Shine, Tear und ich fahren nebeneinander her, immer weiter auf den strahlender werdenden Nebel in Dreiecksform zu. Als die hellen Umrisse die wahre Dimension der Pyramidenstadt preisgeben, kann ich kaum mehr den Lenker des Motorrads halten. Fuck, ich muss stehenbleiben, um mir ein Bild von ihrer Größe machen zu können. Das ist nicht normal! Ganz und gar nicht. Wie, verdammt nochmal, kann diese Konstruktion stabil sein? Shine nimmt Rücksicht und hält neben mir an, fragt aber verdutzt:
"Was ist los? Wir sind noch ziemlich weit weg."
Vermutlich sind nur meine Augen irgendwie kaputt, oder sowas. Die Pyramide kann doch wohl kaum breiter als einen halben Kilometer sein. Direkt neben der Pyramide erspähe sich die Ruinen einer Großstadt. Soweit ich weiß, werden sie als Materialquellen benutzt und sozusagen abgebaut.
Junge, ich muss mich zusammenreißen. Das ist nur eine Glaspyramide. Die tut mir schon nichts. Puh, um Mut zu schöpfen und fahre nur langsam weiter. Die Konstruktion wächst gnadenlos vor mir an, bis ihre Umrisse im Nebel so groß werden, dass sie mein komplettes Sichtfeld dominieren.
Dann bekommt die Straße eine Betonabsperrung, die uns in eine Art Kanal zwingt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ein bisschen mulmig wird mir da schon. In regelmäßigen Abständen müssen wir Bremshügel überwinden, über für die Motorräder zu hoch sind, um drüberfahren zu können. Man kommt also weder schnell rein, noch schnell raus aus der Stadt. Für den Lieferverkehr dürfte das der pure Horror sein. Egal, ist nicht mein Problem.
Nach den Hügeln schieben wir auch die letzten 200 Meter bis zu einem großen Tor, das durch eine vermutlich komplett umlaufende Betonmauer führt. Vor dem verschlossenen Tor sehe ich eine ziemlich überflüssige rot-weiße Schranke. Daneben befinden sich eine verspiegelte Glasscheibe und eine Metalltür. Da müssen wir vermutlich hin.
Wir sind noch locker 20 Meter entfernt, als aus der Tür ein Vampir tritt, den ich fast übersehen hätte. Seine Uniform ist ein lässiges Ensemble aus einem modiechen Nebel-Camouflage des ersten Jahrhunderts. Sie lässt den Typen in Optik und Präsenz mit dem Dunst und der grauen Betonumgebung optisch verschmelzen. Todschick ... nicht! So unscheinbar der Uniformierte wirkt, so viel Schiss hab ich leider vor ihm. Er sagt kein Wort. Vermutlich glaubt er, wir alle wüssten, was zu tun ist. Hilflos sehe ich zu den anderen beiden und stelle fest, dass nur ich Panik schiebe. Selbst Tear wirkt wieder gefestigter.
Shine stupst mich an. "Hol den Brief deines Vaters raus und zeig ihm der Grenzkontrolle."
Mein Hirn blockiert. Wo genau hatte ich den gleich hingetan?
Shine spricht den Mann in grau an. "Er holt fix seinen Crisp aus der Tasche."
Ich öffne das Gepäckfach, zerre den Rucksack heraus, so, dass der Mann sehen kann, was ich tue. Im Rucksack muss ich ein wenig wühlen, bis ich den Brief zu fassen bekomme. Upsi, er ist ziemlich zerknittert.
Ich falte den Brief auf und reiche ihn zum Grenzbeamten hinüber. Er nimmt ihn, dreht ihn direkt um und beachtet nur den Mikrochip auf der Rückseite. Dann nickt er mir zu, ermahnt mich aber. "In der zweiten Kontrolle implantieren lassen."
Ich schlucke. Davon, dass ich mir so einen bescheuerten Tracking-Chip implantieren lassen muss, hat mir keiner was erzählt. Das war doch vollste Absicht!
Ich werfe Shine einen bösen Blick zu, die so tut, als könne sie kein Wässerchen trüben. Da der Uniformierte die Schranke anheben lässt und uns dann eine kleine Tür im riesigen Tor öffnet, die ich eben erst bemerkt habe, schieben wir unsere Motorräder weiter. Sie passen problemlos hindurch.
Einen Chip implantieren lassen... Ich werd nicht mehr!
Die zweite Kontrolle, von der die Rede war, findet direkt am Eingang der Pyramide statt. Ich sehe das Metallgestell nun deutlich und erkenne das Panzerglas, hinter dem sich ein strahlender Schein verbirgt. Je näher wir der Stadt kommen, desto heller wird es. Was ich nicht kann, ist hineinschauen. Von draußen sieht man durch das milchige Glas nicht, was drin ist.
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River under a soiled Sky
AdventureDer ehemals verstoßene Vampirprinz River lebt in einem bescheidenen Refugium fernab der sauberen Pyramidenstädte seines Vaters, dessen alljährliche Einladungen er an seinem 20. Geburtstag erstmalig annimmt. Gemeinsam mit der ausgebüxten Prinzessin S...