Cecilia

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Ich habe immer noch ordentlich Puls, als wir wieder auf dem 143. Stock ankommen. Erneut eröffnet sich vor uns diese Etage, in der Sofas, Betten und Schränke wild verteilt stehen, was total bekloppt ist. Ich weiß zwar, dass sie sich durch Schiebetüren abtrennen lassen, aber so wie der Raum jetzt gerade eingerichtet ist, ergibt er einfach null Sinn. Okay, Scheiß drauf. Langsam scheine ich mich sogar an die Platzverschwendung zu gewöhnen, denn sie mir herzlich egal.

Shine und Tear setzen sich gemeinsam auf eine L-förmige, schwarze Couch, auf der weiße Kissen liegen und kuscheln sich aneinander. Ich gönne ihnen die Ruhe und schaue mich ein bisschen um. Die Etage ist monochrom eingerichtet und wieder mal sauberer als die Arztpraxis in Shattered Sky. Wir, oder besser, Shine ist mit ihren quietschig rosa Haaren und dem neonorangen Schnickschnack der intensivste Farbtupfer. Ah, stimmt ja. Ich selbst trage doch auch so einen bunten Fummel, den ich mir endlich mal zu Gemüte führen sollte. Wie bescheuert sehe ich wohl aus? Ich halte auf einen Schrank mit Spiegel zu, der gleich neben meinen Freundinnen steht.

Die Frage, wie bescheuert ich aussehe, kann ich mit einem klaren ja beantworten. Irre, mir reicht ein Blick in den Spiegel und ich vergesse, wie scheiß sauer ich auf Luis den Wichspfosten bin. Mit besserer Laune wäre ich jetzt garantiert so richtig ausgeflippt, so honkig, wie ich aussehe. Leute, meine Haare sind nicht einfach nur blau, oder so. Sie haben einen Farbverlauf von lila zu türkis! Meine eigentlich normal lange rote Jacke ist bläulich halbtransparent und reicht mir bis zu meinen Waden. Ab der Hüfte fantasieren sich die Lenses die Bewegung des Materials komplett zusammen. Wenn ich mein Bein berühre, fliegt der Mantel unnatürlich über meine Hand nach hinten. Kaum zu fassen, wie hohl das aussieht. Die Optik stimmt null mit der Haptik überein. Im Spiegel schwebt meine Hand, wenn ich sie in der Realität in meine Jackentasche stecke. Ey, wie ballaballa muss man sein? Da kann ich doch sonst was drin verstecken und keiner würde es bemerken. Ich kann teure Vasen von ihren Sockeln schmeißen mit Kleidung, die ich nicht sehe, weil sie optisch verengt wurde. Meine simulierte Kleidung darunter ist einfarbig dunkelgrau und irre enganliegend. Als ich mich ins Profil drehe, bewundere ich Muskelgruppen an meinen Beinen, die ich überhaupt nicht kenne. Was ist das bitte für eine Lügenmaschine? Immerhin gibt es etwas, das es nicht angepasst hat, nämlich mein Gesicht. Das erleichtert mich dann doch irgendwie.

Sehr gut, der geistige Ausflug hat sich gelohnt, denn der Knoten in meinem Kopf ist lockerer geworden. Ich setze mich auf die kürzere Seite der L-förmigen Couch schräg gegenüber der miteinander kuschelnden Girls. Tear liegt zusammengesunken in Shines Arm. Niemand spricht. Ich vermute, dass Tears explosive zweite Persönlichkeit noch nie so lange am Stück das Sagen hatte. Einerseits wurde sie zwar von ihr beschützt, andererseits kommt sich die besonnene Tear nun vielleicht nutzlos vor.

Ein so sensibles Thema werde ich jetzt aber nie und nimmer anschneiden. Es ist auch kein guter Zeitpunkt, um zu entscheiden, wie und wann wir weiterreisen wollen. Ich sollte abwarten, bis eine meiner Freundinnen etwas sagt.

Ich lehne mich nach hinten und fahre meine Rechenmaschine etwas herunter. Die Ruhe tut mir gut nach den Horden auf mich einprasselnder Eindrücke, vor allem aber nach Tears Verschwinden. Gut, dass ich gar keine Zeit zum Verzweifeln hatte. Aktionismus Rules.

Es dauert schätzungsweise eine Viertelstunde, bis Tear leise beginnt, sich uns mitzuteilen. Ihre Stimme ist dünn und zittrig. Meine arme Maus.

"Danke, ihr zwei, für eure Hilfe. Was ich euch jetzt sage, kostet mich einiges an Überwindung ... Puh, ich weiß auch gar nicht, ob ihr das überhaupt verstehen könnt. Also, ... wenn diese andere Persönlichkeit in mir die Oberhand gewinnt, werde ich auf den Zuschauerrang verbannt. Sie allein entscheidet, wann ich wieder handeln darf und genau deswegen hat mir Luis auch weniger Angst gemacht als ihre Macht über mich. An euch habe ich keine Sekunde lang gezweifelt. Sie war viel schlimmer."

River under a soiled SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt