5 | Irrlichtschimmer

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Stimmen prasselten auf sie nieder, erfüllten jeden ihrer Sinne und ließen in ihr den dringlichen Wunsch aufsteigen, zu fliehen. Doch ihre Pfoten schienen tief im Boden verankert zu sein und so konnte Irrlichtschimmer nichts anderes tun, als zuzuhören. Konnte nichts tun, um ihre Qualen zu lindern.

Doch wie gern würde sie ihren Schmerz einfach heraus jaulen, sich wehren und zeigen, dass sie es wert war, als ganze Katze gesehen zu werden. Aber sie konnte es nicht. Denn sie wusste, wenn sie dies tuen würde, würde sie erneut die Katze verlieren, die ihr am Meisten bedeutete.

Immer, wenn sie auch nur daran dachte, ein Wort von sich zu geben, sah sie sofort wieder die Bilder von damals vor sich. Von jenem Tag, an dem ihr Glück ein Ende finden sollte.

Vermutlich konnte sie auch überhaupt nicht mehr sprechen, hatte die Möglichkeit verloren, für sich einzustehen. Die Möglichkeit, die eigentlich keine war. Denn selbst wenn ihre Stimmbänder noch in der Lage wären, ihrem Willen zu gehorchen, so war sie doch nicht bereit, es auszuprobieren.

Keuchend schreckte die Kätzin aus ihrem Nest im Kriegerbau hoch. Durch den Eingang schienen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne und sie wusste, dass es bis zur großen Versammlung nicht mehr lange dauerte.

Klippenstern hatte sie gefragt, ob sie mitkommen wollte, jetzt, da ihre Jungen zu Schülern ernannt worden waren. Irrlichtschimmer hatte erst absagen wollen, doch da sie wusste, wie viel es den Vieren, besonders Erdpfote, bedeuten würde, hatte sie schweren Herzens zugestimmt.

Es würde eine lange Nacht werden, denn auch im DämmerungsClan gab es Katzen wie Sumpfblick und Neumondabend. Daher blieb sie noch eine Weile liegen und wappnete sich vor dem, was sie erwarten würde.

»»-»«-««

Dann war es so weit. Es waren Monde vergangen, seit sie das letzte Mal eine Pfote auf den Versammlungsplatz gesetzt hatte, dennoch war ihr dieser Ort vertraut, sah er doch noch genau so aus, wie er immer ausgesehen hatte.

Die große Senke war eine schlichte  Kuhle, in der ein in die Höhe ragende Fels direkt ins Auge stach. Von diesem abgesehen gab es kaum etwas an diesem Ort, lediglich vereinzelte Sträucher, in denen man sich gut verstecken konnte.

Das hatte Irrlichtschimmer in ihrer Zeit als Einzelläuferin jedenfalls getan. Damals hatte sie diesen Ort an jedem Vollmond aufgesucht, um die Neuigkeiten der Clans zu erfahren. So hatte sie herausgefunden, dass ihr Vater bei einem Steinrutsch ums Leben gekommen war.

Als die Kriegerin die Pelze der anderen Katzen streifte, erwachte sie aus ihren Erinnerungen. Sofort lenkte sie ihre Pfoten aus der Menge heraus und setzte sich etwas abseits hin, hoffend, dass sie von keiner der Katzen, die sie als anders ansahen, bemerkt wurde.

Ihr Plan schien aufzugehen, denn lediglich eine ihr unbekannte Kätzin trat an sie heran. Das Bild einer Schülerin mit dem Namen Flammenpfote blitzte in ihrem Gedächtnis auf. Doch diese Katze war größer, zweifellos war sie in den Monden ihrer Abwesenheit zur Kriegerin ernannt worden.

Grüßend senkte Irrlichtschimmer den Kopf, wandte den Blick dann jedoch wieder ab. Sie wollte nicht den Eindruck vermitteln, als müsste die junge Kriegerin Mitleid mit ihr haben. Doch das schien gar nicht ihr Antrieb gewesen zu sein, denn kurz darauf begannen die Worte bereits, aus ihr heraus zu sprudeln.

»Mein Name ist Flammenfeder und du musst Irrlichtschimmer sein. Ich habe nie zuvor eine Katze getroffen, die nicht spricht, wie fühlst du dich bloß dabei, es nicht zu können? Es muss schrecklich sein, besonders, da alle anderen es ja tuen.«

So redete und redete sie munter weiter, wobei sie gar nicht auf die graue zu achten schien. Es war eine sehr unangenehme Erfahrung für Irrlichtschimmer, obwohl die Kriegerin sich nichts schlechtes dabei dachte. Vermutlich dachte sie sich überhaupt nichts dabei.

Da trat eine cremefarbene Kätzin zu den beiden. Es war Blasskehle, die Heilerin des DämmerungsClans.

Ihr Blick erfasste die Lage schnell und so wandte sie sich an ihre Clangefährtin: »Flammenfeder, was tust du da?« Erst jetzt schien diese aus ihren Gedanken aufzutauchen und die zweite Katze zu bemerken. »Ich unterhalte mich mit Irrlichtschimmer, das siehst du doch.«

»Ich sehe, das du sprichst, ja. Dennoch würde ich das vielleicht nicht unbedingt eine Unterhaltung nennen, da in einer solchen mehr als nur eine Katze reden. Darüberhinaus scheinst du deine Worte etwas ungünstig zu wählen.« Die Worte sprachen der dunkelgrauen aus der Seele und sie blinzelte ihr dankbar zu.

Da wurde es still unter den Katzen, was ein sichereres Zeichen dafür war, dass die Versammlung jeden Moment begann. Doch auf dem Felsen stand nur Klippenstern, von Häherstern war weit und breit keine Spur.

Sofort breitete sich Getuschel unter den Katzen aus, welches jedoch von Dämmerbrand unterbrochen wurde, welche sich neben den Anführer stellte und die Frage beantwortete, die jedem auf der Seele brannte.

»Häherstern ist fort.«

Im blassen Schein des IrrlichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt