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Ich weiß nicht, ob es richtig ist Damian zu vertrauen, aber ich war schon immer ein Herzmensch und kein Kopfmensch.

„Komm mit", sagt Damian und nimmt meine Hand. Gemeinsam laufen wir weiter über das Grundstück und enden bei einer kleinen Hütte. Wir setzen uns gemeinsam auf die Stufe vor der Hütte und Damian legt einen Arm um mich und ich lehne mich an ihn.

„Wie geht es jetzt weiter?", frage ich.

„Ich möchte, dass du hier bist, weil du es willst und nicht weil du musst. Ich will nicht, dass du zu den Berlusconi oder zu deinem Vater zurückkehrst."

„Was hat mein Vater gemacht? Und was ist mit meinem Bruder passiert? Warum weiß ich nichts von ihm?", frage ich weiter. Ich will endlich Antworten.

„Ich kenne keine Details. Aber ich versuche dir alles zu erzählen, was ich weiß. Dein Vater war schon als Jugendlicher in Kontakt mit den Berlusconi. Er hat kleine Jobs für sie gemacht, um sich ein wenig Geld dazuzuverdienen."

Ich kann mir schon denken, was 'kleine'Jobs bedeutet.

„Er war jahrelang nur ein Hilfsarbeiter, sage ich mal. Doch er wollte mehr. Er bekam das Angebot einzusteigen, aber das wollte er nicht. Er wollte etwas eigenes. Er wollte der Boss sein. Also hat er ein paar Leute der Berlusconi dazu gebracht sich ihm anzuschließen und sie haben eine eigene kleine Gang gegründet. Den Berlusconi hat das natürlich überhaupt nicht gefallen und hat Rache geschworen. Hier läuft alles nach dem Motto 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'. Die Mafia ist eine Familie und weil Wilson Mitglieder der Berlusconi übernommen hat, hat er die Familie angegriffen. Also haben die Berlusconi sich deinen Bruder geholt als er zehn war."

Geschockt sehe ich Damian an. „Aber, wie und warum?", stammel ich und weiß überhaupt nicht, was ich denken und sagen soll. In mir herrscht eine Leere.

„Dein Vater war darüber geschockt und hat anfangs versucht ihn zurückzuholen. Die Berlusconi wissen, was Familie bedeutet, also haben sie deinem Vater einen Deal gemacht: er bekommt seinen Sohn zurück, wenn er und seine Leute, die ja eigentlich Teil der Berlusconi waren, und die, die neudazugekommen sind, sich den Berlusconi wieder anschließen. Aber dein Vater hat abgelehnt. Soweit ich weiß, gab es noch einen Versuch, dass er seinen Sohn zurückholen wollte, aber der ist gescheitert. Und dann hat dein Vater das aufgegeben. Und so ist dein Bruder bei den Berlusconi groß geworden und ist inzwischen Teil des Inneren Kreises", beendet Damian die Erzählung.

„Aber warum erinnere ich mich nicht an meinen Bruder? Ist er so viel älter?", frage ich.

„Er müsste circa sechs Jahre älter sein als du. Vermutlich haben deine Eltern dich dahingehend beeinflusst, dass du alle Erinnerungen mit ihm vergessen hast oder sie haben ihn als jemand anderes dargestellt. Aber sicher bin ich nicht. Es wusste ja bis vor kurzem niemand, dass du überhaupt existierst."

„Warum wussten alle, dass es meinen Bruder gibt, aber mich kannte keiner?"

„Meine Vermutung ist, dass deinem Vater kurz nachdem dein Bruder geboren wurde, gesagt wurde, dass er nicht erzählen sollte, dass er Kinder hat, wenn er diese nicht in der Mafia aufwachsen sehen möchte. Aber das weiß ich nicht. Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiß und auch nur spekulieren kann. Diese Dinge kann dir nur dein Vater beantworten."

„Aber dafür müsste ich zu ihm", sage ich leise und kaue von innen auf meiner Lippe rum.

„Und das versuche ich mit allen Mitteln zu verhindern. Dein Vater hat vor ein paar Jahren nochmal deutlich gezeigt, dass die Mafia für ihn wichtiger ist als seine Familie."

„Was meinst du?", frage ich geschockt.

„Der Autounfall deiner Mutter war kein Zufall. Die Berlusconi waren darin involviert. Deinem Vater wurde vorher bereits ein Tipp gegeben, aber zum gleichen Zeitpunkt wollte er einen Plan seiner Gang durchziehen. Also musste er sich entscheiden." Damian lässt das Ende offen.

„Er hat sich für die Mafia und gegen meine Mama entschieden", flüster ich leise. Mir schießen die Tränen in die Augen. Mein Vater hätte den Tod meiner Mutter verhindern können. Er hat sich für die Mafia und gegen seine eigene Frau entschieden.

Damian legt seine Arme um mich und ich lasse den Tränen freien Lauf. Es sind so viele Informationen, die auf mich einprasseln. Ich habe einen Bruder. Mein Vater ist jemand ganz anderes, als ich immer dachte. Meine Mama könnte noch leben. Und die letzten Tage habe ich auch noch nicht verarbeitet. Was wird jetzt mit mir passieren? Ich merke die Panik in mir aufsteigen. Mein Atem verschnellert sich und die Welt fängt an sich zu drehen.

Damian drückt mich ein Stück von sich weg und legt seine Hände auf meine Wangen.

„Schau mich an, mi amore!", Damians Stimme ist weit weg. Meine Augen fallen immer wieder zu und ich kann nichts fokussieren.

„Maya! Atme ein, mi amore!" Ich weiß nicht, wo seine Stimme ist, aber ich tue, was er sagt. Sofort fließt die Luft durch meine Lungen. Langsam kommen meine Sinne wieder zurück. Ich sehe in Damians Augen.

„Bist du wieder bei mir?", fragt Damian. Ich nicke und sofort legt er seine Arme wieder um mich und zieht mich zu sich.

Ich lehne an Damians Brust und atme tief ein und aus. Wir schweigen und das ist auch in Ordnung. Ich denke über meinen Vater nach. Erinner mich an meine Kindheit und frage mich, wie ich all das nicht sehen konnte. Ich denke an verschiedene Situationen mit ihm. Das erklärt auf jeden Fall, warum er so viel arbeiten war und warum er auch oft nachts unterwegs war. Es erklärt auch, dass er irgendwoher wusste, dass die Bomben im Möbelhaus hochgehen werden.

Das Möbelhaus! Mein Vater sagte irgendwas zu mir kurz bevor ich ohnmächtig wurde. Notizbuch! Er sprach während wir gerannt sind von einem Notizbuch. Ruckartig setze ich mich auf, weshalb Damian mich verwirrt anschaut.

„Das Notizbuch! Mein Vater hatte immer ein Notizbuch, was er immer geheim gehalten hat. Aber im Möbelhaus hat er mir gesagt, wenn ihm etwas passiert, soll ich das Notizbuch lesen, da steht alles drin."

„Und wo ist das?", fragt Damian mich.

„Ich weiß es nicht sicher. Wahrscheinlich bei uns Zuhause im Büro meines Vaters!"

Mafia RussoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt