Einladung

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Es ist der 09. Juni anno 99 zur Mittagszeit und wie jedes verdammte Jahr verstecke ich mich vor einem aufdringlichen Boten, der glaubt, mir einen Geburtstagsgruß meines zweiten Vaters aufdrängen zu müssen. Diesmal habe ich mich in das abgetragenste Kleid geschmissen, das ich im Saustall meiner Freundin Shine finden konnte und tue so, als ob ich mich mit den anderen um die jungen Kartoffelpflanzen auf unserem Acker kümmern würde. Der ewigwährende, stinkenden Dunst ist heute nicht so dicht wie sonst, für Nahrung verdauende Menschen, für die wir uns auf dem Feld abschuften, wohl aber immer noch giftig. Durch den Nebel hindurch kann ich weit genug sehen, um Silhouetten der Häuserruinen einer fünf Kilometer entfernten Stadt erkennen zu können. Fast hundert Jahre Verfall haben den Gebäuden heftig zugesetzt.

Mike und Nicky grüßen mich, wohl wegen meines Aufzugs, verdutzt, aber gewohnt freundlich.

Ich grinse die beiden an und erkenne unter ihren locker übergezogenen Kapuzen ein verkniffenes Schmunzeln. Jaja, versteckt euch ruhig, ihr Angsthasen. So lichtempfindlich, dass uns die nebelverhangene Sonne noch verbrennt, könnt ihr gar nicht sein. Wahrscheinlicher ist, dass sich die beiden damit irgendwie geborener fühlen, weil sie vielleicht schon mal erlebt haben, was direkte Sonneneinstrahlung mit uns anstellen kann. Ich sag nur brösel, brösel - angeblich jedenfalls. In Vampis, die vor der Zeitenwende geboren wurden, kann ich mich total schlecht hineinversetzen.

Ich selbst habe diesen angeblich so hübschen Stern noch nie zu Gesicht bekommen. Der verheerende Zusammenprall mit einem extrasolaren Zwergplaneten, und die darauffolgenden Vulkanausbrüche waren schließlich vor meiner Zeit. Jetzt ist die Luft verpestet, bla bla. Das ist langweiler Kram, der auf trockenste Weise in der Schule runter gelabert wird. Über die Zeit, in der so unfassbar viele Leute gestorben sind, redet nur leider keine Sau, nicht einmal die Augenzeugen, oder besser, insbesondere nicht die Augenzeugen, auch Mike und Nicky nicht. Was soll's. Ich sollte froh sein, in diese relaxte Zeit hineingeboren worden zu sein. Blöd ist nur, dass ich mir auch das Funkeln des nächtlichen Sternenhimmels allerhöchstens in schlecht gedruckten Schulbüchern ansehen kann und auf die blumigen Erzählungen der Älteren angewiesen bin. Das frustet schon ziemlich.

Ich habe kaum zwei Reihen gepflegt, da bemerke ich schon die Annäherung des Grauens. Eine Botin in Anzug und Krawatte, ebenfalls ohne Lichtschutz, marschiert geradewegs quer übers Feld auf mich zu. Na spitze! Eigentlich bin ich ein nachsichtiger Typ, aber dass sie einfach rücksichtslos über unsere Pflanzen trampelt, geht ja mal gar nicht. Sie versinkt mit ihren Schickimicki Absätzen im lockeren Erdboden und schaufelt damit einige Jungpflanzen heraus. Argh! Mike und Nicky starren sie nur doof an und dann mich, als wäre ich dafür zuständig, der Tante die Löffel lang zu ziehen.

"River Lucard?!", brüllt sie ungeduldig in meine Richtung. Ach, Kacke! Fehlende Kapuze und Glotzparade hin oder her! Wie kommt die Gute darauf, einen Vampirprinzen bei der Feldarbeit in Frauenkleidern antreffen zu können, Bitteschön? Hab ich 'nen Tracker, oder sowas?

"Jo", antworte ich mit gekräuselten Lippen. "Und jetzt, runter vom Feld, aber dalli!"

Sie ignoriert meinen Rüffel, streckt ihr Patschehändchen in meine Richtung aus, in der sie einen versiegelten Brief hält. "Herzlichen Glückwunsch zum 20. Geburtstag, Hoheit. Der hier ist für Euch, mit den allerbesten Grüßen."

"Meine Antwort ist und bleibt Nein", blaffe ich der businessmäßig gekleideten Tante entgegen. "Nein, verdammt nocheins."

Sie zwingt sich ein eklig gekünsteltes Lächeln heraus. Bäh!

"Bitte, River. Euer Vater ist untröstlich, wenn Ihr erneut ablehnt. Überlegt es Euch. Lasst Euch gern von Eurem Ziehvater begleiten."

Von meinem was?! Geht's noch?

River under a soiled SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt