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Ich blickte Kenan an, und sein Blick glitt langsam über mein Kleid. „Kenan, ich..." Die Worte stockten mir im Hals. Die gespannte Stille zwischen uns schien fast greifbar, und die alte Vertrautheit machte es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Gerade als sich der Moment intensiv und beinahe untrennbar anfühlte, wurden wir abrupt unterbrochen. „Frau Yasar!" Halims Stimme hallte durch den Raum, als hätte sie sich durch jede Wand geschoben. Sie kam auf uns zu, ihre Augen suchten mich durch das ganze Gebäude. „Da sind Sie ja! Ich habe überall nach Ihnen gesucht. Es tut mir leid für die Unterbrechung, aber ich muss Sie jetzt mitnehmen," sagte sie zu Kenan und griff nach meinem Arm.

Kenan schien einen Moment der Enttäuschung nicht verbergen zu können. Seine grünen Augen wirkten traurig und gleichzeitig verständnisvoll. „Oh, okay," sagte er leise, und ich konnte den Hauch von Bedauern in seiner Stimme hören.

Ich atmete tief durch, während Halim mich energisch mit sich zog. Ihr hektisches Tempo half mir, den Gedanken an Kenan und die flüchtige Begegnung aus dem Kopf zu bekommen. Doch während wir uns entfernten, fühlte ich ein bittersüßes Gefühl der Enttäuschung und Sehnsucht. Es war schwer, den Raum zu verlassen, ohne das Gefühl zu haben, etwas Wichtiges verloren zu haben.

Schließlich war es unser erstes Gespräch nach Jahren, und es wurde abrupt unterbrochen. Genervt warf ich Halim einen Blick zu. Mir war klar, dass sie einfach ihren Job machte und unter dem Druck von Herrn Miguel stand, aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Frustration stieg. Ich wusste nur zu gut, wie streng und fordernd Herr Miguel sein konnte, und die Unannehmlichkeit, dieses Gespräch mit Kenan vorzeitig beenden zu müssen, machte die Situation nicht besser.

„Halim, was ist denn so wichtig, dass du mich hier mitreißen musstest?" fragte ich, während sie weiterhin meinen Arm hielt. Sie zog mich abrupt zum Halten und blieb für einen Moment stehen. Ihr Gesichtsausdruck war entschlossen, aber ich konnte auch die Anspannung in ihren Augen erkennen.

„Frau Yasar, es tut mir leid für die Unterbrechung," begann sie, ihre Stimme war ernst und entschuldigend, „aber ein sehr wichtiger Geschäftspartner von Herrn Miguel ist eingetroffen. Es ist entscheidend, dass Sie sich mit ihm unterhalten. Diese Begegnung könnte sich als äußerst wertvoll für Ihre zukünftige Arbeit herausstellen."

Ich schloss kurz die Augen und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen. „Wie praktisch," murmelte ich vor mich hin, „ich hätte mich gern weiter mit Kenan unterhalten. Aber ich verstehe schon, es ist nur Arbeit."

Halim nickte verständnisvoll, aber ohne Zeit für weitere Diskussionen, zog sie mich weiter. Die geschäftige Atmosphäre der Veranstaltung nahm mich wieder auf. Die vielen Gesichter, die Gespräche und der Lärm verwischten den Moment, in dem ich Kenan gesehen hatte.

Als wir schließlich den Raum erreichten, in dem der Geschäftspartner wartete, nahm ich einen tiefen Atemzug und versuchte, meine Gedanken neu zu ordnen. Die Begegnung mit Kenan war für mich immer noch ein halbes Chaos aus verpassten Gelegenheiten und unerfüllten Gesprächen, aber jetzt musste ich mich auf die vor mir liegende Aufgabe konzentrieren.

„Guten Tag," sagte ich, als ich den Raum betrat und versuchte, meine professionelle Fassade zu wahren.

Der Geschäftspartner, Romero, war weit mehr als nur ein gewöhnlicher Geschäftspartner; er war ein geschätzter Sponsor unserer medizinischen Agentur. Er war in seinen Vierzigern, trug einen eleganten schwarzen Anzug und hatte eine charismatische Ausstrahlung. Als er mir die Hand küsste, versuchte ich, ein Lächeln zu zeigen, obwohl ich innerlich etwas angespannt war.

„Buongiorno, wunderschöne Dame," sagte Romero mit einem markanten italienischen Akzent. „Sie sind wohl für Herrn Miguel hier? Ich habe gehört, er ist ziemlich erkältet und konnte daher nicht kommen."

„Ja, leider ist er erkrankt," bestätigte ich und bemühte mich, meine Besorgnis zu verbergen. „Aber wir hoffen, dass es ihm bald besser geht."

Romero nickte zustimmend, während sein Blick meine Erscheinung musterte. „Sie sind wirklich viel schöner, als ich es hier in Italien gewohnt bin. Es gibt hier viele schöne Damen, aber Sie sind ganz bezaubernd."

Ich lächelte verlegen, nicht ganz sicher, wie ich auf das Kompliment reagieren sollte. „Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen."

Romero lächelte weiterhin charmant und rief dann seinen Sohn herbei, der nur zwei Meter entfernt in ein Gespräch vertieft war. „Lorenzio, komm her!"

Der junge Mann, Lorenzio, trat zu uns. Er trug ebenfalls einen eleganten Anzug, der ihm gut stand, und sein Auftreten war selbstbewusst und höflich. Als er mich sah, blieb sein Blick für einen Moment an meinem dunkelroten Kleid hängen. Die Farbe, der Schnitt und das glamouröse Design schienen ihm sofort ins Auge zu fallen. Seine Augen weiteten sich ein wenig, und ein anerkennendes Lächeln spielte auf seinen Lippen.

„Vater, was gibt es?" fragte er, während er sich mir zuwandte.

„Das ist Yasmin Yasar," stellte Romero mich vor. „Sie ist hier, um Herrn Miguel zu vertreten. Yasmin, das ist mein Sohn Lorenzio. Er wird Ihnen sicherlich behilflich sein, falls Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen."

Lorenzio streckte mir die Hand entgegen. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Frau Yasar.  Sie sehen wirklich beeindruckend aus. Ich hoffe, Sie finden sich gut zurecht."

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Lorenzio," antwortete ich, während ich seine Hand schüttelte. „Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit."

Romero nickte zufrieden und wandte sich dann wieder mir zu. „Ich hoffe, wir können die Gelegenheit nutzen, um über einige wichtige Themen zu sprechen. Ihr Auftreten heute ist bereits beeindruckend, und ich bin gespannt auf das, was wir gemeinsam erreichen können."

Während wir uns setzten und das Gespräch begannen, versuchte ich, mich vollständig auf die anstehenden Themen zu konzentrieren. Doch irgendwo in meinem Kopf konnte ich das Bild von Kenan nicht ganz ausblenden.

Nach einem langen Gespräch mit Romero und Lorenzio verließ ich endlich den Raum. Es war bald Zeit für die Afterparty, und ich wollte mich im Bad noch einmal frisch machen. „Ich kann es wirklich nicht mehr hören," murmelte ich vor mich hin, während ich auf dem Weg ins Bad war. „Wie schafft es Herr Miguel nur, sich mit so vielen Leuten zu unterhalten?"

Gerade als ich um die Ecke biegte, stieß ich versehentlich gegen jemanden. „Hoppla," sagte der Mann, und seine Hände griffen sanft nach meinen Schultern, um mich vor dem Sturz zu bewahren. Es war Kenan. Seine Berührung war überraschend vertraut, und der Moment schien sich wie ein kleines Wunder anzufühlen.

Sein Griff an meiner Taille war fest, doch zugleich sanft. Unsere Gesichter kamen so nah zusammen, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. Wir standen einen Augenblick lang still, die Welt um uns herum schien zu verschwinden. Kenans Augen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, leuchteten in einem tiefen Grün, das mich beinahe hypnotisierte.

„Kenan," flüsterte ich, mein Herz klopfte wie verrückt. Die Wärme seiner Nähe ließ mich fast die Orientierung verlieren.

Er lächelte, ein Lächeln, das sowohl beruhigend als auch verführerisch war. „Ja, Yasmin," sagte er leise. Seine Stimme klang wie ein sanftes Lied, das Erinnerungen weckte. „Es scheint, als hätten wir uns in diesem riesigen Gebäude wiedergefunden."

„Ich... ich dachte, ich würde dich heute nicht sehen," erwiderte ich, während ich versuchte, meine Stimme ruhig zu halten. Der Duft seines Aftershaves war beruhigend und erinnerte mich an vergangene Zeiten.

„Das Leben ist voller Überraschungen," sagte Kenan, und sein Blick wurde weicher, als er meine Augen musterte. „Ich hätte auch nicht gedacht, dich hier zu treffen. Wie findest du die Veranstaltung bis jetzt?"

„Es ist überwältigend," antwortete ich, meine Stimme zitterte leicht. „Aber ich glaube, die wahre Überraschung bin ich wohl hier und jetzt."

Kenan trat einen Schritt näher, und ich spürte die Wärme seines Körpers. „Es scheint fast Schicksal zu sein," flüsterte er, seine Stimme ein zärtliches Versprechen.

Herzschlag in Turin 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt