°08°

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ich hab' keine friends nur family
denn ich weiß, jeder von ihn'n hält zu mir
ob broke oder ob ich cash verdien'
es wird immer so sein ihr bleibt fam

family - david guetta, a boogie wit da hoodie, lune, ty dolla sign

★★★

POV: COLIN

Leana sitzt mir immer noch gegenüber. Nachdenklich streicht sie sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.

"Du Colin, wer ist eigentlich Noah?"

Ich seufze, traue mich gar nicht Leana in die Augen zu schauen.

"Colli, antworte mir bitte!"

"Noah ist etwas ganz Besonderes."

Meine Schwester nickt verständnisvoll.

"Erzähl' mir einfach, was passiert ist. Glaub' mir, reden hilft."

Ich muss noch einmal seufzen ehe ich mich aufrecht auf meinen Stuhl setze und mein Wasserglas etwas verkrampft greife. Leise beginne ich zu erzählen: "Noah ist mein Mitbewohner im Internat. Anfangs war er zurückhaltend, hat sich von uns distanziert. Man könnte sogar sagen, er war mysteriös."

Leana sitzt ruhig da. Abwartend.

Also fahre ich fort: "Mit der Zeit bin ich immer mehr an ihn herangekommen. Habe mir sein Vertrauen erkämpft. Wir konnten stundenlang nebeneinander durch den Wald laufen oder einfach nur die Wand anstarren. Ich habe es am Anfang gar nicht gemerkt, aber er war immer in meinen Gedanken. Immer nur Noah, Noah, Noah. Sowas habe ich zuvor noch nie erlebt."

Ich starre an meiner Schwester vorbei die weiße Wand an.

Leise räuspert sie sich.

"Also ich Nico kennengelernt habe, war ich am absoluten Tiefpunkt. Er hat mir mein Selbstwertgefühl geschenkt. Er hat mir gezeigt, wie es sich anfühlt geliebt zu werden. Doch diese Liebe konnte ich nicht an ihn zurückgeben, meine Gedanken waren bei Mama, bei Naemi, bei dir in Erfurt. Nico meinte, ich muss erst selbst klarkommen. Aber ohne ihn komme ich nicht klar. Er ist mein Rettungsanker."

Leana stützt ihr Kinn auf der Handinnenfläche ab.

"Ich habe Noah geküsst. Aus dem Nichts. Unvorbereitet. Es ist einfach so passiert. Danach ist er weggerannt.
Ich wollte mit ihm reden, es war alles auf einmal so anders. Wir sind uns aus dem Weg gegangen. Ich konnte so nicht in die Ferien gehen, es ging einfach nicht."

"Hast du ihm gesagt, was du für ihn empfindest?"

"Ja."

Leana hält den Atem an.

"Und was hat er geantwortet?"

"Nichts. Er hat mich sitzen gelassen und ist ohne ein einziges Wort in die Ferien abgehauen."

"Scheiße. Er hat dich nicht verdient, Colli "

Sie stürzt im den Tisch herum und nimmt mich ganz fest in den Arm. Immer wieder streicht sie mir beruhigt über den Rücken.

"Shhh, shh. Alles gut, Colli. Ich bin für dich da. Das ist ein Arschloch."

Langsam sammle ich mich wieder. Ich wische mir mit meiner Hand dir Tränen aus dem Gesicht.

"Und du? Was willst du mit Nico machen?"

"Ganz ehrlich, Colin. Ich habe keine Ahnung. Ich liebe dich, Naemi, Mama. Und jetzt während den Ferien ist Mama nur noch erschöpfter."

"Warum?"

"Weil auch du da bist. Das macht ihr Druck. Und damit kommt sie nicht klar."

Ich schweige. Ich weiß nicht, was ich meiner Schwester antworten kann.

"Ich wollte diese Ferien unbedingt zu Nico. Nochmal mit ihm reden, aber ich muss mich um euch kümmern."

"Ich kann mich um Naemi kümmern. Nudeln mit Tomatensoße bekomme ich auch noch hin. Geh du morgen zu Nico. Wir werden das zusammen schaffen."

Leana streicht mir über den Kopf.

"Du bist der beste Bruder der Welt. Hab dich lieb!"

Ich weiß nicht, woher dieser Reflex kommt, aber ich ziehe meine ältere Schwester an mich. Sie klammert sich förmlich an mich fest.

Eine einzige Träne läuft ihre Wange hinunter und verebbt direkt wieder.

"Danke, dass du da bist, Colli."

"Tut mir leid, dass ich nicht für euch da war."

"Konntest ja nicht wissen, was hier los ist."

Ein lautes Geräusch unterbricht die Szene. Schreckhaft drehen wir uns um und blicken in Richtung der Türe.
Naemi liegt auf dem Boden.

"Naemi!", schreit Leana laut auf, "Was ist passiert? Was tut dir weh?"

Sie stürzt auf meine am bodenliegende Schwester zu. Naemi hält sich ihr Bein und weint.

"Leana, mein Zeh. Ich habe mir den linken Zeh an der Türe angestoßen. Es tut so weh!", jammert meine kleine Schwester.

"Colin, hol' sofort eine Kühlakku aus dem Gefrierfach in der Küche.", befiehlt Leana mir.

Ich springe von meinem Stuhl auf und stürze in die Küche zum Gefrierfach. Die unterste Schublade reiße ich auf und gebe ihn Naemi. Sofort drückt die ihm auf den Fuß.

"Wird schon wieder besser!", stellt sie fest.

Leana streicht ihr sanft und behutsam über die Schulter. Die Tränen verebben mit der Zeit.

"Ich wollte eigentlich nur fragen, wann wir zu Julia losgehen. Ich hab' schon voll Hunger!", sagt meiner kleine Schwester nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hat.

"Oh Mist! Das habe ich ja komplett vergessen!", ruft Leana, "Wir müssen in zwanzig Minuten losgehen. Ansonsten kommen wir zu spät...".

Ich freue mich auf den Abend bei Julias Familie. Michael und Elisabeth sind wie zweite Eltern für mich. Sie sind immer für mich da gewesen.

"Naemi, ich bereite noch schnell den Salat vor. Du ziehst dich um und richtest etwas zum Spielen zum Mitnehmen."

Naemi legt den Kühlakku auf den Tisch und rennt die Treppe hoch in ihr Zimmer.

"Colin, gehst du zu Mama und bringst ihr ein belegtes Brot und eine Flasche Wasser. Wahrscheinlich schläft sie aber."

Ich nicke und mache mich auf direkten Weg in die Küche. Ich nehme mir Brot aus dem Kasten und hole Butter, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank. All das kommt auf das Vollkornbrot. Ich schneide noch einen Apfel in kleine Stückchen und richte alles auf einem Teller an. Mit einer Flasche Wasser in den Hand mache ich mich auf den Weg in das Zimmer meiner Mutter.

Als ich leise die Dinge auf dem Nachtisch neben dem Bett abstellen, legt sich eine Hand auf meine Schulter.

"Danke mein Herz!"

Voller Liebe schaut meine Mama mich an.

"Bitte, Mama."

Sie sieht fertig aus. Dunkle Augenringe und leicht fettige Haare umranden ihr dennoch freundliches Gesicht. Die Haare sind zu einem lockeren, chaotischen Dutt gebunden. Die Rolläden sind geschlossen.

"Wir gehen zum Grillen zu Julia. Sie haben uns 4 eingeladen."

"Das ist ja lieb. Habt viel Spaß meine Engel.", sagt sie leise.

"Kommst du klar?", frage ich sie besorgt.

"Ja, mein Herz. Immer."

Heimweh nach wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt