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Im Angesicht des Schicksals

Die Stille lastete schwer auf meinen Schultern, als würde die gesamte Welt den Atem anhalten und auf meine Entscheidung warten. Kael stand nur wenige Schritte von mir entfernt, seine Augen glühten vor Entschlossenheit, sein Körper angespannt wie eine Raubkatze kurz vor dem Sprung. Hinter mir spürte ich Lyalls Präsenz – ruhig, beherrscht, doch die Spannung in der Luft war kaum zu übersehen. Er wartete, genauso wie Kael, aber ich konnte fühlen, dass er sich darauf vorbereitete, einzugreifen, wenn es nötig war.

Mein Herz raste, und meine Gedanken wirbelten chaotisch umher. Alles in mir schrie danach, eine Entscheidung zu treffen, doch ich fühlte mich wie gelähmt. Jeder Atemzug, den ich nahm, schien schwerer zu werden, als ob die Luft selbst mich erdrücken wollte.

„Aylin", sagte Kael sanft, als er einen weiteren Schritt auf mich zutrat. Seine Stimme war eine Mischung aus Ungeduld und Sanftmut, als ob er versuchte, die wilde Entschlossenheit in sich zu zügeln. „Es gibt keinen Grund, länger zu warten. Du weißt, was du willst."

„Kael, bitte..." Meine Stimme brach, und ich wandte mich ab, unfähig, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Es ist nicht so einfach."

„Es ist einfach", erwiderte er fest, und ich konnte die Frustration in seinem Tonfall hören. „Du weißt, dass wir zusammen sein sollten. Du fühlst es genauso wie ich. Es gibt keinen Grund, dich weiterhin an diese Ketten zu binden. An diese Pflichten."

Ich spürte, wie Lyall hinter mir näher trat, seine Hand auf meinem Arm ruhte, sanft und doch bestimmend. „Aylin, du musst nicht überstürzt handeln", sagte er leise, aber mit einer Festigkeit in der Stimme, die mich zurück in die Realität zog. „Denk nach. Lass dich nicht von impulsiven Gefühlen leiten."

Ich zog meinen Arm vorsichtig aus seinem Griff, als würde ich mich aus beiden Welten befreien wollen, in denen ich gefangen war. Doch die Wahrheit war, dass ich mich in keiner Welt frei fühlte. Egal, welche Wahl ich traf, ich würde immer gebunden sein – entweder an meine Pflichten, mein Königreich, oder an das Wilde, das in mir erwachte, wenn Kael in meiner Nähe war.

„Aylin", sagte Kael erneut, seine Stimme nun dringlicher. „Es gibt keine Zeit mehr. Die Entscheidung muss jetzt fallen."

Ich sah auf, mein Blick wanderte von Kael zu Lyall und wieder zurück. Sie waren wie zwei Seiten derselben Medaille. Kael – wild, ungestüm, das Versprechen eines Lebens voller Leidenschaft und Gefahr. Und Lyall – ruhig, beständig, die Sicherheit eines Pfades, der von Verantwortung und Pflicht geprägt war. Beide Männer forderten etwas von mir, was ich ihnen nicht einfach geben konnte. Nicht ohne den Preis zu kennen, den ich dafür zahlen musste.

„Was, wenn ich nicht bereit bin?", fragte ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Kael kniff die Augen zusammen, als hätte er mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Frage. „Nicht bereit? Wofür? Für uns? Für die Freiheit?"

Lyall trat näher, sein Blick war auf mich gerichtet, sanft, aber entschlossen. „Es ist deine Entscheidung, Aylin", sagte er leise. „Niemand kann dich dazu zwingen, sie jetzt zu treffen. Nicht einmal Kael."

Doch ich konnte den Schmerz in seiner Stimme hören, die stille Bitte, dass ich mich für ihn entscheiden würde. Doch er sprach es nicht aus. Das war Lyall – er würde nie von mir verlangen, was ich ihm nicht freiwillig geben wollte.

Kael jedoch war anders. Er würde alles von mir fordern, ohne Rücksicht auf das, was es mich kosten könnte. Er war das wilde Feuer, das in mir lodern wollte, das mich verbrannte und gleichzeitig zum Leben erweckte.

„Aylin", sagte Kael nun in einem tiefen, dringenden Ton. „Wenn du es nicht tust, wird es zu spät sein. Du weißt, was auf uns zukommt."

„Was meinst du?", fragte ich verwirrt. „Was soll auf uns zukommen?"

Sein Gesicht verhärtete sich, und für einen Moment sah ich etwas in seinen Augen, das mir Angst machte – eine Dunkelheit, die ich bisher nur erahnt hatte. „Die Wölfe sind unruhig. Die Zeit der Entscheidung rückt näher, und das Königreich wird nicht unberührt bleiben. Du weißt, dass dein Vater..." Er brach ab, als Lyall ihm einen warnenden Blick zuwarf.

„Kael, genug", sagte Lyall streng und trat einen Schritt vor, als würde er versuchen, mich zu schützen.

Doch Kael schüttelte den Kopf, seine Augen blitzten wütend auf. „Nein, sie hat ein Recht darauf, es zu wissen. Ihr Vater plant nicht nur einen Krieg gegen das Nachbarreich. Es geht um mehr als politische Bündnisse. Es geht um uns – die Wölfe. Er will uns auslöschen, Aylin. Dein Vater führt einen Krieg gegen uns."

Meine Augen weiteten sich, und für einen Moment schien es, als würde der Boden unter mir schwanken. „Das... das kann nicht wahr sein", stammelte ich, unfähig, diese Worte zu begreifen. „Mein Vater würde so etwas niemals tun."

„Doch, das würde er", sagte Kael mit düsterer Entschlossenheit. „Er hat Angst vor uns, vor unserer Macht. Er weiß, dass wir eine Bedrohung für ihn darstellen. Und er wird nicht zögern, uns zu vernichten, wenn er die Chance dazu bekommt."

Ich schwankte, mein Kopf drehte sich vor lauter Gedanken und Emotionen. Alles, was ich je geglaubt hatte, begann zu zerbröckeln. War mein Vater wirklich zu so etwas fähig? Hatte er all die Jahre über etwas verborgen, das ich nie gesehen hatte?

Lyall legte mir erneut sanft die Hand auf die Schulter. „Aylin, hör nicht auf ihn. Es gibt einen Weg, das zu verhindern. Wir müssen vorsichtig vorgehen, diplomatisch. Aber wenn du jetzt impulsiv handelst, könnte es alles noch schlimmer machen."

Kael trat erneut vor, seine Stimme war ein tiefer, bedrohlicher Ton. „Es gibt keinen diplomatischen Weg mehr, Lyall. Du weißt das genauso gut wie ich. Die Zeit für Worte ist vorbei. Jetzt zählt nur noch, auf welcher Seite wir stehen."

Ich sah zwischen den beiden hin und her, meine Gedanken wirbelten unkontrolliert. Kaels Worte hatten mein Herz in Aufruhr versetzt, doch Lyalls beruhigende Präsenz hielt mich davon ab, in Panik zu verfallen. Beide hatten ihre eigene Wahrheit, doch welche war die richtige?

„Ich... ich weiß es nicht", sagte ich schließlich, meine Stimme schwach und voller Verzweiflung. „Ich weiß nicht, was ich tun soll."

Kael trat näher, sein Gesicht war nur noch Zentimeter von meinem entfernt, seine Stimme leise und eindringlich. „Komm mit mir, Aylin. Lauf mit mir weg. Wir könnten zusammen frei sein. Du musst dich nicht mehr entscheiden. Du musst nur mit mir kommen."

„Und was dann?", fragte ich, meine Augen suchten verzweifelt nach einer Antwort. „Was passiert, wenn ich mit dir gehe?"

„Dann sind wir frei", sagte er, als wäre das die einfachste und selbstverständlichste Antwort der Welt.

Doch Freiheit war nicht so einfach. Nicht für mich.

Ich spürte, wie sich etwas in mir veränderte, als ich beide ansah. Kael, der mich in ein Leben voller Ungewissheit ziehen wollte. Und Lyall, der mich davor bewahren wollte, ins Chaos zu stürzen.

„Ich..." Meine Stimme zitterte, als ich den Worten, die auf meiner Zunge lagen, nachgab. „Ich kann nicht. Nicht jetzt."

Kaels Gesicht verhärtete sich, doch er sagte nichts. Stattdessen trat er langsam zurück, seine Augen dunkel und voller Enttäuschung. „Ich hoffe, du wirst es nicht bereuen, Aylin", sagte er leise, bevor er sich umdrehte und in der Dunkelheit verschwand.

Lyall stand noch immer neben mir, seine Hand jetzt beruhigend auf meinem Arm. „Du hast die richtige Entscheidung getroffen", sagte er sanft. Doch in seinen Augen konnte ich sehen, dass er wusste, dies war nur der Anfang.

Und ich wusste es auch.

Mondfluch: Zwischen zwei HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt