Kapitel 3.

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Das Camp summte am nächsten Morgen vor lauter übersprudelnder Freude.

Die Camper frühstückten auf der großen Wiese neben dem Haupthaus, doch anders als in den vergangenen Tagen stöhnten die älteren nicht genervt auf, wenn wieder ein kleiner Junge über eigentlich überhaupt nichts vorhandenes stolperte und den Inhalt seiner zu vollen Müslischale über sich selbst und alle Umstehenden kippte.

Amber und Scarlett saßen, wie immer zu zweit, am linken Rand der großen Gruppe – zumindest bis sich ein schlaksiger Junge in ihrem Alter neben ihnen laut räusperte. „Ja?", fragte Amber und begrüßte ihn so auf ihre ganz eigene herzliche Art. „Ich bin Cole. Colin, eigentlich, aber -"

„Was willst du, Cole?", fragte Amber, die es nicht besonders schätzte, beim Frühstück in irgendeiner Weise unterbrochen zu werden.

„Ich wollte fragen, ob ich bei euch sitzen kann?"

„Wieso? Das hier ist die Loserecke, mein Freund!"

Scarlett sah, wie Henrietta, das Gesicht wie immer besonders fies zusammengezogen, mit einem großen Plastikbecher, gefüllt mit einer blassen Flüssigkeit, an ihnen vorbei auf einen Tisch zuging, an dem auch Grayson saß. Die Hand, die den Becher hielt, wackelte bedenklich.

„Klärt das unter euch, okay? Jedenfalls, hi Colin, ich bin Scarlett Scotts und ich spreche Leute nicht mit Spitznamen an!" Colin nickte verwirrt, während Amber, komplett gefangen in einer Art Monolog, nicht einmal am Rande Notiz von dem Verschwinden ihrer Freundin nahm.

Scarlett spürte ihren Herzschlag in ihrem Hals und irgendwie wusste sie plötzlich nicht mehr genau, wie sie ihre Arme eigentlich halten sollte. Ein Mädchen mit eckiger, unschön gestalteter Plastikbrille (Wer zwingt ein junges Kind dazu, so etwas aufzusetzen?) sah sie aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch an. „Hey, wie läuft dein Leben so?", fragte Scarlett sie so leise, dass es wirkte, als würde sie Selbstgespräche führen. Das Mädchen verzog das Gesicht noch weiter und Scarlett seufzte und ging weiter.

In dem Moment lachte vor ihr jemand laut auf.

„Ups.", sagte Henrietta laut. Scarlett konnte das Grinsen nur halb unterdrücken, als Graysons Blick ihren fanden. Sie ging näher auf ihn zu (Wieso ist mir gerade eigentlich überdeutlich klar, dass ich atme? Ich atme immer, wieso bemerke ich jetzt, dass ich atme?), während Grayson abwechselnd auf sein mit Saft durchnässtes dunkelrotes T-Shirt und in Scarletts Augen sah. „Du hast Recht: Ihr Gesicht ist wirklich böse.", sagte er schließlich, als Scarlett nah genug war, um ihn zu hören.

„Apfelsaft?", fragte Scarlett.

„Nein, den geben sie ihr wegen ihrer kleinen Unfälle nicht mehr: Es ist Wasser."

„Immerhin!"

„Mit Zucker."

Scarlett konnte und wollte das Lachen nicht mehr zurückhalten und so brach es aus ihr heraus wie mit Kohlensäure versetztes Wasser aus geschüttelten Plastikflaschen.

„Jedenfalls;", sagte Grayson, der aus Prinzip nicht lachen konnte (obwohl das unterdrückte Lachen seine Lunge irgendwie doch ein wenig lahmlegte), während Scarlett mit hellroten Wangen versuchte, ihr Lachen zu stoppen, doch immer wenn sie glaubte, es geschafft zu haben, wurde sie von einer neuen Welle geschüttelt.

„Okay, es ist nicht so lustig.", sagte Grayson schließlich, doch er schaffte es einfach nicht, dabei auch nur ansatzweise ernst zu klingen.

„Oh doch!", widersprach Scarlett heiser. „Sie haben ihr extra Wasser gegeben und als sie beschließt, es dir zu ... schenken, ist trotzdem Zucker drin?!"

„Es ist ironisch."

„Es ist fast schon makaber. Und verdammt lustig."

„Ähm, sorry?", meldete sich eine extrem quietschige Stimme, die einen dazu brachte, sich am liebsten sofort die Ohren zuzuhalten, nur um ihren langgezogenen, schiefen Vokalen und Konsonanten zu entgehen. „Da du ja jetzt mein Wasser geklaut hast, holst du mir neues?"

Grayson starrte Henrietta entgeistert an: „Ich habe es geklaut?!"

„Genau.", feixte Henrietta. Scarlett verwandelte den nächsten Lachanfall mehr oder weniger geschickt in eine Art Husten. „Wer bist du denn?", fragte Henrietta und schüttelte den Plastikbecher, den sie immer noch hielt (Hast du keine Kuscheltiere oder so, oder wieso hängst du so an diesem Becher?) als wolle sie prüfen, ob noch genug Zuckerwasser darin war, um auch noch Scarletts T-Shirt zu durchweichen. „Scarlett Scotts, nett dich kennenzulernen, Henrietta Tableberg!"

Henriettas Augenbrauen zuckten bei der Nennung ihres Nachnamens überrascht nach oben: „Und was machst du hier?"

„Über Graysons Glück lachen."

„Liebst du ihn?"

„Ich – Was? Wen?"

„Wen wohl?! Edward aus Twilight natürlich!"

Scarlett sah sie gleichzeitig entgeistert und verwirrt an (Ist das jetzt schlechter Sarkasmus oder etwas in der Art, oder meint sie das ernsthaft ernst?!). Doch in Henriettas Gesicht lag nicht einmal die leiseste Spur von Humor. „Meinst du das jetzt ernst?", fragte Scarlett schließlich vorsichtig. Anscheinend hatte Henrietta jetzt genug von diesem Gespräch, in dem sie wohl nicht richtig ernst genommen wurde – oder wieso sonst kippte sie ihren Becher ruckartig nach vorne, wodurch sich der Rest des süßen Wassers auf Scarletts T-Shirt verteilte.

„Ups!", sagte sie wieder auf ihre teuflische Art und rannte dann erstaunlich schnell weg. Scarlett wischte sich seufzend ein paar Tropfen Wasser aus dem Gesicht, während Grayson langsam anfing zu lachen: „Ist es jetzt Ironie?"

„Jetzt es ist pure Boshaftigkeit."

„Du hättest einfach ja sagen sollen.", meinte Grayson lächelnd. 

„Theoretisch, vielleicht. Aber dann hätte es sein können, dass sie anfängt zu lachen von wegen „Haha, ich redete von dem Stein da unten" und dann -", Scarletts Blick traf wieder den von Grayson und irgendwie leuchteten seine Augen auf diese eine besondere Art und Scarlett wurde plötzlich klar, was für einen Schwachsinn sie eigentlich redete: „Ich hätte einfach Ja sagen sollen."


The curse above usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt