XVI. Erste Hälfte |Miriam

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„Miri?”, Frederike steckte ihren Kopf durch die Tür. Gerade noch rechtzeitig hatte ich es geschafft, mich auf das Bett fallen zu lassen und ein Buch aufzuschlagen, damit es so aussah, als hätte ich die Zeit, in der sie nicht hier war, produktiv genutzt habe. Mein Gehirn hatte es noch immer nicht vollständig verarbeitet, dass ich Juri geküsst hatte – und er mich zurück geküsst hatte. Bestimmt leuchteten meine Wangen so rot wie Rudolphs Nase. Ich sah auf.
„Tut mir leid, dass so gelaufen ist. Hätten wir das doch bloß vorher gewusst”, niedergeschlagen ließ sie sich auf das Fußende meines Bettes fallen.
„Schon gut. Du kannst ja auch nichts dafür”, ich lächelte sie versöhnlich an, „Aber jetzt erzähl, wie war dein Date?” Ich klappte das Buch zusammen und legte es neben mich aufs Bett.
„Unglaublich gut. Er hat mich sogar nach Hause gefahren. Ich glaube ich mag ihn”, schwärmte sie. Ich hob die Augenbraue. Dann fühlte es sich an, als wäre ich von einem Blitz getroffen worden. Sie wollte mir doch eigentlich schreiben, wenn ich sie abholen kommen sollte.
„Tut mir leid, dass ich dich nicht geholt habe”, gab ich zerknirscht zu.
„Muss es nicht. Ich hatte dir gar nicht mehr geschrieben”, sie zuckte mit den Schultern.
„Und, gibt es ein Wiedersehen?”, hakte ich nach.
„Auf jeden Fall und beim nächsten Mal geht es seinem Freund bestimmt wieder besser, falls du noch mitkommen möchtest. Was hast du eigentlich den ganzen Abend jetzt gemacht?”, erkundigte sie sich und strahlte mich an.
„Ne, du. Lass mal lieber. Ist schon in Ordnung. Du musst mir wirklich keine Dates organisieren. Ich hatte hier mein eigenes Date mit meinen Lernzetteln”, verklickerte ich ihr, während alles, was mir durch den Kopf ging, der Gedanke war, dass ich Juri geküsst hatte. Und es hatte sich so richtig angefühlt. Allerdings würde ich das vor ihr nicht an die große Glocke hängen.
„Wirklich? Es tut mir so schrecklich leid“, ich verstand nicht, wieso sie so viel Mitleid für mich empfand, dabei hatte ich ihr doch bereits versichert, dass ich mich selbst um meinen Beziehungsstatus kümmern konnte.
„Es war nicht so schlecht, mal wieder ein bisschen Zeit in die Uni zu investieren“, den Fakt, dass ich beinahe in Selbstmitleid versunken war und mich an diesem Abend ausnahmsweise nicht mit Juri gestritten hatte, nachdem dieser vom Training nach Hause gekommen war, ließ ich aus. Es wunderte mich, dass sie die leere Eisverpackung auf dem Wohnzimmertisch nicht gesehen hatte, denn wenn ich richtig darüber nachdachte, konnte ich mich nicht daran erinnern, dass Juri sie weggeschmissen hatte.
„Ich verstehe nicht, wie du nach dem Drama noch die Lust dazu hast, dich hier hinzusetzen und für die Uni zu lernen“, ungläubig schüttelte sie wieder den Kopf.
„So schlimm ist es doch gar nicht. Genau genommen kenne ich den Typen doch sowieso nicht. Und was man nicht kennt kann man auch nicht vermissen, findest du nicht?“, erklärte ich. Einen Moment grübelte sie.
„Ja schon, aber- Sag mal, wo stecken eigentlich Luke und Juri?“, ich war so überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel, dass ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckte und lautstark zu husten begann.
„Juri ist in seinem Zimmer“, brachte ich zwischen dem Husten hervor. Insgeheim hoffte ich, dass ich mich nicht verraten hatte. Wo Luke steckte wusste ich allerdings nicht. Bestimmt bei einer Dame.
„Also gut. Ich lasse dich mal lieber weiter lernen“, sie lächelte mich kurz versöhnend an und schlich dann aus meinem Zimmer. Ich ließ mich zurück auf mein Bett fallen und betrachtete nachdenklich die Decke. Hätte ich Freddi davon erzählen sollen? Ich wusste, dass sie mir gegenüber einmal Interesse an Juri geäußert hatte – allerdings nicht an einer Beziehung mit ihm. Jedoch gab es jetzt diesen Typen, mit dem sie sich heute getroffen hatte. Ich wusste auf der anderen Seite noch gar nicht, worauf das hinauslaufen würde. Auch was Juri darüber dachte, konnte ich bloß spekulieren, wobei die Art, wie er mich geküsst hatte, ziemlich eindeutig gewesen war.
Eigentlich war ich bereits vor einer Stunde müde gewesen, allerdings konnte ich gerade nicht mal einen Gedanken daran verschwenden, jetzt zu schlafen. Rasch setzte ich mich auf. