Mensonia

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"Ach, ich Dummbeutel", schimpft Shine, die nun urplötzlich stehenbleibt. Noch immer sind wir die einzigen auf der Prachtstraße, oder zumindest sind wir es auf der unteren Ebene. Über uns verlaufen gläserne Brücken, die Verbindungen zwischen den Hochhäusern schaffen. Das ist für sich genommen schon irre. Noch verrückter ist aber, dass die Leute nicht darauf laufen, sondern auf irgendwas sitzend hin und her fahren. Ich kann kaum erkennen, worauf genau, weil es aus der Entfernung nur halbtransparent schimmert.

Shine macht eine Spracheingabe in ihren Tracking-Chip. "Order - zwei einsitzige Solis, sofort!"

Sie erkennt wohl an meinem fragenden Gesicht, dass das einer Erklärung bedarf.

"Wirst du gleich merken. Ohne, kann man sich in der Stadt nur eingeschränkt bewegen."

Zwei Solis, hm? Ich vermute, dass ich gleich erfahren werde, womit sich die Bewohner fortbewegen. Eine halbe Minute später kommen zwei dieser halbtransparenten Sitze autonom auf uns zugefahren. Ha, Bingo! Ich kann die Technik unter dem weiß gepolsterten Sitz sehen, die sich hinter einem durchsichtigen Glitzermaterial verbirgt. Ich bücke mich kurz, sehe saubere Verkalbelung, ein Getriebe, den Akku, muss mich dann aber zügeln, weil sich Shine hineinsetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren, also setze ich mich ebenfalls. Sie sagt:

"Eingabe für beide Solis. Zum Hauptgebäude, 140. Stock. Ich genehmige den Besuch."

Moment, der wievielte Stock? Augenblicklich fahren wir los. Diese Dinger bewegen sich ein wenig schneller, als wir es rennend zu Fuß waren, aber um einiges langsamer als unsere Motorräder. Ich sitze bequem und erhalte nun endlich Gelegenheit, mich genauer umzusehen.

Die anderen Fahrgäste sind so ähnlich gekleidet wie Shine, sehr farbenfroh also, besonders was ihre Haarfarben anbelangt. Die meisten von ihnen sind männlich, alle sind Vampire. Auch weiter im Stadtinneren sehe ich überall Nutzpflanzen, was ich genial finde. Dieser Idee zolle ich aufrichtigen Respekt. Wir fahren direkt auf das kantige Gebäude im Zentrum zu. Es ragt bis hinauf zur Spitze der Pyramide, die ich auf 500 Meter schätze. Absolut krank ist das. Wenn ich nach oben sehe, denke ich eher, dass ich einen Knick in der Optik habe, als dass ich hier die Realität wahrnehme. Das kann einfach nicht sein. Wie winzig bin ich eigentlich?

Nah am Gebäude bremst das Gefährt ab. Dann fährt es langsam ins Foyer ein. Ich sehe einen unbesetzten Empfang und große Wendeltreppen vor uns. Wir bleiben allerdings an der Glaswand, fahren rückwärts in eine Röhre und docken an irgendwas an. Das ist gruselig. Ich erlebe hier den totalen Kontrollverlust und kralle mich verkrampft an den Armlehnen fest. Eine Sekunde später erschrecke ich wie blöd, als sich der glänzende Fliesenboden plötzlich von mir entfernt. Mein armes Herz!

Wir fahren so schnell nach oben, dass es mir übel wird. Auf Neulinge wie mich nimmt das Teil überhaupt keine Rücksicht. Eine Frechheit! Aber zumindest kann ich jetzt Blicke in jede einzelne Etage werfen. Ich sehe Schreibtische, also scheint es ein Bürogebäude zu sein. Weiter oben werden die Einblicke blöderweise von verschlossenen Türen verhindert. Ich bin ohnehin überfordert davon, mir jede der schnell an uns vorbei ziehenden Etagen anzusehen. Wären sie nicht nummeriert, hätte ich direkt den Überblick verloren. Da es nach vorn nichts mehr zu sehen gibt, drehe ich mich vorsichtig um. Diese witzigen fahrenden Sitze haben nämlich nicht von mir verlangt, dass ich mich anschnalle.

Obwohl die Hochhäuser um uns immer noch einen Großteil der Sicht ausmachen, brennt mir der unfassbare Ausblick ein Loch in die Iris. Mein Hirn schmeißt eine Fehlermeldung raus. Junge, du schaust gerade auf die Dächer von Hochhäusern. Das ist mir zu viel, ich melde mich ab. Ohne Hirn vergesse ich zu atmen. Ich kann nicht mehr denken. Der Weitblick durch die nebelfreie Luft hat mich ganz und gar in seinem Bann. Krass, dass hier alle Dächer begrünt sind. Ich glaube zu fliegen und das beißt sich mit meiner Beklemmung, die dieser scheiß Crisp auslöst. Außerhalb der Pyramide sehe ich dagegen nur den immerwährenden zermürbenden grauen Nebel. Dieser Anblick macht mir begreiflich, wieso nur so wenige in unserer Zuflucht leben. Wenn man das hier kennt, kann man nicht mehr in einen unserer potthässlichen grauen Bunker zurück ...

River under a soiled SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt