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Das Flüstern der Dunkelheit

Der Abend legte sich wie ein schwerer Schleier über das Schloss. Draußen zog ein Sturm auf, und das Donnern der fernen Blitze ließ die Wände der Festung vibrieren. Es war, als hätte die Welt selbst beschlossen, meine aufgewühlten Gefühle widerzuspiegeln. Im Laufe des Tages hatte ich vergeblich versucht, mich abzulenken, doch meine Gedanken kreisten unaufhörlich um das, was am Morgen geschehen war – um die Begegnung mit Kael und den stillen Moment mit Lyall.

Kael... Sein Blick, seine Worte – sie hatten etwas in mir berührt, das ich nicht benennen konnte. Eine Seite von mir, die tief vergraben und versteckt war. Er hatte Recht gehabt, auch wenn ich es nicht hatte zugeben wollen: Wir alle waren Gefangene unserer eigenen Natur. Und doch, während er mir nahe gekommen war, hatte ich nicht nur Angst verspürt, sondern auch etwas anderes – ein Knistern, ein unbestimmtes Verlangen, das mich erschreckt hatte.

Und dann war da Lyall. Sein ruhiger, stabiler Blick hatte mich auf eine andere Art getroffen. Er war so anders als sein Bruder – sicher, bedacht, fast königlich in seiner Zurückhaltung. Doch ich konnte die Macht, die unter seiner sanften Fassade lag, spüren. Eine Macht, die genauso gefährlich war wie die von Kael, nur besser verborgen.

Ich saß an meinem Fenster, die Stirn gegen das kühle Glas gedrückt, und sah den Regen in dichten Strömen auf die Welt hinabprasseln. Die Dunkelheit des Abends schien jeden Gedanken schwerer zu machen. Mein Herz fühlte sich an, als würde es in einem ständigen Rhythmus zwischen diesen beiden Männern schlagen, die mein Leben so plötzlich und unerwartet verändert hatten.

Eine leise Stimme unterbrach meine Gedanken.

„Prinzessin?"

Ich zuckte leicht zusammen und drehte mich um. Lila stand in der Tür, ihr Gesicht besorgt. Sie hatte eine Kerze in der Hand, deren Licht tanzende Schatten an die Wände warf.

„Alles in Ordnung?" fragte sie sanft. „Ihr wirkt... abwesend."

Ich schüttelte den Kopf und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen. „Es ist nichts, Lila. Nur die Stürme draußen... sie haben mich aufgewühlt."

Lila stellte die Kerze auf den Tisch und kam näher. Sie war seit meiner Kindheit an meiner Seite gewesen, mehr wie eine Schwester als eine Dienerin. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht die Wahrheit sagte. Aber sie war klug genug, mich nicht zu drängen.

„Vielleicht wäre etwas Schlaf hilfreich", schlug sie vor und zog die Vorhänge zu, um das Rauschen des Sturms draußen etwas zu dämpfen. „Morgen wird ein weiterer langer Tag."

„Ja, du hast recht." Doch in meinem Inneren wusste ich, dass ich nicht schlafen würde.

Als Lila gegangen war und ich alleine in der Dunkelheit meines Zimmers saß, spürte ich wieder dieses Gefühl der Unruhe, das mich nicht loslassen wollte. Es war, als wäre der Sturm nicht nur draußen, sondern auch tief in mir entfacht. Und mitten in diesem Sturm schienen die Gedanken an Kael und Lyall wie Funken zu tanzen, die drohten, etwas in Brand zu setzen.

Ich schloss die Augen und versuchte, die Geräusche des Regens und des Donners auszublenden, doch stattdessen hörte ich plötzlich etwas anderes. Ein leises, kaum wahrnehmbares Flüstern – als käme es direkt aus den Schatten meines Zimmers. Meine Augen schossen auf, und mein Herz begann schneller zu schlagen.

Ich war mir sicher, dass ich allein war. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, kroch wie kaltes Eis über meinen Rücken.

„Aylin..."

Der Klang meines Namens ließ mich erstarren. Es war eine Stimme, tief und rau, kaum mehr als ein Wispern. Mein Atem stockte, als ich mich langsam vom Fenster entfernte und mich in die Mitte des Raumes stellte, die Augen auf die Dunkelheit gerichtet.

„Wer ist da?" Meine Stimme klang schwächer, als ich wollte, und ich verfluchte mich selbst für die Unsicherheit, die ich nicht unterdrücken konnte.

Die Stille, die folgte, war erdrückend. Dann hörte ich ein Geräusch – ein Kratzen an den Fensterscheiben, als würde etwas oder jemand draußen lauern. Mein Herz hämmerte nun so laut, dass ich sicher war, es müsse durch das ganze Schloss zu hören sein.

Mit zitternden Fingern griff ich nach dem Kerzenhalter auf dem Tisch und hielt ihn wie einen Schild vor mir. Die Flamme flackerte, als der Wind durch einen unsichtbaren Riss in die Kammer drang, und das Licht warf seltsame, verzerrte Schatten an die Wände.

Dann plötzlich – ein Klopfen. Es kam von der Balkontür, direkt hinter mir.

Mein Atem ging schneller, und mein ganzer Körper erstarrte. Wer auch immer dort draußen war, wusste, dass ich hier war. Mein erster Gedanke war, nach Hilfe zu rufen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Es war nicht Angst – zumindest nicht die Art von Angst, die mich handlungsunfähig machte. Es war vielmehr eine tiefe, unerklärliche Neugier, die mich dazu brachte, mich langsam der Tür zuzuwenden.

Mit jedem Schritt pochte mein Herz lauter. Die Silhouette einer Gestalt zeichnete sich gegen das Fenster ab, dunkel und massig, fast so, als würde sie mit den Schatten verschmelzen. Ich konnte die Umrisse nicht genau erkennen, doch irgendetwas an dieser Präsenz war vertraut – auf eine beunruhigende Weise.

Meine Hand legte sich auf den kalten Griff der Tür, und für einen kurzen Moment zögerte ich. Doch dann zog ich tief die Luft ein, sammelte all meinen Mut und öffnete die Tür.

Der Sturm schlug mir entgegen, und für einen Moment blendete mich der Regen, der in dichten Tropfen gegen mein Gesicht prallte. Doch als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich ihn.

Kael.

Er stand nur wenige Schritte entfernt, durchnässt vom Regen, aber ungerührt von der Kälte und dem Wind, der um ihn herum tobte. Seine Augen – diese seltsam glühenden blauen Augen – waren fest auf mich gerichtet, als könnte nichts sie davon abhalten, in meine Seele zu blicken.

„Was... was macht Ihr hier?" fragte ich, meine Stimme nur ein schwaches Flüstern im Wind.

Kael trat näher, seine Bewegungen geschmeidig wie die eines Raubtieres. „Ich musste dich sehen."

Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück, überrascht von der Intensität in seiner Stimme. „Es ist mitten in der Nacht, Kael. Ihr solltet nicht hier sein."

Er lächelte leicht, doch es war kein Lächeln der Freundlichkeit. Es war das Lächeln eines Mannes, der mit sich selbst kämpfte, als wäre er nur einen Atemzug davon entfernt, sich zu verlieren. „Manche Dinge können nicht bis zum Morgen warten."

Seine Worte schienen in der Luft zu hängen, schwer und voller unausgesprochener Bedeutung. Ich konnte nicht anders, als ihm in die Augen zu sehen, und was ich dort sah, verwirrte mich nur noch mehr. In ihnen lag eine Sehnsucht, eine Rastlosigkeit, die mich auf eine Art berührte, die ich nicht verstand.

„Kael...", begann ich, doch bevor ich weitersprechen konnte, trat er noch näher und hob eine Hand, als wolle er mich berühren. Doch er hielt inne, als hätte er im letzten Moment seine Kontrolle wiedergefunden.

„Es ist etwas an dir, Aylin", sagte er leise, und seine Stimme war kaum mehr als ein raues Flüstern. „Etwas, das mich in den Wahnsinn treibt."

Mein Herz raste nun so schnell, dass ich dachte, es würde jeden Moment zerspringen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles an ihm zog mich in seinen Bann, doch gleichzeitig fühlte ich eine unüberwindbare Mauer zwischen uns.

Mondfluch: Zwischen zwei HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt