Ich bitte Shine darum, mir das Industrieviertel von Mensonia zu zeigen, doch es stellt sich heraus, dass ich dafür eine Zutrittsgenehmigung beantragen müsste. Keine Chance. Total verkehrt finde ich es allerdings nicht, dass man keine Vampire durch einen ausschließlich von Menschen bewohnten Stadtteil latschen lässt. Trotzdem hätte ich ihn nur zu gerne gesehen. Ich wette, ich hätte dort noch einiges lernen können.
Okay, dann befrage ich eben ein paar random Leute, um ein bisschen mehr über die Stadt zu erfahren. Verrückterweise bleiben alle, die ich anquatsche, total handzahm. Sie bringen nix über die Lippen, das Unzufriedenheit ausdrücken würde. Eine junge Dame im süßen Minirock, die auf dem Weg zur Arbeit ist, versichert uns, ihren Beruf zu lieben. Hm, wie soll ich das einordnen? Außerdem sagt sie, dass die Welt außerhalb der Stadt zum Fürchten sei. Tja, ich muss echt besser verinnerlichen, was Städte für Menschen bedeuten. Sie sind nicht einfach nur Wohnorte für sie, sondern vielmehr eine Zuflucht vor dem sicheren Tod. Selbst nach hundert Jahren sind die Menschen dafür bereit, vor uns Vampiren dafür im Dreck zu kriechen. Ich sage ihr hart ins Gesicht, dass die Menschen für uns nichts anderes als Nahrung seien und bekomme die unfassbarste Reaktion überhaupt. Sie lacht herzlich, aber nicht mit mir, sondern über mich und läuft dann, während sie sich den Bauch haltend bei mir entschuldigt, einfach weiter. Zwar rufe ich ihr nach, wieso sie das tut, aber bekomme keine Antwort mehr.
"Was ist da eben passiert?", frage ich meine beiden hübschen Begleiterinnen fassungslos. Tear lacht ein bisschen in sich hinein, während mir Shines Bewunderung dieser Frau gegenüber überhaupt nicht weiterhilft. Die blöden Hühner wollen mir einfach nicht verraten, was mir hier entgangen ist. Ganz schön frech!
Bis abends latschen wir kreuz und quer durch die schicken Straßen des Vergnügungsviertels. Ich sehe noch mehr Glasfassaden, mehr Läden und mehr wackelnde Werbung, zum Beispiel für die neueste Version der Lenses, oder Massagesessel. Ganz ähnlich wie in Shattered Sky wird Shine immer wieder erkannt und gegrüßt und das trotz ihrer rosaroten Haare. Das ist hier nichts besonderes. Ich sehe diese Farbe an vielen Leuten, ob Menschen oder Vampire. Wir labern noch einige an, doch alle behaupten, diese saubere Drecksstadt zu mögen. Wieso lügen uns all diese Menschen so dreist ins Gesicht? Liegt das an Shine oder daran, dass wir Vampire sind? Von Meinungsfreiheit haben die Leute hier jedenfalls noch nichts gehört.
Am Abend mieten wir uns in das einzige Hotel der Stadt ein. Die Buchung geht verflixt einfach über ein Menü, das vor unseren Augen aufgeht, als wir die Lobby betreten. Weil ich darauf bestehe, wählen wir die kleinste und billigste Zimmerkategorie. Wir fahren mit einem Lift in die dritte Etage, auf der wir einen schlichten Gang mit super vielen Türen vorfinden. Die Zimmer sind schnell ausfindig gemacht. Tear steht direkt bei mir, als sich die Tür zu meinem winzigen und spartanisch eingerichteten Zimmerchen automatisch öffnet. Aaach, wunderbar. Die Enge ist toll. Ganz wie zu Hause. Merkwürdig ist nur der weite Ausblick durch das angeblich hohe Fenster. Das muss eine Simulation der Lenses sein. Ich gehe einen Schritt in den Raum hinein, drehe mich aber direkt wieder zu Tear um, weil meine Gedanken um den Spott dieser Frau kreisen, mit der wir zuerst geredet haben. Die Mädels hatten lange genug ihren Spaß. Ich will die Sache endlich auflösen. "Warum hat mich die Frau vorhin einfach lachend stehen lassen?"
Tear lächelt und ist jetzt endlich bereit, mich armen Tropf aufzuklären. "Du hast ihr gegenüber behauptet, Menschen seien nichts weiter Nahrung für uns. Scheinbar ist es dir noch nicht aufgefallen, aber abgesehen von ein paar Beamten, gehen in dieser Stadt ausschließlich Menschen anstrengender Arbeit nach. Weißt du, was das bedeutet? Ohne den Menschen läuft hier gar nichts, nicht einmal das Wasser."
Oha, das leuchtet ein. "Achsooo! Bah, die Lösung war zu einfach. Sie dachte wohl, dass ich auch so ein Nichtsnutz bin wie die mensonischen Vertreter unserer Gattung, die Menschen als Arbeitskraft ausbeuten und selbst absolut nichts auf dem Kasten haben."
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River under a soiled Sky
AventuraDer ehemals verstoßene Vampirprinz River lebt in einem bescheidenen Refugium fernab der sauberen Pyramidenstädte seines Vaters, dessen alljährliche Einladungen er an seinem 20. Geburtstag erstmalig annimmt. Gemeinsam mit der ausgebüxten Prinzessin S...