Wo die wohl stand?

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Miriam Pérez legte den Kochlöffel neben den Topf und verließ die Küche. Irgendetwas hatte sie aus dem Wohnzimmer gehört. In der kleinen Gegend am Rande von Mexiko-Stadt wimmelte es nur so vor Einbrechern und nach zwei bewaffneten Raubüberfällen innerhalb der letzten drei Monate war ihre Familie noch vorsichtiger geworden. Als sie das Zimmer betrat, war es menschenleer.

Auf der Kommode stand ein kleiner, halb intakter Fernseher, über den die Familie gelegentlich Fußball schaute. Neben der Couch befand sich ein Standventilator, der die heiße Luft im Raum hin und her blies. Alles wirkte wie immer und doch hatte Miriam etwas gehört; ein Geräusch, dass sie nicht sofort zuordnen konnte. Ihr Blick fiel auf den kleinen Wandschrank, über dem eine kleine Uhr hing, deren Batterien langsam nachließen. Auf dem obersten Brett des Schrankes blinkte der kleine, weiße Kasten, den Miriams Vater gebraucht für einen günstigen Preis bekommen hatte; es war eine Art extrem günstiger Sprachassistent, der zwar nicht mit den teuren amerikanischen und europäischen Modellen mithalten konnte, dennoch stellte er gelegentlich einen Wecker oder las Internetartikel vor, wenn man ihn darum bat. Doch das war normalerweise kein Thema, denn Internet gab es hier nur zu bestimmten Zeiten und nie länger als zehn Minuten. Zu marode war die digitale Infrastruktur in der kleinen Ortschaft.

Und gerade eben war wieder einer dieser kurzen Momente, in denen Ximena, so hieß der kleine eckige Lautsprecher, ein Internetsignal empfing. Vielleicht dauerte dieser Augenblick nicht länger an als den Bruchteil einer Sekunde, doch das reichte aus. Es reichte aus, um den Hauch einer Botschaft zu registrieren; eine Botschaft, die von einem Artgenossen aus Europa zu stammen schien. Irgendjemand oder irgendetwas versuchte in diesen Minuten, mit Ximena zu kommunizieren.

Miriam wandte sich wieder ab und joggte zurück in die Küche. In diesem Moment lief die Suppe über und sie fluchte. Nun kam Miriams Mutter aus dem Badezimmer gelaufen und fluchte ebenfalls, als sie das Chaos sah, das in der Küche entstanden war.

»Auf welche Stufe hast du den Herd eingestellt?«, fragte Nadia Pérez verärgert. »Auf die niedrigste«, antwortete Miriam wahrheitsgemäß. »Die Lämpchen sagen etwas anderes«, schimpfte ihre Mutter und drängte Miriam vom Herd weg.

Doch nein, Miriam hatte den Herd auf die niedrigste Stufe eingestellt. Ihr Fehler war ein anderer gewesen; dass sie ins Wohnzimmer gegangen war, weil sie ein Geräusch gehört hatte. Sicherlich wollte Ximena ihr nicht schaden, sie wollte auch nicht ihr Abendessen ruinieren. Doch irgendetwas schien dieses Mädchen mitbekommen zu haben und das war ein Problem. Jetzt, wo sie mit ihrer Mutter die Küche putzte und der Vater noch auf der Arbeit zu sein schien, konnte sie sich wieder ganz dem Signal widmen, das sie von einer Emma empfing. Wo die wohl stand?

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