Die Morgensonne schien durch die dünnen Vorhänge meines Zimmers und kitzelte meine Wangen. Ich blinzelte verschlafen und schob die Decke zur Seite. Es war ein weiterer Tag in unserer geliebten Straße in Istanbul, wo jeder jeden kennt und jedes Haus eine eigene Geschichte erzählt. Ein Ort, an dem Geheimnisse schwer zu verbergen und Freundschaften tief verwurzelt sind.Ich setzte mich auf und streckte mich, spürte die Müdigkeit der letzten Tage in meinen Knochen. Das Studium an der Universität war intensiv, aber ich liebte es. Pädagogik hatte mich immer fasziniert – die Möglichkeit, die nächste Generation zu formen und ihnen die Welt zu erklären. Ich griff nach meinem Handy und sah auf die Uhr. 7:30 Uhr. Zeit, den Tag zu beginnen.
Aus der Küche hörte ich schon das Klappern von Geschirr und das sanfte Murmeln meiner Mutter, Sevim, die das Frühstück vorbereitete. Ihr Lächeln war das Erste, was ich jeden Morgen sah, und es beruhigte mich immer wieder, egal wie schwer der Tag davor gewesen war. Ich zog meine Hausschuhe an und ging die knarrende Holztreppe hinunter.
„Günaydın, Anne," (Guten Morgen, Mama) sagte ich, als ich die Küche betrat. Der Duft von frischem Brot und gebratenem Ei füllte den Raum.
„Günaydın, canım," (Guten Morgen, mein Schatz) antwortete sie, ohne sich umzudrehen. „Setz dich, das Frühstück ist gleich fertig."
Ich nahm Platz am kleinen Holztisch und beobachtete meine Mutter, wie sie geschickt das Frühstück zubereitete. Ihre Bewegungen waren schnell und präzise, wie eine geübte Choreografie, die sie jeden Tag aufs Neue aufführte. Seit mein Vater uns verlassen hatte, als ich noch ein kleines Mädchen war, hatte sie immer alles für uns getan. Sie war eine starke Frau, und ich bewunderte sie dafür.
Mein Bruder Ilkay kam ebenfalls in die Küche, noch immer verschlafen, aber mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Morgen, kleine Schwester," murmelte er und wuschelte mir durch die Haare.
„Morgen, Abi," (Bruder) antwortete ich grinsend. Ilkay war mehr als nur ein Bruder für mich; er war mein Fels in der Brandung, besonders in den Jahren, in denen Papa weg war. Er hatte versucht, die Lücke zu füllen, die unser Vater hinterlassen hatte, und dafür war ich ihm immer dankbar.
Während wir zusammen frühstückten, drifteten meine Gedanken zu Karan. Selins älterer Bruder, den ich seit meiner Kindheit kannte. Er war immer irgendwie da, ein stiller Beobachter in der Ecke meines Lebens. Er war so anders als die anderen Jungs in unserem Viertel – ernst, aber freundlich, zurückhaltend, aber irgendwie immer präsent. In letzter Zeit schien er jedoch verändert, als würde ihn etwas plagen. Vielleicht waren es die Herausforderungen seiner Firma, oder vielleicht... etwas anderes?
Ich schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte mich wieder auf das Frühstück. Heute würde ein langer Tag werden, voller Vorlesungen und Lernstunden mit Selin. Doch der Gedanke an Karan blieb in meinem Kopf hängen, wie ein leises Summen, das nicht verschwinden wollte.
Als ich mich auf den Weg zur Universität machte, stieß ich auf Selin. Sie wartete bereits an der Ecke unserer Straße und winkte mir fröhlich zu. Ihre Augen funkelten vor Energie, wie immer.
„Hey, Ilkin!" rief sie. „Bist du bereit für die heutige Schlacht?"
Ich lachte. „So bereit, wie ich sein kann."
Wir schlenderten gemeinsam den Weg hinunter, und ich spürte diese vertraute Wärme, die unsere Freundschaft auszeichnete. Selin war immer voller Freude und Optimismus. Doch auch sie hatte ihre Geheimnisse, genau wie jeder hier. Und ich fragte mich oft, wie viele davon ich wirklich kannte.
Als wir um die Ecke bogen, sah ich ihn. Karan. Er lehnte an der Wand eines Cafés und starrte in die Ferne, als wäre er in Gedanken versunken. Mein Herz machte einen kleinen Sprung, warum auch immer. Als hätte er meinen Blick gespürt, sah er auf und unsere Augen trafen sich.
Für einen kurzen Moment hielt die Welt den Atem an.
„Kommst du, Ilkin?" Selins Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich blinzelte und wandte den Blick ab.
„Ja, ich komme." Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Tag anders sein würde. Vielleicht, weil sich etwas in der Luft verändert hatte. Vielleicht, weil Karans Blick mehr sagte, als Worte je könnten.
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ʜᴀʏᴀᴛɪᴍ ɪʟᴋɪɴ & ᴋᴀʀᴀɴ
RomanceDämmer Die Straßen der Stadt sind lebendig, aber KARAN (24) spürt nichts davon. Sein Herz ist schwer, sein Blick leer, als er allein auf einer Bank am Bosporus sitzt. Die Wellen schlagen leise ans Ufer, während er an den kleinen Schmuckanhänger in s...