Alles Show!

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Dekadenz – Das erste Wort, welches Evelyn zu all dem, was sie dort sah in Sinn kam. Die Einrichtung, die Dekoration, das Essen, der Service, wie auch jeder einzelne der anwesenden Gäste. Ein Sehen und gesehen werden, ein ‘Ego polieren’ auf höchstem Niveau. Und all das unter dem Deckmantel eines guten an den Haaren herbeigezogenen Zwecks. Natürlich nicht, ohne die Spendengelder anschließend steuerlich abzusetzen. Sie kannte diese Männer, hatte tagtäglich mit ihnen zu tun, feilschte trotz einem Jahreseinkommen in Millionenhöhe, wie einem vorab festgesetzten Honorar, oftmals um jeden einzelnen Euro. Das Haar zu blond, die Brüste zu ‘gemacht’, der ‘Service’ mittelmäßig - Trinkgeld Fehlanzeige. All das, während sie sich Häppchen im Wert eines Kleinwagens einverleibten. Es war eine ausgeklügelte Scharade, eine Welt von Heuchelei, von Intrigen und niemand ließ sich dabei in die Karten sehen – so vermutlich auch ihr Begleiter. „Oliwier, schön Sie zu sehen. Pascale wollte mir doch tatsächlich nicht verraten, ob Sie heute hier sein würden. Hätte ich das gewusst hätte ich Paolo nicht...“, vernahm sie eine liebliche Stimme, bis sie vollkommen unerwartet von ihrem Begleiter unterbrochen wurde: „Mein Assistent hat klare Anweisungen, Beatrice…“, erklärte er nüchtern, ehe ein charmantes Lächeln auf seine Lippen trat, er die ihm gegenüberstehende Blondine mit einem offenkundigen Blick auf Evelyn aufmerksam machte: „Darf ich Ihnen Evelyn vorstellen…meine Begleitung“. Das war ihr Stichwort. Lächelnd schob sie sich an die Seite ihres Nebenmannes, musterte ihre Gegenüber aufmerksam. Ihr hellblondes Haar geglättet, hochgesteckt zu einer tadellosen Frisur, ihr Makeup einer Maske gleich, ihr bronzefarbenes körperbetontes Kleid ein absoluter Blickfang. Perfekt, von Natürlichkeit jedoch keine Spur. Ein Detail, welches Männern dieser Gesellschaftsschicht mehr zusagte, als sie es jemals zugeben würden. „Guten Abend“, grüßte sie höflich, ignorierte dabei bewusst den Missmut welcher sich klar auf dem Gesicht ihrer Gesprächspartnerin abzeichnete. Sie liebte ihren Beruf. Schweigend wechselte diese Beatrice den Blick zwischen ihr und Oliwier, schnaubte leise, ehe sie voller Überheblichkeit zu Grinsen begann: „Evelyn? Hieß sie beim letzten mal nicht noch Sarina?“. „…Beatrice hieß sie jedenfalls nicht“, konterte Oliwier gelassen, während der Blondine jegliche Gesichtszüge entglitten, ihre Nasenflügel regelrecht zu beben begannen. Dieser Seitenhieb hatte gesessen. „Bitte entschuldigen Sie uns, ich möchte meine Begleitung nicht langweilen“, fuhr er ungeachtet ihrer Reaktion fort, schob seine Hand in Evelyns Rücken und lotse sie weiter durch die Menschenmenge. Diese unfassbare Arroganz und doch zog sie unwillkürlich die Luft in ihre Lungen, atmete tief durch, als seine Finger auf die nackte Haut ihres Rückens trafen. So angenehm warm, so zart, so prickelnd, so vielversprechend. Wie es sich wohl anfühlte, wenn… Moment! Das war absolut irrelevant.

„Eine alte Freundin?“, schmunzelte Evelyn, bemüht den Schalk in ihrer Stimme beiseitezuschieben. Kaum zu übersehen, welche Art von Interesse diese junge, im Grunde so perfekte, Frau an Oliwier Tomar zu haben schien. Kaum merklich hob er eine Braue, warf ihr einen undefinierbaren Seitenblick zu: „Das hätte sie wohl gerne. Die Ex-Frau eines Kunden. Eine nervenaufreibende Furie“. „Deshalb also die Anweisung an Ihren Assistenten?“, erkundigte sie sich interessiert, ehe er am Rande der Menschenmenge zu Stehen kam, nach zwei Champagnergläsern vom Tablett eines vorbeiziehenden Kellners griff, wovon er ihr eines aufmerksam anbot. „Danke“, erwiderte sie, sah ihn jedoch erwartungsvoll an. Er schmunzelte, stieß behutsam mit seinem Glas gegen ihres, nippte daran: „Eine generelle Weisung, es muss nicht jeder wissen, wann ich mich wo aufhalte, schon gar nicht die Damenwelt.“ „Das klingt beinahe als könnten Sie sich vor Anfragen kaum retten“, feixte sie amüsiert, sah in seine hellgrauen Augen bis sie ebenfalls an ihrem Glas nippt. Doch noch bevor Oliwier etwas erwidern konnte, erschien eine Rothaarige mit ausladendem Dekolleté neben ihnen, bedachte ihren Begleiter mit einem lieblichen Lächeln. Eine Tatsache, welche seine Mundwinkel sichtbar zucken ließ, ehe er dichter an Evelyn herantrat, seine Lippen in unmittelbarer Nähe ihres Ohres: „Sie sind quasi meine Rettung, Evelyn“, raunte er. Ein Hauch, welcher ihr einen unbeschreiblichen Schauer über den Körper trieb. Sein Geruch, sein heißer Atem auf ihrer Haut. Sie verharrte, schluckte, senkte ihre Lider. Ihr Blick auf seinen Hals gerichtet, seine Halsschlagader, welche sich unter dieser zarten, empfindsamen Haut verbarg. Unbewusst leckte sie sich über die Lippen, befeuchtete die trockene Haut mit ihrer Zungenspitze, während sie eine Bewegung in ihren Augenwinkeln registrierte, das Unwohlsein der Dame förmlich spüren konnte. Sie grinste, schmiegte sich regelrecht an ihn, führte ihre Hand, ihre Finger  langsam über seine Brust: „Vielleicht bin ich auch Ihr Verhängnis, Oliwier.“, erwiderte sie keck,  spürte wie sich sein Körper unter ihrer Berührung anspannte, seine Muskeln kaum merklich zu zucken begannen. Er war schlank, fest, vermutlich perfekt definiert. Genau, wie es ihr gefiel. Erneut registrierte sie eine Bewegung in ihren Augenwinkeln, bis sie abrupt verschwand. Das also war ihr Job an diesem Abend – Sie sollte ihm die lästigen Verehrerinnen vom Hals halten? Sie schmunzelte. Nichts leichter als das und doch hoffte sie insgeheim, dass es mehr als das sein würde, sie die Gelegenheit erhalten würde zu sehen was sich tatsächlich unter dem sündhaft teuren Stoff seines Hemdes verbarg. Tief atmete sie durch schob sich von ihm, nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. Verdammt! Wie lange hatte sie keinen Sex mehr gehabt? Vince – ein One-Night-Stand vor wenigen Wochen, der Freund eines alten Freundes. Sex, welcher die Note ‚befriedigend‘ nicht einmal annähernd verdient hatte. Sie leckte sich über die Lippen, sah zu ihrem Gegenüber auf, traf auf seine stahlgrauen, beinahe Silber schimmernden Augen. Wie er sie ansah, sie taxierte: „Lassen Sie uns diese grauenhafte Veranstaltung einfach hinter uns bringen“, bemerkte er. Sein Ton leise, rau – einem Versprechen gleich, welches ihren Körper auf ungeahnte Weise reagieren ließ. Shit!

Genüsslich zog sie das perfekt gegarte Kabeljaufilet von ihrer Gabel, ließ es regelrecht auf ihrer Zunge zergehen. Ein Essen der Spitzenklasse. Nun, was hätte sie auch sonst erwarten sollen. Diese Menschen ‚erwarteten‘ nur das Beste. Wie auch ihr Begleiter, welcher in seiner unbeschreiblichen Eleganz neben ihr saß, andächtig an seinem Wein nippte. Er war jemand und dessen war er sich mehr als bewusst. „Sie mögen diese Art von Veranstaltungen nicht?“, erkundigte sie sich, während auch sie nach ihrem Glas griff, ihn mit einem charmanten Lächeln bedachte. Kaum sichtbar schüttelte Oliwier den Kopf: „Nein, überhaupt nicht. Es ist ein überdimensionales Konstrukt an Intrigen, an Lügen. Eine Show der Superlative…“. Erstaunt über seine Worte hob Evelyn eine Braue, folgte seinem Blick in den weitläufigen Saal. „Dort hinten. Die Dame im sandfarbenen Kleid, neben ihr ihr Mann…Bereits seit Jahren getrennt, weil er die Finger nicht von seinen Praktikantinnen lassen kann und doch…spielen sie ‚heile Welt‘. Die Rothaarige…“ erklärte er weiter, deutete unauffällig auf die rothaarige Dame mit dem ausladenden Dekolleté,  welche ihn zu Beginn des Abends mehr als auffällig anvisiert hatte : „Liz Melvord. Eine verzweifelte Junggesellin, deren Vater ihr nach unzähligen Eskapaden den Geldhahn zugedreht hat“, fuhr er fort  bis ein sein Blick auf einem Herrn mit blonden Locken und seiner hinreißenden rassigen Begleitung verweilte: „Seine Yogalehrerin…“, stellte er fest, sichtlich amüsiert von der kleinen Zurschaustellung dieser ‚perfekten‘ Gesellschaft. Evelyn grinste, sah ihn unverwandt an: „ Und Sie? Wer ist Ihre Begleitung, Dr. Tomar?“, feixte sie, worauf seine Augen regelrecht aufblitzten, sie aufmerksam musterten: „Ich passe mich lediglich den Gegebenheiten an und… meine Yogalehrerin ist bei Weitem keine solche Schönheit, wie sie es sind“, konterte er lässig, der Schalk in seinen Augen unverkennbar. Eine Tatsache, welche ihr ein leises Lachen entlockte. Dieser Mann besaß doch tatsächlich so etwas wie Humor. „Sie haben eine Yogalehrerin?“ Ein Grinsen zurückhaltend schüttelte er den Kopf: „Nein, lediglich einen Fahrer, einen Assistenten, einen Gärtner und eine Haushälterin…das genügt mir“, erklärte er, ehe er innehielt, schelmisch zu Grinsen begann: „Aber auch sie können Ihnen nicht das Wasser reichen“. „Flirten Sie etwa mit mir, Oliwier?“ „Nein, ich sage nur wie es ist“. Schmunzelnd nahm Evelyn den letzten Schluck aus ihrem Glas, leckte auch den letzten Tropfen dieses edlen Weins von ihren Lippen, schloss für einen winzigen Augenblick die Augen. Einfach himmlisch! Eine Bewegung registrierend öffnete sie die Augen, erblickte seine feingliedrigen Finger in ihrem Sichtfeld, wie sie sich um den Stil ihres Weinglases schlossen, ihre Haut kaum merklich streiften. Eine winzige Berührung, welche sie schlagartig, einem Blitz gleich durchfuhr, sie unwillkürlich zusammenzucken, beinahe leise seufzen ließ. Ertappt sah sie auf, blickte in seine Augen, versank regelrecht darin, bis er ihr Glas beiseite stellte, es gegen seines austauschte. Fragend hob sie eine Braue, starrte ihn nicht fähig ein Wort über ihre Lippen zu bringen an. Was zu Hölle war los mit ihr? Wer war sie? Eine ihrer Berufsanfängerinnen? „Wie sähe es aus, wenn eine Dame nach mehr Wein fragt, obwohl doch zum nächsten Gang ein neuer, noch edlerer Wein gereicht wird?“, bemerkte er, sein Ton so unfassbar ruhig, so seltsam, so undefinierbar. Arrogant? Aufmerksam? Autoritär? Fürsorglich? Er lächelte: „Sie sind ein Genussmensch, Evelyn. Das sagt mir sehr zu“. Was?!

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Fuck! Wie gerne wäre er es gewesen, dessen Zunge diesen köstlichen Wein von ihren Lippen geleckt hätte, ihre zarte rosige Haut geschmeckt hätte. Wie sie die Augen geschlossen hatte, so genüsslich jeden einzelnen, noch so kleinen Tropfen des Weins ausgekostet hatte. Sie war ein Genussmensch. Zweifellos. Ein Mensch, der seine Sinne zu schätzen wusste, nicht wie andere stumpfsinnig durch die Welt irrte. Sie stoppte die Zeit, fing den Augenblick ein, in dem sie die Augen schloss, sich voll und ganz dem hingab, was sie erleben wollte, was sie auskosten wollte. Und verdammt, es gefiel ihm. Es gefiel ihm beinahe zu gut. Behutsam griff er nach ihrem Glas, streifte wie zufällig ihre Finger, registrierte, wie sie zusammenzuckte, ihn mit ihren glühenden bernsteinfarbenen Augen ansah, ihn regelrecht in ihren Bann zog. Ihr Blick gezeichnet von Irritation, von Verwirrung. Er schluckte, entzog sich mühevoll diesen Augen, tauschte ihr Glas gegen das seine: „Wie sähe es aus, wenn eine Dame nach mehr Wein fragt, obwohl doch zum nächsten Gang ein neuer, noch edlerer Wein gereicht wird?“

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