fingern und stellte ihn auf dem Schreibtisch ab. „Und kein Sex? Er hat DICH verschmäht?“. Nachdenklich sah Evelyn die junge Frau mit hellbraunem Haar an, ihr Blick beinahe fassungslos. „Das würde ich so nicht sagen. Seine Prioritäten lagen ....woanders.“ „Woanders?“, hakte Valerie sichtlich verwirrt nach. Evelyn hob die Schultern, grinste zufrieden: „Irgendwann habe ich aufgehört die Orgasmen zu zählen…“. „Seine?“ „Was? Nein….“, lachte Evelyn, ehe sie fortfuhr: „Meine.“ „Das verstehe ich nicht…“. Evelyn hob erneut die Schultern, nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher: „Kein Sex, kein Blowjob, kein Handjob. Ich habe ihn nicht einmal berührt, geschweige denn zum Orgasmus gebracht.“, erklärte sie nüchtern, während Valerie die Kinnlade regelrecht hinunterklappte: „Er verpasst dir unzählige Orgasmen… lässt sich selbst aber nicht anrühren? Was ist schief gelaufen?“ „Nichts…Ich denke er wolllte einfach nicht, hat bereits abgeblockt, als ich seine Hose öffnen wollte“. „Ich dachte  dieser Mann sei ein gnadenloser Weiberheld, der nichts anbrennen lässt. Das passt doch nicht“. Nein, das passte tatsächlich nicht. So zärtlich, so aufmerksam, so gönnerhaft – so bescheiden, was seine eigenen Bedürfnisse anging. Er hatte sie gebeten zu bleiben, lediglich um neben ihr zu liegen, durch ihr wirres Haar zu streichen, über ihren nackten Rücken, während sie vor Erschöpfung bereits in den Schlaf abgedriftet war. Ein extrem teures Vergnügen und mehr als untypisch für einen rücksichtslosen, egozentrischen Weiberhelden, als der er von den Zeitungen, von den Medien nur zu gerne dargestellt wurde. „Du würdest die Zeit mit ihm genießen, Val. Ganz sicher“. Valerie grinste zufrieden, musterte ihre Freundin neugierig: „Und wie war es seit Jahren wieder am Kunden zu sein?“ „Es ist wie Fahrrad fahren“, erwiderte Evelyn lächelnd, zuckte amüsiert mit den Schultern: „Man verlernt es nicht und es macht höllisch Spaß“, zwinkerte sie, was ihre Gegenüber herzhaft auflachen ließ: „Na wenn das so ist, setze ich mich wohl auch mal wieder aufs Rad. Brunch mit Alexander.“

Die Füße unter der bunten, von ihrer Großmutter genähten Patchworkdecke begraben, der Laptop auf ihrem Schoß, neben ihr ein Glas gut gekühlter Cuvee. 19:22 Uhr. ‚Selbstständig‘, schoss es ihr in den Sinn – ‚Selbst‘ und ‚ständig‘. Schnaubend öffnete sie ihre Buchhaltung, prüfte, wie jeden Tag die Zahlungseingänge. Was?

Transaktionstyp: Eingang
Betrag: 1.500 Euro
Verwendungszweck: Boni
Absender: Dr. Oliwier Tomar
Absender IBAN: DE48 5000 0000 0050 8015 01
Absender BIC: DRESDEFF

Ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen griff sie nach ihrem Glas, nahm einen großen Schluck. 1.500 Euro. Ein Trinkgeld beinahe so hoch, wie das bereits über seine hinterlegte Kreditkarte gezahlte Honorar. Das konnte nicht sein. Vermutlich ein Missverständnis. Hatte er nicht gewusst, dass sie seine Kreditkarte belasten würde? Nein, dafür war es nicht genug. Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe, stellte das Glas beiseite, schüttelte den Kopf, bis sie entschlossen nach ihrem Smartphone griff, die für Oliwier hinterlegte Telefonnummer wählte.
„Chotin“, ertönte eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung, welche sie irritiert eine Braue heben ließ. „Guten Tag Herr Chotin, mein Name ist Evelyn. Ich hatte eigentlich beabsichtigt Herrn Tomar zu erreichen. Ist mir ein Fehler unterlaufen?“ „Nein, nein. Mein Name ist Pascale Chotin. Ich bin sein Assistent. Darf ich fragen worum es geht?“, erwiderte er hastig. Evelyn atmete tief ein, lächelte: „Es geht um eine private Angelegenheit.“ „Nun“, begann der hörbar junge Mann amüsiert, ehe er fortfuhr: „Da meine Nummer hinterlegt ist, gehe ich davon aus, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, welche in meinen Zuständigkeitsbereich fällt.“ Evelyn zögerte, schwieg einen Augenblick, rief sich den zur Buchung gehörenden E-Mail-Verkehr auf. Tatsächlich P. Chotin. „Gibt es ein Problem?“ Trotz der Tatsache, dass er sie nicht sehen konnte, schüttelte sie den Kopf: „Nein, kein Problem. Eher ein Missverständnis. Es geht um Herrn Tomars gestrige Begleitung…“ „Ach jetzt“, unterbrach er sie, als er zu verstehen schien „Natürlich. Die Escortagentur.“ „Richtig“, bestätigte sie, ehe sie erklärend fortfuhr: „Ich habe eine Zahlung erhalten, obwohl das Honorar bereits über die Kreditkarte beglichen wurde. Ich wollte mich erkundigen, ob hier gegebenenfalls ein Missverständnis vorliegt. Der Betrag ist nicht unerheblich. “ Für einen Augenblick schwieg ihr Gesprächspartner, schien zu überlegen: „Nein, davon weiß ich nichts. Das muss Herr Tomar selbst veranlasst haben.“ „Vielleicht könnte ich kurz mit ihm sprechen.“, warf Evelyn ein, doch der junge Mann verneinte sogleich: „Ich werde die Angelegenheit klären und mich dann bei Ihnen melden. Ich erreiche Sie unter dieser Nummer?“ Ein seltsames, undefinierbares Gefühl durchfuhr ihren Körper, ließ sie für einen winzigen Moment irritiert innehalten. Sie hatte damit gerechnet ihn zu hören, mit ihm zu sprechen, nicht mit seinem Assistenten und nun...Sie schüttelte den Kopf, schüttelte die Gedanken regelrecht von sich: „Richtig, vielen Dank“.

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Erschöpft ließ er seine lederne Laptoptasche zu Boden sinken, lehnte sie an das anthrazitfarben Sofa, fuhr sich mit der Hand durch sein akkurat zurückgekämmtes Haar. Noch immer spürte er ihre kraftvollen Finger darin, hatte dieses unsagbar lustvolle Stöhnen im Ohr. Wann hatte er sich das letzte mal derart fallen lassen können, hatte vollkommen er selbst sein können? Es war keine Diskussion gewesen, keine Fragerei. Sie hatte ihn lediglich fragend, sichtlich verwirrt angesehen und doch hatte sie kein Wort gesagt, ihn nicht einmal im Ansatz in die Lage gebracht sich rechtfertigen zu müssen. Sie hatte es einfach hingenommen.

Das hellgraue Jackett abstreifend betrat er das Schlafzimmer, verweilte gedankenverloren an dem in der Mitte des Zimmers platzierten Bettes, bis er regelrecht zusammenfuhr, ihn das Klingeln seines Smartphones abrupt aus seinen Gedanken riss. „Ich hoffe für Sie, dass es wichtig ist, Pascale.“, knurrte er, was seinen Assistenten zügig antworten ließ: „Es gab eine Irritation mit der Zahlung an NumberOne. Eine Dame namens Evelyn hat mich kontaktiert. Haben Sie eine Zahlung angewiesen?“, erkundigte er sich gänzlich unbeeindruckt von seiner schlechten Laune. Oliwier wurde hellhörig. Evelyn?

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