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, wollte ich wenigstens wirklich produktiv sein. Ich schnappte mir eins meiner Lehrbücher und begann damit, eine Zusammenfassung zu schreiben. Schließlich dauerte es gar nicht mehr so lange bis zur nächsten Klausur und ich wollte das Studium nicht zu sehr schleifen lassen. Meine Eltern wären garantiert verärgert, wenn sie herausfinden würden, wie sehr ich mein Studium in der letzten Zeit vernachlässigt hatte. Jedoch war das Studium nicht länger meine einzige Priorität und seit ich erneut mit dem Tanzen begonnen hatte, hatte sich meine Laune drastisch verbessert. Trotzdem war ich mir sicher, dass ich das Studium in Regelstudienzeit absolvieren würde, immerhin hatte ich nur noch bis zum nächsten Sommer und konnte bald bereits mit meiner Bachlorearbeit beginnen – vorausgesetzt, ich fand einen betreuenden Professor. Da meine Noten weitestgehend wirklich gut waren, machte ich mir deswegen eher weniger Sorgen. Meine Eltern würde ich zu meinem Abschluss nicht einladen. Es wunderte mich, dass sie mich in letzter Zeit in Frieden ließen, dabei hätten sie bestimmt genügend Vorwände gefunden, mich anzurufen oder sogar spontan vorbeizuschauen. Das letzte Mal war das wirklich grauenhaft verlaufen. Sowohl Luke als auch Freddi waren keine Freunde von meinen Eltern geworden und wenn ich ehrlich war, konnte ich es ihnen nicht einmal verübeln. Wie auch immer diese zwei Menschen es geschafft hatten, einen ordentlichen Menschen aus mir zu machen… Früher hatte ich gedacht, es wäre normal, dass meine Mutter ständig Kommentare zu meinem Aussehen machte, vor allem weil Marina, meine ältere Schwester im Vergleich zu mir so groß und schlank aussah. Jedoch hatte ich spätestens in der Oberstufe erkannt, dass das, was sie da tat sich alles andere als positiv auf meine Gesundheit auswirken konnte. Bis heute hatte sie das allerdings nicht eingesehen, weshalb ich damit begonnen hatte, Familienfeiern zu boykottieren. Mein Vater war im Vergleich zu ihr bei diesem Thema absolut harmlos gewesen, jedoch hatte diese genügend eigene Baustellen, die dafür gesorgt hatten, dass ich ihn ebenfalls mied. Zwischendurch bekam ich von Marina, die mit ihrem Freund in der Nähe meiner Eltern lebte, die aktuellsten Situationen und Probleme geschildert und nicht selten hingen diese mit mir zusammen, weil sich die Bewohner des Dorfes, in dem sie lebten, wunderten, wieso ich nie zu Besuch kam. Meistens konnte ich mir dann neunminütige Sprachnachrichten anhören, in denen sie sich über die Dummheit der Menschen beschwerte, unsere Eltern auslachte, wenn diese mal wieder etwas Fragwürdiges getan hatten oder sie mir über ihr Leben berichtete – und mir enttäuscht unterbot, dass Erik ihr noch immer kein Antrag gemacht hatte, obwohl sie bereits so lange zusammen waren. Marina und Erik waren für mich der Grund, warum ich an Liebe glaubte. Die beiden hatten sich in der weiterführenden Schule kennengelernt und waren seither unzertrennlich. Zunächst waren sie befreundet, jedoch hatten sie schnell gemerkt, dass etwas zwischen ihnen stand – ihre Gefühle für einander. In der neunten Klasse waren sie dann endlich zusammen gekommen, nachdem ich mir bereits über Jahre hinweg anhören durfte, wie sehr sie sich in diesen Kerl verschossen hatte. Inzwischen konnte ich mir die beiden nicht mehr ohne einander vorstellen. Bei meinen Eltern hatte das allerdings weniger anklang gefunden. Anfangs hatten sie sich völlig quergestellt, es konnte doch nicht sein, dass ihre fünfzehnjährige Tochter einen Freund hatte und langsam erwachsen wurde. Mittlerweile hatten sie Erik aber als einen Teil der Familie bezeichnet. Für sie gehörte er nun fest dazu. Und seit dem waren nun fast zehn Jahre vergangen. In unserem Umfeld wartete jeder bloß auf die große Hochzeit. Insgeheim hoffte ich, dass sie sich davon nicht unter Druck gesetzt fühlten. Manchmal hatte ich gehofft, dass ich mit meinen zwanzig Jahren zumindest in einer ähnlichen Situation sein würde – klar, heiraten war in meinem Alter noch nicht drin, jedoch hatte ich meine Schwester immer für ihre Beziehung bewundert, Erik war beinahe wie ein großer Bruder für mich geworden. In der achten Klasse hatte ich mich dann gefragt, ob etwas mit mir nicht stimmte, weil ich noch keinen Freund hatte, geschweige denn mich für irgendeinen Jungen interessierte und alle meine Freundinnen die ersten Dates hatten. Der Wunsch nach einer Jugendliebe war immer dagewesen. Irgendwann hatte ich dann aber akzeptiert, dass ich dieses Glück wohl nicht haben würde. Nachdem ich ausgezogen war, hatte ich für ein paar Monate einen Freund gehabt, allerdings war dieser auf die andere Hälfte der Erde gezogen und wollte dort ein völlig neues Leben beginnen. Damals war ich am Boden zerstört. Inzwischen hatte ich mich von dieser Abfuhr allerdings erholt.


Keine Sorge, ich habe euch & diese Geschichte nicht vergessen :)

Da ich allerdings den gesamten Februar bisher nicht wirklich zum Schreiben kam, hat sich natürlich auch der Upload eines neuen Kapitels verzögert. Aber jetzt bin ich wieder da (zumindest mal mit diesem Kapitel :) )

Lasst gerne ein Sternchen und ein Kommentar da, darüber freue ich mich rießig ;)
Wir lesen uns
Lene <3

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⏰ Letzte Aktualisierung: 2 days ago ⏰

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If hearts could tell | J. KnorrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt