Irgendwas wird passieren

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Ich lehne mich zurück und lasse meinen Blick über die Jungs schweifen, die gerade auf den Bildschirm starren und sich gegenseitig beim Mario Kart herausfordern. Das Lachen klingt leicht, aber in mir fühlt es sich nicht so an. Ich sehe zu Jonas hinüber, der mit einem leichten Grinsen den Controller in der Hand hält. Sein Gesicht wirkt entspannt, doch ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass da mehr ist.

Jonas ist hier, aber seine Gedanken? Die sind woanders.

Ich kann es an der Art sehen, wie seine Augen ab und zu den Fokus verlieren, wie er kurz innehält, bevor er wieder ins Spiel eintaucht. Auch wenn er jetzt mit den anderen lacht, merke ich, dass das Gespräch von vorhin noch in seinem Kopf nachhallt. Das Reden über Veränderung, über Träume, die mehr als nur in einer Garage enden – das lässt ihn nicht los. Und mich auch nicht.

„Komm, Ivy, spiel mit," ruft Marten und hält mir einen Controller entgegen.

„Vielleicht später," antworte ich und schüttele leicht den Kopf. Eigentlich hätte ich Lust, aber irgendwas hält mich zurück. Irgendwas, das ich noch nicht so ganz greifen kann.

Die Jungs lachen und machen weiter, als wäre nichts gewesen, doch ich spüre die Schwere, die zwischen mir und Jonas liegt. Es ist nicht greifbar, aber es ist da, wie eine unsichtbare Last, die uns beide begleitet. Der Gedanke an ein „Mehr" hat sich in unsere Köpfe eingenistet, und so sehr wir uns auch in den Moment flüchten wollen, es bleibt.

Plötzlich wendet Jonas sich mir zu, seine Augen finden meine. Es ist nur ein kurzer Blick, aber er sagt mehr als Worte es könnten. Da ist dieses unausgesprochene Versprechen, dieses Gefühl, dass heute nicht mit dem Spiel oder dem Alkohol enden wird. Irgendwas wird passieren.

Ich spüre es.

Nach einer Weile geben die Jungs das Spiel auf, es ist spät geworden, und die Nacht liegt schwer über uns. Die Atmosphäre ist wieder ruhiger, als Jonas und ich uns von den anderen verabschieden. Die kühle Nachtluft empfängt uns, als wir aus der Garage treten, und ich ziehe meine Jacke enger um mich.

Jonas geht schweigend neben mir her, seine Schritte klingen schwer auf dem Kies. Ich werfe ihm einen Seitenblick zu, warte, dass er etwas sagt, aber er bleibt still. Irgendwann bleiben wir neben meinem Wagen stehen – dem Nissan Skyline GTR R34, mein ganzer Stolz. Er fährt selten damit, aber heute war es anders. Ich kann es verstehen. Manchmal reicht es nicht, irgendwohin zu gehen. Manchmal muss man wegfahren, das Gefühl der Geschwindigkeit spüren, um die Gedanken zum Schweigen zu bringen.

„Willst du noch fahren?" frage ich leise und sehe ihn an. Mein Herz schlägt ein wenig schneller. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe, aber es fühlt sich richtig an.

Er sieht mich kurz an, dann nickt er. „Komm mit."

Wir steigen ein, und sobald der Motor aufbrüllt, spüre ich das Adrenalin durch meine Adern schießen. Die Straße vor uns ist leer, und die Dunkelheit scheint alles zu verschlucken. Jonas beschleunigt, und ich kann die Anspannung in ihm fühlen, wie er sich mit jeder Umdrehung des Motors mehr und mehr in die Geschwindigkeit stürzt.

Der Wind peitscht gegen die Scheiben, die Lichter der Stadt verschwimmen zu einem unklaren Leuchten in der Ferne. Für einen Moment fühlt es sich so an, als könnten wir alles hinter uns lassen – all die Gespräche, die Sorgen, die Zweifel. Nur wir und die Straße.

Ich schaue zu Jonas, sein Kiefer ist angespannt, aber ich weiß, dass das Fahren ihm etwas von dieser inneren Unruhe nimmt. Für einen Moment wirkt er frei, als würde der Druck, der seit Wochen auf ihm lastet, für eine Weile verschwinden.

„Manchmal wünschte ich, wir könnten einfach verschwinden," sagt er plötzlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, das durch den Motorenlärm getragen wird. „Weg von allem."

„Vielleicht können wir das ja" antworte ich leise, obwohl ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Weglaufen klingt gut in der Theorie, aber wohin soll man gehen, wenn das, wovor man flieht, in einem selbst steckt?

Er wirft mir einen kurzen Blick zu, ein trauriges Lächeln auf den Lippen, und dann beschleunigt er noch mehr. Die Straße vor uns windet sich durch die Landschaft, und ich spüre, wie der Wagen unter uns brummt, sich fast schwerelos anfühlt. Die Welt draußen zieht an uns vorbei, und für einen Moment ist es nur wir zwei und die Dunkelheit um uns herum.

Doch plötzlich sehe ich in der Ferne etwas aufblitzen – ein Licht, das nicht dorthin gehört. Mein Herz setzt aus. „Jonas, pass auf!"

Es geht alles so schnell. Das Licht wird größer, wir kommen näher, zu nah. Jonas reißt das Lenkrad herum, aber ich weiß, dass es zu spät ist. Das Quietschen der Reifen, das Knirschen von Metall, der Aufprall. Ein blendendes Licht und dann...

Nichts.

Stille.

Dunkelheit.

Prollz {Gzuz}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt